Österreich hält trotz Nawalny-Falls an Nord Stream 2 fest
Österreich hält trotz des Giftanschlags auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny an der umstrittenen Gas-Pipeline Nord Stream 2 fest. Er sehe "keinen Zusammenhang zwischen dem Fall Nawalny und Nord Stream 2", sagte der österreichische Präsident Alexander Van der Bellen am Dienstag nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Wien.

Eine Gasanlage der Nordstream 1-Pipeline bei Lubmin, nahe Greifswald. Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images
Foto: Lubmin.
Auch Kanzler Sebastian Kurz erklärte, die Pipeline sei ein „wirtschaftliches, ein positives Projekt“. Sie ermögliche eine „Diversifikation“ der Routen in der Energieproduktion, fügte Kurz hinzu. Das österreichische Unternehmen OMV ist als Finanzpartner an dem zehn Milliarden Euro umfassenden Projekt beteiligt.
Nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionellen Nawalny ist eine Debatte um mögliche Sanktionen gegen Russland ausgebrochen. Dabei wurde auch ein Stopp der Bauarbeiten an der Ostsee-Pipeline ins Gespräch gebracht. Durch die Röhre soll russisches Gas direkt nach Deutschland geliefert werden. Die Bundesregierung schließt Konsequenzen für die fast fertiggestellte Pipeline nicht aus.
Selenskyj äußerte Verständnis für die österreichische Sicht. Er wünsche sich jedoch, dass das Projekt auch „aus unserer Perspektive“ gesehen werde, erklärte der ukrainische Präsident. Der Bau einer zusätzlichen direkten Gasleitung von Russland nach Deutschland schwächt die Position traditioneller Transitländer wie Polen und der Ukraine.
Die Transitgebühren sind für die Länder ein wichtiger Einnahmefaktor, darüber hinaus macht die Verfügbarkeit alternativer Routen sie entbehrlicher. Auch Polen und die baltischen Staaten waren schon vor dem Giftanschlag auf Nawalny entschieden gegen das Pipeline-Projekt.

Schwesig: „Brauchen sichere Energieversorgung in Deutschland“
Schwesig: „Brauchen sichere Energieversorgung in Deutschland“
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hat einen Baustopp für die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 als Konsequenz aus dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny abgelehnt. Sie unterstütze die Forderung der Bundesregierung, dass die Vergiftung Nawalnys vollständig aufgeklärt werden müsse, sagte Schwesig dem „Spiegel“. Da sei Russland am Zug. „Aber dieses Verbrechen darf nicht dazu benutzt werden, Nord Stream 2 in Frage zu stellen.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatten zuvor Konsequenzen für das Pipeline-Projekt nicht ausgeschlossen. Schwesig sagte zu den Äußerungen ihres Parteifreundes Maas, sie habe den Außenminister nicht so verstanden, dass ein Baustopp für ihn jetzt die erste Option sei. „Der Außenminister kritisiert wie ich, dass jene, die nun einen Baustopp fordern, schon immer gegen das Projekt waren“, sagte die SPD-Politikerin.
Die Ostseepipeline sei ein notwendiges Infrastruktur- und Energieversorgungsprojekt. „Wir brauchen zumindest für den Übergang Gas für eine sichere Energieversorgung in Deutschland“, zeigte sich Schwesig überzeugt. Wenn Deutschland auf das Gas aus Russland verzichte, bliebe als Alternative nur Fracking-Gas aus den USA. „Das ist mit Sicherheit ökologisch die schlechtere Alternative und zudem noch teurer.“
„Ich würde mir in der Frage der Energieversorgung mehr Ehrlichkeit wünschen“, sagte die Ministerpräsidentin. Schon vor dem Fall Nawalny habe es massive Versuche der USA gegeben, Nord Stream 2 zu stoppen: „Das zeigt, mit welcher Härte die USA vorgehen, während sie zugleich mehr Öl aus Russland importieren.“ Es gehe um „knallharte wirtschaftliche Interessen“. Deutschland müsse selbst entscheiden können, woher und auf welchem Weg es seine Energie beziehe.
Experte: Nord Stream 2 nicht entscheidend für Gasversorgung in EU
Nach Meinung von Energieökonom Marc Oliver Bettzüge ist die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 aus energiewirtschaftlicher Sicht „nicht von existentieller Bedeutung für die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Gasversorgung in Deutschland oder Europa.“
Zwar könnte Nord Stream 2 Modellrechnungen zufolge die Gaspreise in der Europäischen Union spürbar senken. Eine Angebotslücke beim Gas drohe aber ohne die Pipeline nicht, sagte der Professor für Volkswirtschaftslehre, Energie und Nachhaltigkeit an der Universität zu Köln der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Die bestehende Importkapazität würde auch ohne die Pipeline Nord Stream 2 ausreichen, um die absehbaren Gasbedarfe in der EU abzudecken“, so der Experte.
Nach der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny waren Rufe laut geworden, als Reaktion den Bau der Gasleitung von Russland nach Deutschland zu stoppen. Damit soll auch wirtschaftlich der Druck auf Moskau erhöht werden, den Fall aufzuklären.
Die deutsche Bundesregierung betrachtet es nach Untersuchungen eines Speziallabors der Bundeswehr als zweifelsfrei belegt, dass Nawalny mit dem militärischen Nervengift Nowitschok vergiftet wurde. Der Oppositionspolitiker war am 20. August auf einem Flug in Russland plötzlich ins Koma gefallen und wird derzeit in Deutschland behandelt. Moskau bestreitet eine Verwicklung in den Fall. (dpa/afp/sua)
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