Von links bis rechts: Die neuen Gesichter im EU-Parlament

Wenn am Donnerstag das EU-Parlament erstmals zusammentritt, werden erneut einige neue Gesichter dabei sein. Manche davon sind Quereinsteiger, andere haben sich mit ihren alten Parteien überworfen. In einigen Fällen haben auch extremistische Kandidaten Mandate geschafft.
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EU-Parlament.Foto: FREDERICK FLORIN/AFP via Getty Images
Von 17. Juli 2024

Am Donnerstag, 18.7., wird das neu gewählte EU-Parlament in Straßburg zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Mit dabei sein werden zahlreiche neue Gesichter. Allein in Deutschland hatten 36 der 96 gewählten Abgeordneten dem Parlament in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht angehört.

Einige Neulinge im EU-Parlament bleiben fraktionslos

Eine der Neuzugänge hat bereits für Furore gesorgt: Die erstmals ins Parlament gewählte EKR-Abgeordnete Antonella Sberna wurde am Dienstag, 16.7., auf Anhieb zu einer der Vizepräsidenten des EU-Parlaments gewählt. Im zweiten Wahlgang erhielt sie mit 314 Stimmen die erforderliche Mehrheit, nachdem sie im ersten Durchgang um lediglich 12 Stimmen zu wenig erreicht hatte. Ihre Wahl macht deutlich, dass die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni keiner Ausgrenzung durch die Fraktionen der politischen Mitte unterliegen.

Neu im Parlament sind beispielsweise auch drei Abgeordnete der spanischen Plattform „Se Acabó La Fiesta“ („Die Party ist vorbei“). Ihr Anführer ist Alvise Pérez, der als „Telegram-Promi“ gilt. Sein dortiger Kanal hat tausende Besucher, er ist fast ausschließlich auf sozialen Medien präsent. Trotz Gerüchten über einen möglichen Beitritt zur AfD-geführten Fraktion „Europa Souveräner Nationen“ (ESN) bleibt „Se Acabó La Fiesta“ vorerst fraktionslos.

Gleiches gilt für den zyprischen Blogger Fidias Panayiotou, der seine Fans darüber abstimmen lassen will, wem er sich anschließen soll. Die Internet-Berühmtheit mit mehr als zwei Millionen Abonnenten hatte auf Zypern bei der EU-Wahl 19,3 Prozent eingefahren. Und das, obwohl Panayiotou von sich selbst behauptet, „von Politik keine Ahnung“ zu haben.

Hip-Hopper, Corona-Maßnahmenkritiker und Kapitänin

Unpolitisch war bislang auch das Leben von Nina Carberry. Die ehemalige Profi-Reiterin und TV-Berühmtheit hatte in Irland für die konservative Fine Gael kandidiert. Für die liberale „Renew“ wird künftig der bulgarische Hip-Hopper Hristo Pretov im EU-Parlament sitzen. Er hatte als Mitglied der Partei „Der Wandel geht weiter“ zuvor ein Mandat in der bulgarischen Nationalversammlung inne.

Nina Carberry beim Cheltenham Festival in England, aufgenommen am 14. März 2017. Foto: Alan Crowhurst/Getty Images

Zu den bekanntesten deutschen Neuzugängen gehört die „Seawatch“-Kapitänin Carola Rackete, die mittlerweile hauptsächlich als Klimaaktivistin in Erscheinung tritt. Sie hatte auf der Liste der Linkspartei kandidiert. Mit 2,9 Prozent und sogar nur 2,2 im Westen blieb ihr Erfolg jedoch unter den Erwartungen zurück. Unter den sechs BSW-Abgeordneten befindet sich unter anderem der frühere Gesundheitsamtsleiter und Corona-Maßnahmenkritiker Friedrich Pürner.

Für Kontroverse sorgte auch die österreichische Klimaaktivistin Lena Schilling. Trotz mehrerer Berichte über problematische Persönlichkeitszüge der Spitzenkandidatin erhielt sie die zweitmeisten Vorzugsstimmen aus der eigenen Wählerschaft – in Kärnten sogar die meisten.

Lena Schilling, Spitzenkandidatin der GRÜNEN, bei der ORF-Europawahldiskussion in Wien, Datum: 5. Juni 2024. Foto: JOE KLAMAR/AFP via Getty Images

Von links und rechts

Außerdem wird die italienische Abgeordnete Ilaria Salis die Partei in Straßburg vertreten. Sie saß wegen des Verdachts auf einen tätlichen Angriff auf den Teilnehmer einer rechtsextremen Versammlung in Ungarn in Untersuchungshaft. Das EU-Mandat soll ihr Immunität sichern.

Auch auf der Rechten gelang mehreren Personen ein Parlamentseinzug. Politischen Beobachtern zufolge wollte beispielsweise die polnische Konföderation den Abgeordneten Grzegorz Braun nach Straßburg „wegloben“. Dieser hatte im Dezember 2023 mit einem Feuerlöscher die Kerzen auf einem in der Parlaments-Lobby aufgestellten Chanukka-Leuchter ausgelöscht. Braun war bereits zuvor durch antisemitische Äußerungen aufgefallen.

Die AfD und mehrere andere Mitgliedsparteien hatten sich gegen eine Aufnahme Brauns in die neue ESN-Fraktion ausgesprochen. Deshalb wird er fraktionslos bleiben. Gleiches gilt für die ebenfalls neu gewählten Abgeordneten von „SOS Rumänien“. Diese werden mit Referenzen an die mit den Nationalsozialisten verbündete „Eiserne Garde“ und Holocaust-Leugnung in Verbindung gebracht.

EU-Parlament galt zu Beginn als Altenteil für gescheiterte Politiker

Dass sich in Straßburg eine illustre politische Gesellschaft versammelt, ist kein neues Phänomen. Nach den ersten Wahlen zum EU-Parlament in den Jahren 1979 und 1984 machte insbesondere in Deutschland der Spruch „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“ die Runde. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Parteien vorwiegend Personen auf ihre Liste setzten, deren innenpolitische Karriere als beendet galt und für die man gut dotierte Versorgungsposten brauchte.

Eine Ausnahme bildeten einzelne Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise dem europäischen Gedanken verschrieben hatten und deshalb bewusst eine Repräsentanz im EU-Parlament anstrebten. Dazu gehörten etwa Otto von Habsburg, den die CSU bereits 1979 an wählbare Stelle gesetzt hatte, oder der 1995 verstorbene Südtiroler Grünen-Politiker Alexander Langer, der seine Redebeiträge abwechselnd in unterschiedlichen Sprachen hielt.

Da das EU-Parlament anfänglich kaum Befugnisse hatte, war das öffentliche Interesse an den Kandidaten und den Wahlen eher gering. Häufig nutzten Bürger die EU-Wahlen auch, um ihrer Protestneigung Ausdruck zu verleihen. Dies kam in Frankreich der Front National und in Deutschland den Republikanern zugute, die in 1980er-Jahren Erfolge bei den Europawahlen erzielten.

Zu den ersten Promis in Straßburg gehörten Reinhold Messner und Nana Mouskouri

Schon damals bürgerte es sich jedoch ein, Kandidaten für das EU-Parlament zu nominieren, die nicht dem etablierten Politbetrieb entstammten. Neben Newcomern, denen man eine Profilierungschance eröffnen wollte, zählten dazu auch Prominente.

So saß der bekannte Südtiroler Alpinist Reinhold Messner von 1999 bis 2004 für die Grünen im Europäischen Parlament. Bereits zuvor hatte die bekannte griechische Sängerin Nana Moskouri von 1994 bis 1999 einen Sitz für die konservative „Neue Demokratie“ innegehabt.

Reinhold Messner. Foto: Hannes Magerstaedt/Getty Images

Auch gelang es einigen Politikern, die sich im eigenen Land mit ihren Parteien überworfen hatten, im EU-Parlament zumindest für die Dauer einer Legislaturperiode noch einmal für Furore zu sorgen. In Österreich überflügelte 2004 beispielsweise der in der Partei kaltgestellte Verleger Andreas Mölzer über die Vorzugsstimmenregel den offiziellen FPÖ-Spitzenkandidaten Hans Kronberger.

In Frankreich schaffte es der Unternehmer und Präsident von Olympique Marseille, Bernard Tapie, 1994 mit einer eigenen Liste „Énergie radicale“ ins EU-Parlament zu kommen. Allerdings gab er den Sitz infolge von Ermittlungen wegen Betrugs und Korruption wieder auf. Seine Partei, die 12 Prozent der Stimmen erreicht hatte, fiel in die Bedeutungslosigkeit.

Höhere Protestneigung bei vermeintlich „bedeutungslosen“ Europawahlen

Von 2004 an konnte sich die Liste des österreichischen Journalisten Hans-Peter Martin für die Dauer zweier Legislaturperioden in Straßburg etablieren. Martin hatte sich mit der SPÖ, der er ursprünglich angehört hatte, überworfen. Die auflagenstarke „Kronen Zeitung“ bot ihm und seinem Buch „Die Europafalle“ breiten Raum. Die fallweise höhere Protestneigung bei EU-Wahlen ermöglichte ihm und seiner Liste zweistellige Ergebnisse, während er bei der Nationalratswahl 2006 deutlich an der Vier-Prozent-Hürde scheiterte. Am Ende zerfiel sein Projekt nach internen Streitigkeiten.

Weniger Glück hatte der Kaiserenkel Karl von Habsburg, der 1996 über die Liste der ÖVP bei den ersten EU-Wahlen nach dem Beitritt ins Parlament gekommen war. Dort saß er gemeinsam mit seinem Großvater in der EVP-Fraktion, ehe Skandale die Konservativen dazu veranlassten, ihn nicht mehr aufzustellen. Die von Habsburg initiierte Christlich-Soziale Allianz (CSA) kam 1999 nur auf 1,54 Prozent.

Erfolglos verlief auch der Versuch des früheren FPÖ-Politikers Ewald Stadler, 2014 mit den „Reformkonservativen“ (REKOS) ein Comeback über das EU-Parlament zu schaffen. Er war zuvor nach Erpressungsversuchen von seiner Partei ausgeschlossen worden. 2011 gelang ihm nach einer Erweiterung des EU-Parlaments der Einzug für das BZÖ. Allerdings überwarf er sich auch mit diesem.

In Deutschland wollte sich 2009 die rechtsextremistische „Deutsche Volksunion“ (DVU) nach ihrer Abnabelung vom Mäzen und Verleger Gerhard Frey neu erfinden. Als Anti-Islam-Partei hoffte sie, zeitgeistkonform, mit Unterstützung durch einen evangelikalen schwedischen Millionär zur führenden Kraft auf der Rechten zu werden. Ähnliches hatte auch „AUF-Christen für Deutschland“ als Teil der „Libertas“-Bewegung im Sinn. Die EU-Wahl sollte jeweils zum Testballon werden. Beide scheiterten mit Ergebnissen im Null-Komma-Bereich, ebenso wie die erstmals angetretenen „Piraten“. Tektonische Verschiebungen in der politischen Landschaft deuteten sich jedoch zum damaligen Zeitpunkt bereits an.



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