Lawrow-Brief an den Westen: Russland stellt neue Forderung
Russland hat im diplomatische Ringen um die Sicherheit der Ukraine eine neue Forderung eingebracht. In einem Brief, über den die „Süddeutsche Zeitung“ (Mittwochausgabe) berichtet, warf Außenminister Sergej Lawrow westlichen Staaten die einseitige Auslegung eines OSZE-Vertragsdokuments zur europäischen Sicherheit vor. Lawrow schrieb, westliche Staaten verstärkten ihre Sicherheit auf Kosten Russlands, was gegen bestehende Verträge und das Prinzip der Unteilbarkeit von Sicherheit verstoße.
Lawrow verlangte umgehend eine Klarstellung der westlichen Position. Der Brief erreichte verschiedene westliche Außenministerien am Montagabend. Das US-Außenministerium bestätigte den Eingang, wollte sich aber nicht zu Inhalten äußern.
Das russische Außenministerium stellte klar, dass es sich bei dem Schreiben nicht um die erwartete Antwort Moskaus auf die Vorschläge der USA und der NATO zur Beilegung des Konflikts handele. Lawrow zeigte sich in dem vierseitigen Schreiben „tief beunruhigt“ über die „wachsenden militärischen und politischen Spannungen“ an der Grenze zur Ukraine.
Er beklagte, dass die Antwort auf die von Moskau vorgelegten Vertragsentwürfe zu einer Neuordnung der Sicherheit in Europa „substanzielle Differenzen“ über das Prinzip der gleichen und unteilbaren Sicherheit in Europa ans Licht gebracht hätten.
Im Zentrum der russischen Forderung steht die Charta für die Europäische Sicherheit, die von der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) 1999 in Istanbul verabschiedet und 2010 während eines Gipfels in Astana erweitert wurde.
In dieser Charta findet sich der Grundsatz, dass jeder Staat auf der Suche nach Sicherheit frei ein Bündnis wählen dürfe. Gleichzeitig wird aber auch festgehalten, dass kein Staat seine Sicherheit auf Kosten anderer Staaten vergrößern dürfe.
„Sicherheit für alle oder keine Sicherheit für niemanden“
Diesen Widerspruch nutzt Russland für seine Argumentation und beklagt, dass der Westen stets nur das Recht auf Bündniswahl für sich reklamiere, den zweiten Teil der Vereinbarung aber nicht respektiere. „So funktioniert es nicht“, schreibt Lawrow.
„Die Bedeutung der Vereinbarung über die Unteilbarkeit von Sicherheit heißt doch, dass es entweder Sicherheit für alle oder keine Sicherheit für niemanden gibt“. Der Widerspruch im Vertragstext ist bekannt und war bisher nur unter Experten thematisiert worden.
In der OSZE wurde darüber in einem sogenannten strukturierten Dialog beraten. Auch der NATO-Russland-Rat beschäftigte sich damit. Andere Verträge zur europäischen Sicherheit wie die Charta von Paris oder die NATO-Russland-Grundakte verweisen ausschließlich auf die Souveränität der Staaten und die Unverletzbarkeit von Grenzen.
Auch die Anwendung der Verträge in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt durch Russland selbst, trägt zum Interpretationsspielraum bei. Lawrow hatte die neue Argumentationslinie Moskaus bereits bei den letzten Begegnungen mit US-Außenminister Antony Blinken oder der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) aufblitzen lassen.
Der Brief macht nun deutlich, dass Russland dieses Thema ins Zentrum der Verhandlungen mit den USA und den NATO-Staaten schieben könnte. Unschlüssig sind sich westliche Diplomaten, ob Lawrows Brief als ernst zu nehmender Beginn eines Verhandlungsprozesses zu werten ist oder nur eine Ablenkung vom militärischen Aufmarsch an der Ukraine-Grenze darstellt.
Unklar ist auch, ob Lawrow ein Verhandlungsmandat aus dem Kreml hat oder auf eigene Faust handelt. Der russische Außenminister schreibt in seinem Brief: „Wir wollen eine klare Antwort, wie unsere Partner ihre Verpflichtung verstehen, nicht ihre Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten zu stärken.“ (dts/red)
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