„Hartz IV“-Moment für Italien? „Bürgergeld“ läuft aus
Italien rechnet mit Protesten: Gewerkschaften und Sozialinitiativen mobilisieren wegen des nahen Endes des „Bürgergelds“. In einigen Städten kam es bereits zu Kundgebungen vor den Büros der Sozialbehörde INPS. In Terrasini drohte ein arbeitsloser Mann, das Büro des Bürgermeisters in Brand zu setzen.
Nicht nur, dass seit dem 1. August für fast 170.000 Haushalte der Bezug von Bürgergeld endet, erhitzt die Gemüter. Für besondere Irritationen sorgte der Stil, in dem die Kürzung bekannt gegeben wurde.
Diese erfolgte per SMS, lediglich vier Tage vor der Änderung: am 28. Juli erging die Information an alle Betroffenen. Ab sofort sollen nur noch die Haushalte den Zuschuss erhalten, in denen Minderjährige, Menschen mit Behinderung oder über 65-Jährige leben. Vor allem im Süden ist mit Verbitterung zu rechnen, da Neapel die Stadt mit den meisten Beziehern der Sozialleistung ist.
Regierung will „stufenweisen Rückbau“
Dass der „Reddito di Cittadinanza“ (RdC) nicht zur Dauereinrichtung werden würde, hatte die Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bereits seit Längerem angekündigt. Sie sprach von einem „stufenweisen Rückbau“. Auch das Auslaufen des Bürgergeldes für die Betroffenen war seit etwa einem Monat abzusehen. Doch nun kam es etwas plötzlich.
Die Höhe der Leistung lag bei 780 Euro für Singles und 1.280 Euro für Paare. Die dafür eingeplanten Kosten von 15 Milliarden Euro sollten vollständig auf Kredit finanziert werden. Durch die Maßnahme wollte Rom die Kaufkraft ärmerer Bürger stärken. Auf diese Weise sollte sich das Bürgergeld über höheren Konsum refinanzieren.
Eingeführt wurde das Bürgergeld im Jahr 2019 durch die Regierung von Giuseppe Conte als eine Form des „bedingungslosen Grundeinkommens“. Die rechte Lega akzeptierte damals diese Idee der Fünf-Sterne-Bewegung, mit der man eine Koalition gebildet hatte. Das Bürgergeld sollte die „größte Investition in das Humankapital in der italienischen Geschichte“ sein. Dies erklärte damals zumindest Arbeitsminister Luigi di Maio.
Mittlerweile spricht man in Rom von umfangreichem Missbrauch im Zusammenhang mit dem Bürgergeld. Der Anreiz, tatsächlich eine Arbeit aufzunehmen, sei nicht damit verbunden gewesen.
Erfolg oder Flop?
Das Nationale Statistikinstitut bescheinigte dem Konzept einige Erfolge. So habe das Bürgergeld etwa eine Million Menschen aus der Armut geholt. Darüber hinaus habe es geholfen, die Folgen der Corona-Pandemie und der daran anschließenden Rezession zu lindern.
Kritiker bemängelten hingegen, dass das Bürgergeld 56 Prozent der Armen in Italien gar nicht erreiche. Es war zu keiner Zeit so „bedingungslos“, wie die Fünf Sterne es dargestellt hätten. Keinen Zugang dazu hatten Personen, die weniger als zehn Jahre oder vor Antragstellung nicht mindestens durchgehend für 24 Monate im Land gelebt hatten.
Die Auszahlung von Bürgergeld erfolgt nicht in bar, sondern mittels wiederaufladbarer Prepaid-Karten. Mithilfe dieser können die Empfänger Waren und Dienstleistungen kaufen oder Bargeld abheben – im Rahmen einer monatlichen Obergrenze. Außerdem müssen sie sich beim Arbeitsamt registrieren und einen „Pakt zur sozialen Eingliederung“ unterschreiben. Dieser sieht unter anderem die Teilnahme an gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten vor – von bis zu 16 Stunden pro Woche.
Zuletzt hatte die Regierung die maximale Dauer des Bezugs von Bürgergeld auf sieben Monate begrenzt. Das galt für alle, die bestimmte Voraussetzungen nicht oder nicht mehr erfüllen.
Einheitsscheck als Auffangkonstruktion bis Jahresende
Wer vom Ende des Bürgergeldes betroffen ist, kann nun bei den zuständigen Stellen des INPS künftig einen sogenannten Einheitsscheck beantragen. Dazu muss ein neuer Antrag eingereicht werden. Es handelt sich um eine einmalige und universelle Beihilfe, die privaten Haushalten mit Kindern zukommen soll.
Die Höhe des Einheitsschecks richtet sich nach der wirtschaftlichen Lage der jeweiligen Familie. Den Ausschlag gibt dafür ein sogenannter ISEE-Wert. Diese Rechnungseinheit stellt einen Indikator für die Einkommens- und Vermögenslage dar. Der pro Kind bezahlte Betrag reicht je nach Einstufung von 54,10 bis 189,20 Euro.
„Aktivierung“ soll deutlich größere Rolle spielen als beim Bürgergeld
Ab dem 1. Januar wird das Bürgergeld gänzlich einem System der „Eingliederungszulage“ weichen. Dieses ersetzt das Bürgergeld durch die „Eingliederungsbeihilfe“ und ein „Aktivierungsinstrument“.
Die Leistung richtet sich vor allem an Familien mit behinderten Menschen, Minderjährige und über 60-Jährige. Sie können von einem Zuschuss von bis zu 6.000 Euro pro Jahr und einem Mietzuschuss bis zu einem Höchstbetrag von 3.360 Euro pro Jahr profitieren.
Bezieher müssen mindestens fünf Jahre lang, davon die letzten beiden vor der Antragstellung ununterbrochen, in Italien gelebt haben. Der ISEE darf nicht bei mehr als 9.360 Euro und das Familieneinkommen muss unter als 6.000 Euro pro Jahr angesiedelt sein. Die Beihilfe wird für einen ununterbrochenen Zeitraum von höchstens 18 Monaten gezahlt. Nach einer Aussetzung für einen Monat ist ein Antrag auf weitere Verlängerung um erneute 12 Monate möglich.
Die Leistungen sind an die Bedingung geknüpft, dass die Menschen aktiv werden und sich der sozialen und beruflichen Inklusion stellen. Personen mit einem Einkommen unter 6.000 Euro jährlich erhalten für bis zu 12 Monate eine Unterstützung von 350 Euro, wenn sie Qualifikations- oder Umschulungskurse besuchen.
(Mit Material von dpa)
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