Hagia Sophia wird wieder Moschee
Mit Bedauern oder Missbilligung haben Vertreter christlicher Kirchen und Politiker in der Russischen Föderation, der EU und sogar in den USA auf die Verlautbarung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan reagiert, die weltberühmte Hagia Sophia in Istanbul werde künftig wieder als Moschee genutzt. In der Türkei und in Teilen der türkischen Einwanderercommunity Europas wird der Schritt hingegen als Akt der Wiedergewinnung türkischer Souveränität und als Rückkehr zur Normalität gefeiert.
Das oberste türkische Verwaltungsgericht hatte zuvor die 1934 durch einen Regierungserlass erfolgte Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum für unrechtmäßig erklärt. Bereits vor Jahren waren erstmals Bedenken von Parlamentariern bezüglich der Rechtsgültigkeit der damaligen Verfügung zur Sprache gekommen.
Ungültiger Verwaltungsakt machte Hagia Sophia 1934 zum Museum
Im Dezember 2013 hatte, wie das „Deutsch-Türkische Journal“ berichtete, der Abgeordnete zur Großen Nationalversammlung von Kayseri, Yusuf Halacoğlu (MHP), herausgefunden, dass die Anordnung des Ministerrates vom 7. November 1934, welche bestimmt, dass die Hagia Sophia zum Museum gewidmet werden solle, gefälscht und zudem nicht gehörig kundgemacht worden sei.
Sie wurde demnach nicht im Amtsblatt veröffentlicht, vor allem aber wurde bei der Unterfertigung der Name „Atatürk“ benutzt. Diesen Namenszusatz hatte Staatsgründer Mustafa Kemal Pascha allerdings erst am 24. November 1934 von der Großen Nationalversammlung offiziell verliehen bekommen.
Seit dieser Zeit hatten Bestrebungen, die Hagia Sophia, deren Grundstein im Jahr 532 gelegt wurde, wieder als Moschee zu nutzen, wie dies zuvor bereits seit 1453 der Fall gewesen war, immer stärkeren Rückenwind erhalten.
Die türkische Stiftungsbehörde, die als Rechtsnachfolgerin der Stiftung des Sultanats, also der Nachkommen von Mehmed II. (Fatih Sultan Mehmet) deren Agenden wahrnahm, nutzte in weiterer Folge eine 2011 verabschiedete Novelle des Stiftungsgesetzes, die zuvor bereits einer Vielzahl von Minderheitenstiftungen zugutegekommen war.
Stiftungsbehörde nahm die Rechte der Sultanatsstiftung wahr
Die Minderheitenstiftungen in der Türkei hatten sich bei der Generaldirektion der Stiftungen in der Türkei damals um die Registrierung ihrer Immobilien beworben. Sie erhoben namens von ihnen betreuter Personen und Institutionen aus meist religiösen Minderheitencommunitys Anspruch auf insgesamt 1.500 Immobilien in der Türkei. Hauptsächlich betraf die Novelle jüdische, griechische und armenische Gemeinden, deren Immobilien seit 1974 einer schrittweisen Enteignung ausgesetzt waren.
Viele von ihnen erhielten auf diesem Wege auch das Eigentum an ihren sakralen Gebäuden wieder zurück. Derzeit gibt es in der Türkei offiziellen Angaben zufolge insgesamt 435 Kirchen und Synagogen, die auch als solche genutzt würden.
Die türkische Stiftungsbehörde selbst wollte nun aber beim Staatsrat auch in eigener Sache klären lassen, inwieweit die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum und die damit verbundene Zwangsübereignung an das Kulturministerium rechtmäßig war.
Als das oberste Verwaltungsgericht zu der Erkenntnis kam, dass dies nicht der Fall war, erhielt auch die Stiftungsbehörde als Rechtsnachfolgerin der Sultanatsstiftung das Eigentum an der Hagia Sophia zurück. Daraufhin ordnete Erdoğan an, dass das Stiftungseigentum in seinen sinngemäßen Zweck überführt werden solle – nämlich die Nutzung als Moschee, die auch die Sultanatsstiftung so veranlasst sehen wollte, ehe sie 1934 enteignet wurde.
Die Hagia Sophia war zuvor von ihrer Fertigstellung 537 bis ins Jahr 1054 als Römische Reichskirche genutzt worden, danach bis 1204 als orthodoxe Kathedrale, zwischen 1204 und 1261 als katholische Kathedrale und ab 1261 wieder durch die griechische Orthodoxie.
Bereits bis 1934 als Moschee genutzt
Als Kathedrale Konstantinopels, Hauptkirche des Byzantinischen Reiches, religiöser Mittelpunkt der Orthodoxie und seit 641 Krönungskirche hatte die Hagia Sophia stets einen besonderen religiösen, historischen und kulturellen Stellenwert für die christliche Welt. Zwar wurden nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen christliche Insignien, Einrichtungen, Dekorationen und Glocken entfernt oder durch Putz verdeckt, insgesamt wurde architektonisch jedoch auch in der osmanischen Ära weniger verändert als beispielsweise an den frühchristlichen Basiliken Roms und Jerusalems. Die Hagia Sophia wurde anschließend als Hauptmoschee der Hohen Pforte adaptiert.
Das Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Franziskus, äußerte sich, wie die „Welt“ berichtet, am Sonntag (12.7.) „sehr bekümmert“ über die nunmehrige Umwidmung. Auch die Deutsche Bischofskonferenz zeigte sich „besorgt“. Das Gebäude habe bis heute eine große Bedeutung sowohl für Muslime wie auch für Christen, vor allem für die Orthodoxe Kirche, sagte der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, der „Deutschen Presse-Agentur“ in Bonn.
Kopp erklärte, die seit 1935 geltende Regelung bezüglich einer Verwendung als Museum ohne jedwede religiöse Nutzung habe zu einer „bis heute tragfähigen Befriedung“ geführt. Gläubige der beiden großen Religionen, aber auch nichtreligiöse Türken hätten sich auf diese Weise mit dem großartigen Gebäude identifizieren können. Nun sei jedoch zu befürchten, dass die Veranlassung des Gerichts und des türkischen Präsidenten bewirke, dass die Hagia Sophia wieder als „Symbol religiösen Raumgewinns“ gedeutet werden könne.
Griechenland sieht Verbindung zu Konflikten im Mittelmeer
Man werbe deshalb „für eine politische Entscheidung, die die Einheit des Landes und das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Muslimen und Christen stärkt, statt Bitterkeit zu schüren und Fliehkräfte zu begünstigen“.
Vonseiten der Russisch-Orthodoxen Kirche erklärte Wladimir Legoida vom Moskauer Patriarchat am Freitag gegenüber der Agentur „Interfax“ in Moskau, man habe „die Sorgen von Millionen Christen nicht gehört“. Die Gerichtsentscheidung zeige, dass „alle Forderungen nach Zurückhaltung ignoriert wurden“. Zuvor hatte auch Patriarch Kyrill an die türkische Regierung appelliert, den neutralen Status der Hagia Sophia zu erhalten.
In Griechenland wittert man ein politisches Signal vonseiten der türkischen Regierung und eine gezielte Machtdemonstration in Anbetracht jüngster Konflikte wie im Februar an der türkisch-griechischen Grenze oder der Auseinandersetzung um Rohstoffabbau im östlichen Mittelmeer.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe einen „historischen Fehler begangen“, erklärte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas bereits am Samstag. Er sprach von einer „Beleidigung der christlichen Welt“ und davon, dass es darauf „eine entsprechende Antwort geben“ müsse:
„Griechenland verurteilt dieses Verhalten Erdogans und wird alles, was es kann, tun, damit es Konsequenzen für die Türkei gibt.“
Türkische Regierung: „Bis auf Gottesdienste ändert sich nichts“
Auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sieht „oe24“ zufolge die Umwidmung als „ein jüngstes Glied einer Kette von Provokationen“ und einen Beweis dafür, dass die Türkei „einfach kein verlässlicher Partner Europas“ sei. Dies erklärte er am Montag vor dem Rat der EU-Außenminister. Die EU, Russland und die USA nannten die Entscheidung „bedauerlich“. US-Außenminister Mike Pompeo erklärte bereits in der Vorwoche, einen Erhalt der Hagia Sophia als Museum für die zielführendere Lösung zu halten.
Demgegenüber heißt es aus der türkischen Regierung und vonseiten türkischer Medien, es bestehe keinerlei Anlass zur Aufregung. Die Entscheidung des obersten Verwaltungsgerichts und die darauf veranlasste Umwidmung durch Präsident Erdoğan stelle einen reinen Verwaltungsakt dar. Für Besucher der Hagia Sophia ändere sich nichts, auch werde die Denkmalpflege weiterhin in einer Weise stattfinden, wie es türkischen und internationalen Standards zum Umgang mit kulturellem Erbe der gesamten Menschheit entspreche.
Präsident Erdoğan rief die Kritiker dazu auf, die Entscheidung zu respektieren:
Wie die Hagia Sophia genutzt wird, hat etwas mit den Souveränitätsrechten der Türkei zu tun.“
Wie das „Deutsch-Türkische Journal“ berichtet, betonte Erdoğan, das architektonische Meisterwerk werde auch nach der Umwandlung für alle offen stehen, „für Muslime und Nichtmuslime“. Da es sich im rechtlichen Sinne nun auch nicht mehr um ein Museum handele, entfalle sogar die Eintrittsgebühr von derzeit umgerechnet etwa 20 Euro pro Person.
Istanbuls Großmoscheen stehen jetzt schon jedermann offen
Auch Pressesprecher Ibrahim Kalın betonte am Donnerstag, die Wiedereröffnung der Hagia Sophia in Istanbul für muslimische Gebete werde „die Christen des Landes nicht ihrer Identität berauben“. Die Hagia Sophia sei immerhin „ein historisches Erbe der gesamten Welt“, fügte er „TRT Deutsch“ zufolge hinzu. Die Türkei werde die christlichen Ikonen im Bauwerk bewahren, „so wie unsere Vorfahren alle christlichen bewahrt haben“.
Kalın verwies darauf, dass auch alle übrigen großen Moscheen in Istanbul wie die Blaue Moschee, die Fatih- und die Süleymaniye-Moschee seit Jahr und Tag sowohl Besuchern als auch Gläubigen offen stünden. Auch Notre-Dame vor dem Brand und die Sacre-Coeur-Basilika in Frankreich seien als Kirchen in Verwendung und dennoch für Touristen und Andersgläubige offen.
Neben versöhnlichen Tönen für das westliche Publikum hatte Erdoğan jedoch auch weniger verbindliche für seine arabische Fanbase parat. In einer Mitteilung in arabischer Sprache hieß es aus dem Ak Saray, dem Präsidentenpalast in Ankara: „Die Auferstehung der Hagia Sophia kündigt die Befreiung der Al-Aksa-Moschee an.“ Er legt sogar noch einmal nach und ergänzt:
Die Auferstehung der Hagia Sophia ist ein Zeichen des Willens der Muslime in der kommenden Welt … Die Auferstehung der Hagia Sophia ist das Wiederaufleben des Feuers der Hoffnung der Muslime und aller Unterdrückten, Gequälten, Geknechteten und Ausgebeuteten.“
Unversöhnliche Töne in Richtung Israel
In der arabischen Fassung war anders als in der türkischen, so berichtet die „Jerusalem Post“, sogar noch „al-Andalus“ als weiteres Symbol eines islamischen Irredentismus aufgeführt, das einst Teile Spaniens umfasste.
Die auf die Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem gemünzte Aussage wird sowohl in den Reihen der Hamas als auch in Israel als unverhohlene Drohung an den jüdischen Staat verstanden – obwohl die Moschee jetzt schon unter der Verwaltung der islamischen Waqf-Stiftung steht und somit nach islamischem Verständnis „frei“ wäre.
Erdoğan hatte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach, vor allem in Wahlkämpfen, als selbsternannter „Befreier“ der Al-Aksa-Moschee inszeniert. Seit seinem Auftritt beim Weltwirtschaftsforum 2009 und dem von ihm nicht verhinderten Versuch der „Mavi Marmara“ ein Jahr später, unautorisiert eine israelische Seeblockade zu durchbrechen, hat sich das traditionell enge Verhältnis zwischen der Türkei und Israel massiv verschlechtert.
Analysten bewerten Erdoğans regelmäßige verbale Ausritte in Richtung Jerusalem als Ausdruck des Bestrebens, die dem politischen Islam zuzurechnenden Teile der AKP-Basis motiviert zu halten.
Unterdessen haben die Behörden in Istanbul mit den Vorbereitungen begonnen, um die Hagia Sophia offiziell für das islamische Gebet zu öffnen. Mitarbeiter des türkischen Tourismusministeriums inspizierten die Kuppel und die Minarette, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Am 24. Juli solle nach dem Willen der Religionsbehörde Diyanet das erste Freitagsgebet stattfinden.
(Mit Material der dpa)
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