Grünen fordern Mobilitätsregeln für Fahranfänger und Senioren

Der Verkehrsausschuss des EU-Parlaments berät eine geplante Führerscheinrichtlinie. Um die „Vision Zero“ von null Straßenverkehrstoten im Jahr 2050 zu erreichen, soll es vor allem für Fahranfänger und Senioren Restriktionen geben.
Bisher können Ärztinnen und Ärzte fahrungeeignete Personen den Behörden melden, wenn sie «Gefahr in Verzug» feststellen.
Der Zoff um verschärfte EU-Führerscheinregeln spitzt sich weiter zu.Foto: Marius Becker/dpa
Von 27. September 2023

Bis 2050 soll es auf Europas Straßen keinen einzigen Verkehrstoten mehr geben. Um das zu erreichen, will man den Verkehr als solchen einschränken – oder zumindest die Teilnahme bestimmter Bevölkerungsgruppen daran.

Treibende Kraft hinter den geplanten Regeln, über die der Verkehrsausschuss des EU-Parlaments derzeit berät, sind die Grünen. Insbesondere bestehen Vorschläge zur Vereinheitlichung von Führerscheinregeln.

Vor allem für Senioren und Fahranfänger soll es eine Reihe von Sonderregelungen geben, die ihre Freiheit zur motorisierten Mobilität unter Vorbehalt stellen. Bereits im Mai war davon die Rede, dass der geplanten Richtlinie zufolge Führerscheininhaber über 70 Jahre regelmäßig ihre Fahrtüchtigkeit nachweisen müssten. Die Rede war dabei von einem Fünfjahresrhythmus.

In einigen Mitgliedstaaten wie Italien oder Spanien gibt es bereits Vorschriften dieser Art auf nationaler Ebene. In Dänemark müssen Autofahrer ab 80 Jahren ihren Führerschein sogar jährlich neu beantragen.

Ältere Autofahrer unter Generalverdacht

Deutschland hingegen setzt noch auf Eigenverantwortung. Für Führerscheine, deren Ausstellung nach dem 19. Januar 2013 erfolgte, gilt zwar eine generelle Erneuerungspflicht nach 15 Jahren, allerdings erfolgt keine erneute Überprüfung der Fahrtüchtigkeit, es sei denn, es gibt konkrete Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung. In diesem Fall kann eine Behörde eine Fahrt mit einem Gutachter anordnen – und den Führerschein entziehen, sollte dieser das empfehlen.

ADAC, Linkspartei und Union hatten damals bereits Kritik an den geplanten Änderungen geübt. Die Rede war von „Altersdiskriminierung“ und davon, dass gerade Senioren zu den vorsichtigsten Fahrern mit der geringsten Risikoneigung gehörten.

Tatsächlich sind ältere Menschen gemessen an der Gesamtbevölkerung unterdurchschnittlich häufig in Verkehrsunfälle verwickelt. Sie nutzen ihren Pkw generell seltener, müssen nicht mehr zur Arbeit fahren und verwenden seltener individuelle Mittel zur Fortbewegung. Allerdings erleiden sie, sollten sie in Unfälle verwickelt sein, häufiger schwere Verletzungen als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Restriktionen für ältere Fahrer bringen keine signifikante Verbesserung der Verkehrssicherheit

Zudem tragen sie in mehr als zwei Drittel der schweren Unfälle die Hauptschuld. Bei Personen über 75 Jahren sind sie sogar zu 75,9 Prozent die Hauptverursacher. In diesem Alter beginnen auch hauptsächlich die Probleme bezüglich der Verkehrssicherheit.

Verkehrspsychologe Bernhard Schlag von der TU Dresden erklärt jedoch, dass auch dies kein überzeugender Grund für Restriktionen bezüglich des Führerscheins sein könne. Der Verkehrssicherheitseffekt in Ländern, in denen es diese gebe, sei nicht signifikant.

Im Gegenzug bedeute der Verlust des Führerscheins für Betroffene eine Zäsur mit Blick auf ein selbstbestimmtes Leben. In vielen Fällen ließen Krankheit und Hilfsbedürftigkeit nicht lange auf sich warten.

Einheitliches Alter für Führerschein würde begleitetes Fahren gefährden

Aber auch die geplanten Einschränkungen für Fahranfänger sehen Kritiker als abgehoben und lebensfremd. Dem Berichtsentwurf des EU-Parlaments zufolge seien Fahranfänger weniger risikoscheu und sollten deshalb weiteren Einschränkungen unterworfen werden.

Bereits jetzt kennen die meisten Mitgliedstaaten der EU Probezeiten für Fahranfänger und besonders strenge Regeln beispielsweise zum Alkohol am Steuer. EU-Politiker wollen jedoch mehr und fordern beispielsweise ein Tempolimit für Fahranfänger von 90 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. Generell soll es für die betreffende Gruppe außerorts schärfere Tempolimits geben. Eine Grünen-Politikerin will sogar ein Nachtfahrverbot für Fahranfänger ermöglichen.

Um die strengeren Vorgaben für Fahranfänger einheitlich durchsetzen zu können, soll es auch ein einheitliches Mindestalter bei der Führerscheinvergabe geben. Dazu sollen Personen unter 21 Jahren vorerst nur einen Führerschein für Fahrzeuge bis 1,8 Tonnen machen dürfen. Für schwerere Pkw – die meisten E-Autos sind dies allein schon der Batterie wegen – müssten sie mit 21 einen zusätzlichen Schein der Klasse „B+“ machen.

Wissing nennt die Pläne „empörend“ – Mobilität sei ein Grundbedürfnis

Dies würde Kritikern zufolge nicht nur das begleitete Fahren mit 17 unmöglich machen, das nachweislich die Verkehrssicherheit erhöht habe. Junge Menschen würden auch ohne Not mit zusätzlichen Kosten für einen weiteren Führerschein belastet – und könnten bestimmte Arbeiten nicht mehr verrichten.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat die Vorstöße, die vorwiegend von der Grünen-Politikerin und Verkehrsausschussvorsitzenden Karima Delli kommen, als „empörend“ zurückgewiesen. Er sprach sich dagegen aus, ältere Autofahrer unter Generalverdacht zu stellen und Jüngere beispielsweise an Schichtarbeit zu hindern. Die Pläne seien ein „massiver Eingriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger“, so Wissing. Mobilität sei ein Grundbedürfnis und bedeute „Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben“.

Im Jahr 2022 hatte es in den EU-Ländern insgesamt 20.600 Tote im Straßenverkehr gegeben. In den Jahren 2020 und 2021 hatte die Zahl noch unter 20.000 gelegen – was allerdings auch eine Folge der Corona-Maßnahmen war. Die meisten Verkehrstoten pro eine Million Einwohner gab es dabei in Rumänien (80) vor Bulgarien (78) und Kroatien (71).



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