
Gefangen im Lockdown: 14-Jähriger tot aufgefunden – Immer mehr Jugendliche leiden unter Depression
In den Niederlanden sorgt ein offener Brief der Eltern eines toten Jungen für Diskussionen: Welche Auswirkungen haben die Lockdowns auf unsere Kinder und Jugendlichen?

Symbolbild.
Foto: iStock
„Kinder und junge Erwachsene sind in dieser Coronakrise möglicherweise noch gefährdeter als ältere Menschen“, beginnt die niederländische Regionalzeitung „de Gelderlander“ ihren Bericht über den Tod eines 14-jährigen Jungen, der am 16. Januar unter Drogeneinfluss an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung starb. Seinen Eltern zufolge habe er psychisch unter dem Lockdown gelitten.
Die bekannte niederländische Finanzjournalistin und Kinderbuchautorin Franka Rolvink Couzy teilte erschüttert einen Link zu einem Beerdigungsportal, auf dem man Worte der Anteilnahme hinterlassen kann: „Die Geschichte des 14-jährigen Pepijn, der Probleme mit dem Lockdown hatte. Viele Eltern von Heranwachsenden kennen das. Es bricht mir das Herz. Können wir nichts für sie tun?“
Die Nachricht vom Tod des Jungen wurde bis ins Parlament hinein diskutiert: „Mein Herz brach heute Morgen, als ich einen Nachruf von Eltern las, die beschrieben, wie ihr Kind in der Highschool diese Quarantäne tatsächlich nicht ertragen konnte und jetzt nicht mehr da ist“, erklärte Jesse Klaver, Vorsitzender der Partei GroenLinks.
Er verwies darauf, dass dies eine Folge der Maßnahmen sei. Es gebe keine einfachen Entscheidungen. Es sei einfach, zu sagen, die Maßnahmen seien notwendig, um das Corona-Virus zu besiegen. Aber „es ist immer mit einem Preis verbunden“, so Klaver in seiner Rede vor dem Parlament.
In einem Nachruf beschreiben Pepijns Eltern ihren Sohn als lebhaft und neugierig. Doch die aktuelle Lage habe ihm schwer zu schaffen gemacht. Pepijns Eltern:
„Er hat die Lockdown-Maßnahmen nicht gut verkraftet …“
Eine Mutter, deren Tochter ebenfalls Pepijns Schule besuchte, schrieb auf Twitter: „14-jährige Jungen sollten nicht sterben.“ Pepijn sei in der Schule ihrer Tochter gewesen und sollte in ihre Klasse kommen. „Sein Tod packt sie und ihre Mitschüler an der Gurgel.“ Die Art und Weise, wie seine Eltern damit umgegangen seien, sei sehr stark gewesen.
Diese hatten mit einem offenen Brief auf den Tod ihres Sohnes aufmerksam gemacht und den Livestream der Trauerfeier im kleinen Kreis über das Beerdigungsportal offen zugänglich gemacht.
Eine einsame Nacht
Wie die Eltern in ihrem offenen Brief berichteten, wurde Pepijn am frühen Samstagmorgen des 16. Januar am Rande der Ringstraße beim Klärwerk in Amsterdam-Noord tot in einem Zelt gefunden. Er habe da gelegen, als wenn er schlafe, die Kopfhörer noch auf den Ohren, den dicken Wintermantel seines Bruders tragend, eine Packung Limonade unter dem Arm und eine Tüte Süßigkeiten dabei.
Im Zelt stand ein kleiner Grill mit einem Brikett darauf, schilderten die Eltern in dem Brief. Er hatte einen Kohlenmonoxid-Detektor bei sich, der ihn bei zu hoher CO-Konzentration warnen sollte. Vielleicht habe er nicht funktioniert, vielleicht habe er ihn nicht gehört, „oder er war schon weg“.
Neben dem tödlichen CO-Gehalt wurden Drogen im Blut gefunden: „Wahrscheinlich nahm er eine Pille, zündete das Streichholz an und legte sich hin. Er glitt in einen Rausch, das Kohlenmonoxid verrichtete leise und unbemerkt seine Arbeit“, schrieben die Eltern.
„Er hat seine Freunde vermisst“
Den ersten Lockdown habe der 14-Jährige noch toll gefunden, wegen der Schulschließung und der vermeintlich dazugewonnenen Freizeit. Doch die Begeisterung habe rasch nachgelassen, so die Eltern. „Er hat seine Freunde vermisst“ und habe es auch nicht ertragen können, stundenlang vor dem Computer zu lernen. Er war leicht abzulenken, mit Telefonieren, Spielen. Die Noten gingen rasch bergab. Den Sprung in die dritte Klasse im Gymnasium schaffte er gerade so.
Ab September sei ihm klar geworden, dass er das Schulpensum nicht schaffen wird. Die Eltern hatten sich nach einer anderen Schule umgeschaut. Der Junge begann zu kiffen. Zudem hatte er sich verletzt, sodass er kein Hockey mehr spielen konnte und noch mehr drinnen bleiben musste.
„Wir haben gesehen, dass er mit seiner Seele unter dem Arm ging, aber es war schwierig, das Problem zu lokalisieren“, schilderten die Eltern in dem Brief. Er sei nicht so sehr unglücklich gewesen, fand aber das Leben langweilig. „Nicht aufregend. Ausgetretene Pfade. Keine Herausforderung.“
Etwa eine Woche vor seinem Tod nach einer Nacht mit seinen Freunden erfuhren die Eltern von seinem Drogenkonsum: 3MMC, eine Designerdroge. „Aber es ist legal“, habe er zu seiner Verteidigung gesagt.
„Sein jugendliches Gehirn hat noch nicht verstanden, dass das, was legal ist, nicht unbedingt in Ordnung ist“, schrieben die Eltern im Brief. Ihnen zufolge hatte er die Nachwirkungen schlecht vertragen und geschworen, keine Drogen mehr zu nehmen. Das habe überzeugend geklungen.
Zunahme von Depression und Einsamkeit bei Kindern
Die niederländische Verbraucherplattform BNNVARA berichtet von einer Zunahme von Anrufen beim „Kindertelefon“. Kinder berichten von Einsamkeit (+31 Prozent), Depression (+16 Prozent) und Selbstmord (+31 Prozent), wie Roline de Wilde, Direktorin des Kindertelefons, in der Talksendung Jinek warnte.
Im Vergleich zum ersten Lockdown sei die Anzahl der Gespräche um 21 Prozent gestiegen. Es würden seltener normale jugendliche Themen angesprochen: „Ich finde diesen Anstieg besorgniserregend, insbesondere in Kombination mit dem Rückgang bei Themen wie Freundschaft und Verlieben“, so die Expertin für Kindersorgen.
Dem Bericht von „de Gelderlander“ nach hätten die Eltern von Pepijn den offenen Brief geschrieben, um mit dem Verlust fertig zu werden. Sie hätten aber auch gehofft, eine Botschaft an andere Eltern weitergeben zu können. Aus dem Offenen Brief der Eltern:
„Wir haben das Gefühl, dass unsere Jugendlichen verletzlicher sind, als wir denken. Ihre Gehirne sind noch in der Entwicklung. Sie brauchen so viel Zuwendung in diesem Corona-Zeitalter. Sie sind möglicherweise sogar noch gefährdeter als die älteren Menschen über 80.“
Pepijn sei mit einer Mundschutzkappe in seiner Tasche gefunden worden, er habe die Regeln befolgt, um die älteren Menschen vor dem Corona-Virus zu schützen: „Aber wie seine fast 80-jährige Großmutter Lucy sagte: ‚Ich wäre gerne an seiner Stelle gegangen.‘“. Die Eltern vermuten: „Viele Opas und Omas werden das so empfinden.“
Der Brief endete mit der Botschaft: „Lasst uns in Gottes Namen sorgfältig darüber nachdenken, was wir einander und unseren Kindern antun, mit drastischen Maßnahmen, um einen Virus auszurotten, der sie kaum betrifft und der niemals verschwinden wird.“
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