Frankreichs Premierminister: Wirtschaftskrise ist „sehr viel gefährlicher als die Gesundheitskrise“
Premierminister Jean Castex rief am Mittwoch im Radiosender France Inter alle Franzosen auf, mit dem Ende der Sommerpause ihre Arbeit und ihr soziales Leben wieder aufzunehmen. Die durch die Pandemie ausgelöste wirtschaftliche und soziale Krise sei „sehr viel gefährlicher als die Gesundheitskrise“, betonte der 55-Jährige. In Frankreich galt zwischen Mitte März und Mitte Mai eine weitgehende Ausgangssperre.
Das französische Kabinett beriet am Mittwoch den zweiten Tag in Folge über die Lage. Die Regierung will den erwarteten Wirtschaftseinbruch von elf Prozent in diesem Jahr mit einem Konjunkturpaket im Umfang von 100 Milliarden Euro eindämmen. Es wird am Donnerstag der kommenden Woche vorgestellt.
Nach Angaben von Castex sind zwei Milliarden Euro für den Kultursektor vorgesehen. „Gehen Sie ins Theater und ins Kino, Sie riskieren nichts“, rief Castex die Bürger auf. Zugleich kündigte er eine verschärfte Maskenpflicht in allen Sälen an. Bisher durften etwa Kinobesucher den Mund-Nasen-Schutz am Platz ablegen.
Der Premier räumte zugleich ein, dass die französische Corona-Warn-App StopCovid „nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht“ habe. StopCovid wurde lediglich 2,3 Millionen mal heruntergeladen. In Deutschland gab es 17 Millionen Downloads der nationalen Warn-App. Für einen effektiven Schutz wären laut Experten doppelt so viele nötig.
Notfalls örtliche Lockdowns
Aufgrund vieler positiver Corona-Testergebnisse behält sich Frankreich als letztes Mittel örtliche Lockdowns für Risikogebiete wie Paris oder Marseille vor. Örtliche Ausgangsbeschränkungen gehörten zu den „Hypothesen“, die die Regierung in Betracht ziehe, sagte Premierminister Jean Castex am Mittwoch im Radiosender France Inter.
Sie werde jedoch alles tun, um dies zu vermeiden. In der Hafenstadt Marseille und Umland wurden die Corona-Maßnahmen verschärft. Kommende Woche tritt zudem eine landesweite Maskenpflicht in Unternehmen und den meisten Schulen in Kraft.
In Frankreich wurden zuletzt mehr als 3300 positiv Getestete innerhalb von 24 Stunden verzeichnet. Castex betonte, die Menschen sollten deshalb „nicht den Kopf verlieren“.
In Deutschland gilt seit Montagabend eine Reisewarnung für Paris sowie die Region Provence-Alpes-Côte d’Azur mit beliebten Urlaubszielen wie Nizza und Cannes. Rückkehrer aus diesen Gebieten müssen sich in Deutschland verpflichtend auf das neuartige Coronavirus testen lassen, sofern sie kein aktuelles negatives Testergebnis vorweisen können. Bis das Ergebnis vorliegt, müssen sie sich für 14 Tage in Quarantäne begeben.
Regierung verschärft Maßnahmen wie Maskenpflicht
Die in dem Risikogebiet liegende Hafenstadt Marseille und der umliegende Verwaltungsbezirk Bouches-du-Rhône verschärften die Maßnahmen gegen die Pandemie. Bars und Restaurants müssen bereits um 23.00 Uhr schließen. Im gesamten Stadtgebiet von Marseille gilt eine Maskenpflicht, auch im Freien.
Castex begründete dies mit der überdurchschnittlich hohen Zahl von positiven Corona-Tests bei älteren Menschen in Marseille. Er kündigte die mögliche Isolierung französischer Altenheime an, über die „von Fall zu Fall“ entschieden werde.
Von den mehr als 30.540 Todesfällen in Frankreich traten mehr als ein Drittel in Alten- und Pflegeheimen auf. Besonders hoch war die Sterberate laut der Gesundheitsbehörde Santé Publique mit 75 Prozent bei Erkrankten über 75 Jahre, in der Altersgruppe 15 bis 44 Jahre lag sie bei nur einem Prozent.
Junge Menschen zeigen keine Symptome
Derzeit wird das Corona-Virus in Frankreich vor allem bei jüngeren Menschen festgestellt, die größtenteils keine Symptome zeigen. Die Regierung ist besorgt, dass Ältere dadurch unwissentlich in Mitleidenschaft gezogen werden. (afp/nh)
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