EU will Dialog mit Peking fortsetzen

Der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, räumt ein, dass das Regime in Peking „ein anderes Verständnis von Multilateralismus“ habe. Sanktionen schließe er aber aus. Freiheitsaktivistin Glacier Kwong warnt, China werde „seine übergriffige Diktatur weltweit ausdehnen“.
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EU-Außenbeauftragter, Josep Borrell am 26. Mai 2020 in Brüssel.Foto: Pool/Getty Images
Von 3. Juni 2020

Das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong, das Chinas KP-Regime in der Vorwoche auf den Weg gebracht hat und das ab September gelten soll, stellt „ein weiteres Mal Chinas Willen infrage, seine internationalen Verpflichtungen einzuhalten“. Dies erklärt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. Auch die Politik Pekings im Südchinesischen Meer sei ein Ausdruck davon, dass sich China „in manchen Fällen“ weigere, internationales Recht zu akzeptieren.

Den Dialog mit dem Regime wolle er jedoch ungeachtet dessen fortsetzen. Der Umstand, dass China „ein anderes Verständnis von Multilateralismus“ habe, solle Einigungen etwa beim „Klimaschutz“ nicht im Wege stehen – oder bei einem Investitionsabkommen, über das man gerade verhandele. Trotz „fraglos vieler Meinungsverschiedenheiten“ bleibe die kommunistische Diktatur „ein unverzichtbarer Partner“.

EU soll „Bedeutung als Handelspartner besser nutzen“

In einem 21. Jahrhundert, das von der Konfrontation zwischen China und den USA geprägt sein werde, müssten die Europäer „besser verstehen, was unsere Werte sind, welche Interessen wir haben und welche Fähigkeiten“. Was die EU tun könne, ist, ihre Bedeutung als Handelspartner einzusetzen. China brauche Europa „als Markt für seine Produkte, als Investor und Lieferant von Hightech und auch für internationale Anerkennung“. Dies seien die potenziellen Druckmittel, die man „besser nutzen“ solle. Borrell sprach sich jedoch gegen Sanktionen aus.

Dass sich das Regime in Peking mittlerweile darauf verlasse, dass außer leiser Kritik und vorsichtigen Mahnungen aus Europa keine nennenswerten Reaktionen auf seine politischen Schritte zu erwarten wären, argwöhnt unterdessen Freiheitsaktivistin Glacier Kwong. Die 23-Jährige, die für den Erhalt der Freiheit und Autonomie Hongkongs kämpft, hat in der „Welt“ einen offenen Brief an Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet.

In diesem warnt sie vor „Appeasement“ gegenüber dem totalitären Regime und davor, dass China „seine übergriffige Diktatur weltweit ausdehnen“ werde – „auch auf Deutschland“.

Kwong: China ist ein „Schurkenstaat“

Dass China ein „Schurkenstaat“ sei, der „keinerlei Selbstkontrolle praktiziert“, habe sich bereits bei der Corona-Pandemie gezeigt. Dass nun über die Köpfe der Hongkonger und gegen geltendes Recht in der Region ein Sicherheitsgesetz durchgedrückt werde, sei ein weiterer Beweis. Aus Deutschland sei als Reaktion darauf lediglich eine Bitte gekommen, „die bürgerlichen Freiheiten in Hongkong weiterhin zu gewährleisten“.

China nutze die Pandemie, um seine Macht auszubauen, erklärt Kwong. Deutschland habe in dieser Situation die Frage der Verantwortung für Corona ausgeblendet, die systematisch verübten Gräueltaten des Regimes ignoriert und Deals mit China angestrebt:

Auf der Suche nach Lösungen verlassen Sie sich ausgerechnet auf den Staat, der Deutschland in diese Situation gebracht hat.“

Es sei jedoch naiv, auf Chinas Fairness zu hoffen. Das zeige sich nicht nur an der schlechten Qualität der Masken, die von deutschem Steuergeld in China gekauft worden seien. Das Sicherheitsgesetz sei ein eklatanter Verstoß gegen die chinesisch-britische Erklärung von 1984 und gegen internationales Recht.

KP-Regime wird „seine übergriffige Diktatur weltweit ausdehnen, auch auf Deutschland“

Kwong vergleicht Chinas Wortbruchpolitik mit jener Hitlers nach dem Münchner Abkommen und die vorsichtigen Reaktionen in Europa mit der damaligen Appeasement-Politik:

„Ich hätte von Deutschland erwartet, dass es weiß, welche Konsequenzen Appeasement-Politik haben kann. In der falschen Hoffnung, einen Krieg zu verhindern, ermöglichte man mit einer solchen Politik der Beschwichtigung einst Hitler, Österreich an Deutschland anzuschließen und das Sudetenland zu besetzen. Heute wissen wir, dass Appeasement eine Politik der Schwäche ist. Das trifft auch auf China zu.“

Die handelspolitischen Vorteile, die man durch eine Sonnenscheinpolitik gegenüber Peking vermeintlich erreichte, könnten die Schäden durch eine globale Ausweitung des Einflusses der KPCh nicht aufwiegen, meint Kwong:

China wird seine übergriffige Diktatur weltweit ausdehnen, auch auf Deutschland.“

Die Erwartung, Chinas wirtschaftliche Liberalisierung und die Einbindung in den freien Welthandel würden auch zu einem freieren Gemeinwesen führen, habe sich nicht erfüllt. „Wandel durch Handel“ sei ein Flop gewesen:

China wird nicht von selbst liberaler. Stattdessen sinken die Standards für Menschenrechte auf der ganzen Welt.“

Borrell will „Druck ausüben“ – aber nicht auf China, sondern auf Israel

Deutschland habe die Chance, seine EU-Ratspräsidentschaft und die damit verbundene Verantwortung für den EU-China-Dialog zu nutzen, um „die aufgeklärten ideellen und materiellen Interessen Deutschlands über chinesisches Geld“ zu stellen und für Hongkong Partei zu ergreifen.

Die Europäische Union sei Chinas größter Exportmarkt, Toplieferant für Hochtechnologie und entscheidendes Element für Chinas Handels- und Infrastrukturinitiative „Belt and Road“. Dies biete, so Kwong, „durchaus Raum für Sanktionen und Menschenrechtsklauseln in Abkommen“.

Josep Borrell hat unterdessen andere Prioritäten: Gegenüber der „Süddeutschen“ meint er, die EU müsse „Druck ausüben und erklären, dass die Konsequenzen nicht irrelevant sein werden“. Allerdings bezog sich diese Aussage nicht auf China und dessen Gebaren in Hongkong, sondern auf die von Premierminister Benjamin Netanjahu erwogene Ausübung der Souveränitätsrechte Israels mit Blick auf Judäa und Samaria.



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