EU-Wahl: Meloni als Königsmacherin – und Krah mit neuer Fraktion?

Letzte Prognosen vor der EU-Wahl deuten den bislang größten Rechtsruck in der Geschichte des EU-Parlaments an. Die Partei Fratelli d’Italia von Italiens Giorgia Meloni könnte eine entscheidende Rolle spielen. Auch neue Fraktionen auf der Linken und Rechten sind denkbar.
Titelbild
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (l.) mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen.Foto: Andreas Solaro/AFP via Getty Images
Von 7. Juni 2024

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Bereits am Donnerstag, 6. Juni, haben die EU-Wahlen 2024 in den Niederlanden begonnen. Auch in Tschechien, der Slowakei und Italien sowie in Lettland und auf Malta werden die Stimmen schon vor Sonntag abgegeben. Während noch bis in die 2000er-Jahre hinein Parteien rechts der Mitte im EU-Parlament eine geringe Rolle spielten, wird in diesem Jahr ein bislang ungekannter Rechtsruck erwartet. Und eine wichtige Rolle für Italiens Premierministerin Giorgia Meloni.

Von der Leyen hatte schon 2019 nur neun Stimmen mehr als erforderlich

Nach dem Brexit und der damit verbundenen Neuaufteilung zwischen den Mitgliedstaaten wird das EU-Parlament 720 Sitze umfassen. Die jüngste Prognose von „Euractiv“ geht davon aus, dass Sozialdemokraten, Liberale und Christdemokraten mit zusammen 399 Sitzen so knapp wie nie zuvor eine gemeinsame Mehrheit behalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass für bedeutsame Vorhaben auf EU-Ebene, denen das Parlament zustimmen muss, eine solche immer zustande kommt.

Nicht einmal eine Mehrheit für eine Wiederwahl von Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin erscheint als sicher – zumindest nicht in den ersten Wahlgängen. Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke haben ebenfalls EU-weite Spitzenkandidaten aufgestellt.

Im Jahr 2019 wurde Ursula von der Leyen als Kandidatin vorgeschlagen, nachdem deutlich wurde, dass der eigentliche EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber keine ausreichende Mehrheit erreichen würde. Ihre Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission, die am etablierten Spitzenkandidatensystem vorbeiging und nur mit einer knappen Mehrheit erfolgte, löste erhebliche Diskussionen aus.

Draghi lehnt Spekulationen ab

Auch deshalb weist der frühere EZB-Präsident Mario Draghi derzeit alle Spekulationen von sich, als möglicher Kandidat für die Kommissionspräsidentschaft zur Verfügung zu stehen. Zu hundert Prozent überzeugt ist von diesen Zusicherungen jedoch kaum ein politischer Beobachter in Brüssel. Bereits seit einigen Tagen machen Gerüchte die Runde, wonach es für ein Alternativszenario zu einer zweiten Amtszeit von der Leyens prominente Unterstützung gebe.

Als weithin zerrüttet gilt das Verhältnis zwischen von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel. Dieser wiederum gilt als enger Vertrauter des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dessen zweite und letzte Amtszeit 2027 endet. Macron soll bereits mit Draghi in Gesprächen über einen Plan B stehen, der spätestens dann zum Tragen kommen könnte, wenn eine Mehrheit für von der Leyen infrage stünde.

Dass der weithin unbekannte EU-Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Nicolas Schmit, eine realistische Chance auf eine parlamentarische Mehrheit hätte, davon gehen diese nicht einmal selbst aus. Es wäre aber möglich, dass die Stimmen von Christdemokraten, Liberalen, versprengten Grünen und einigen Rechtskonservativen sich nicht auf die erforderlichen 361 für eine Bestätigung als EU-Kommissionspräsidentin addieren. Bereits 2019 hatte von der Leyen nur neun Stimmen mehr als die erforderliche absolute Mehrheit auf sich vereinigen können. Zudem kritisieren die Sozialdemokraten die jüngste Annäherung der EVP an Giorgia Meloni.

Von der Leyen braucht Stimmen von rechts

Für von der Leyen könnte es sich als problematisch erweisen, dass das Vorschlagsrecht für den EU-Kommissionspräsidenten nicht beim Parlament und den Fraktionen selbst liegt. Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor. Das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament hat er dabei zu berücksichtigen – gebunden ist er daran nicht.

Meloni hat in den vergangenen Wochen Anstrengungen unternommen, um eine strategische Mehrheit gegen die Linke zu organisieren. Sie äußerte mehrfach, dass die „unnatürliche“ Situation beendet werden müsse, die darin bestehe, dass die EVP auf Bündnisse mit linken Parteien angewiesen sei.

Zugleich wird über eine größere Rechtsfraktion bis hin zu einer Superfraktion spekuliert, bei der Meloni die entscheidende Rolle spielen solle. Diese könnte entweder eine EKR plus sein, der sich unter anderem Ungarns Fidesz von Viktor Orbán zugesellen könnte. Aber auch von einem möglichen Zusammenschluss mit Frankreichs Marine Le Pen war die Rede.

Meloni könnte mit fliegenden Fahnen zu Draghi überlaufen

Eine größere rechte Fraktion unter Meloni könnte nicht nur von der Leyen die nötigen Stimmen für die absolute Mehrheit bei der Wahl der EU-Kommissionspräsidentin sichern. Sie könnte auch der EVP Mehrheiten gegen Vorhaben wie das Verbrennerverbot oder weitreichende Renaturierungsambitionen ermöglichen.

Allerdings gibt es auch erhebliche Differenzen zwischen den potenziellen Partnern, beispielsweise was Fragen wie die Ukraine-Politik betrifft. Auch wollen einige Teile der EKR – etwa Spaniens VOX – auf keinen Fall für von der Leyen stimmen. Bei unsicheren Mehrheiten könnte Meloni eigene nationale Interessen vorziehen. Ihr Verhältnis zu ihrem Landsmann Mario Draghi gilt als intakt.

Sollten sich die Sozialdemokraten unter dem Eindruck einer strauchelnden Ursula von der Leyen dazu entschließen, diesen als eigene Option für das Amt des Kommissionspräsidenten ins Spiel zu bringen, würde sich Meloni dem kaum in den Weg stellen.

ID würde auch nach Ausschluss der AfD an Sitzen gewinnen

Unabhängig von der Frage des Kommissionspräsidenten ist eine Neugruppierung der Rechten im EU-Parlament nach den EU-Wahlen wahrscheinlich. Ungarns Premier Orbán wünscht sich eine möglichst breit aufgestellte Fraktion, die führende politische Kräfte wie Meloni, Le Pen oder Polens PiS umfassen könnte.

Über Konstruktionen wie eine technische Fraktion ließen sich auch Vereinbarungen treffen, die helfen könnten, Differenzen zu überspielen. Inwieweit die Szenarien am Ende tragfähig sind, wird sich weisen. Die „Euractiv“-Prognose sagt nicht nur der EKR, sondern auch der ID-Fraktion Zugewinne voraus – selbst nach dem Ausschluss der AfD.

Beobachter gehen davon aus, dass sich die AfD-Parlamentarier nach der Wahl von den Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron trennen und erneut die Aufnahme in die ID suchen werden.

Krah soll mit einem solchen Vorgehen sogar schon rechnen und Gespräche führen über die Bildung einer neuen Fraktion. Deren Arbeitstitel soll „Vera Europa“ lauten und unter anderem die bulgarische Wiedergeburt, das niederländische Forum voor Democratie, die slowakische Republica-Bewegung, Polens Konföderation und Ungarns Mi Hazánk umfassen.

Neben Krah könnte auch das BSW eine neue Formation zusammenstellen

Um eine Fraktion zu gründen, sind mindestens 23 Mitglieder aus mindestens sieben Mitgliedsländern erforderlich. Gegenüber „Politico“ zeigte sich ein Funktionär der Wiedergeburt zuversichtlich, dieses Quorum erfüllen zu können. Es wäre auch denkbar, dass sich zusätzliche Optionen dadurch ergeben, dass sich bestehende Fraktionen neu gruppieren oder Fraktionslose dazugesellen könnten.

Auch auf der Linken könnte es neue Formationen geben. Die bestehende Linksfraktion hat bereits erklärt, das Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) nicht aufnehmen zu wollen. Dieses soll sich jedoch bereits in Gesprächen mit einer Partei aus Italien über eine mögliche Fraktionsbildung befinden.

Auch ist ungewiss, wie sich Linksparteien wie die slowakische Smer, die griechische KKE oder La France insoumise orientieren werden. Smer und KKE sind fraktionslos, Insoumise hat ein eigenes Europawahlprogramm publiziert – was ebenfalls Unzufriedenheit mit der bestehenden Linken andeutet.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion