EU startet Beitrittsgespräche mit Ukraine und Moldau – Kritik von Orbán

Heute können zwei Staaten den offiziellen Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der EU feiern. Bedenken kommen von Orbán: Was wären die Folgen, wenn man ein Land im Krieg aufnähme, dessen Grenzen in der Praxis nicht geklärt seien? Er sprich von einem „rein politisch motiviertem Prozess“.
Die Ukraine und ihr kleiner Nachbarstaat Moldau sind in kürzester Zeit zu EU-Beitrittskandidaten geworden.
Die Ukraine und ihr kleiner Nachbarstaat Moldau sind zu EU-Beitrittskandidaten geworden.Foto: Pascal Bastien/AP/dpa
Epoch Times25. Juni 2024

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Wenn es um die Frage ging, welche Länder einmal den Beitritt zu EU schaffen könnten, war jahrelang vor allem von Balkanstaaten wie Montenegro oder Serbien die Rede. Russlands Kriegspolitik hat dies grundlegend geändert.

Die Ukraine und ihr kleiner Nachbarstaat Moldau sind in kürzester Zeit zu EU-Beitrittskandidaten geworden und können heute den offiziellen Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen feiern.

Um die Beziehungen zur Ukraine geht es ab dem 27. Juni auch beim EU-Gipfel in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs beraten über sogenannte Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die Kiew in ähnlicher Form bereits mit den USA vereinbart hat. Auch zwischen Deutschland und der Ukraine gibt es bereits bilaterale Vereinbarungen.

Was bedeutet die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen?

Relevant ist der Schritt vor allem psychologisch und symbolisch. Die EU zeigt den schätzungsweise mehr als 35 Millionen Menschen in der Ukraine und den 2,4 Millionen Menschen in Moldau, dass sie eine Perspektive haben, EU-Bürger zu werden. Er soll ein Zeichen sein, dass es sich lohnt, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen.

Der CDU-Außenpolitiker Michael Gahler sagt zum Start des Verhandlungsprozesses, für die Menschen in der Ukraine sei die Europäische Union „der verheißungsvolle Fluchtort aus dem düsteren Kriegsalltag“. Sie setzten große Hoffnungen auf EU.

Gilt das gleiche auch für Moldau?

Da es in Moldau keinen Krieg gibt, ist die Lage dort etwas anders, die EU hat aber auch ein strategisches Interesse daran, die Bürger des ukrainischen Nachbarstaates auf EU-Kurs zu halten.

„Die Republik Moldau wird wegen ihrer Solidarität mit der Ukraine und der proeuropäischen Orientierung, angeführt von Präsidentin Maia Sandu, vom Kreml offen ins Visier genommen“, erklärt David McAllister (CDU), der zuletzt Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament war. Das zeige sich besonders vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen im Oktober.

Welche Bedenken hat Ungarn?

Unmittelbar vor Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán das Verfahren kritisiert und vor ungeklärten Problemen für die EU gewarnt. Er halte es nicht für gut, Verhandlungen zu beginnen, ohne Klarheit in wichtigen Fragen zu haben.

Als Beispiele nannte er, dass man aus seiner Sicht erst prüfen müsse, was die Folgen wären, wenn man ein Land im Krieg aufnehme, dessen Grenzen in der Praxis nicht geklärt seien. Zudem müsse geprüft werden, was für Folgen der Beitritt des riesigen Landes für die Landwirtschaft der EU hätte.

Ungarn sei mit diesem Beitrittsprozess nicht einverstanden, es handele sich um einen „rein politisch motivierten Prozess“, so Orbán. Er fügte aber hinzu: „Wir blockieren ihn nicht und unterstützen den Start der Verhandlungen.“ Während der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft wolle er sich darum kümmern, „dass es bei der EU-Erweiterung Richtung Westbalkan vorangeht“.

Ukraine – und die EU als offizielle Kriegspartei?

Die riesige Landwirtschaft der Ukraine würde tatsächlich eine umfangreiche Reform der EU-Agrarförderungen notwendig machen. EU-Experten rechneten zuletzt aus, dass ohne Änderungen in einem Haushaltszeitraum von sieben Jahren EU-Mittel in Höhe von insgesamt 186 Milliarden Euro in die Ukraine fließen würden.

Beim Thema Grenzen gilt, dass die Ukraine vermutlich nicht EU-Mitglied werden kann, bevor nicht der Krieg mit Russland beendet wurde. Denn sonst könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags militärischen Beistand von anderen EU-Staaten einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei.

Grundsätzlich sind viele in der EU der Ansicht, dass eine Aufnahme von großen Ländern wie der Ukraine nur dann zu einem Erfolg werden kann, wenn es zuvor eine umfangreiche EU-Reform gibt. Die Entscheidungsprozesse im Bereich der Außenpolitik sind beispielsweise schon heute teilweise sehr schwerfällig, weil in der Regel das Einstimmigkeitsprinzip gilt.

Was sieht die Bundesregierung die Beitrittsverhandlungen?

Europastaatsministerin Anna Lührmann (Grüne) sagt: „Heute ist ein historischer Tag für Europa.“ Sowohl die Ukraine als auch Moldau hätten trotz der russischen Bomben, der Desinformationskampagnen und der Destabilisierungsversuche bereits große Fortschritte erzielt.

Auf dem Weg in die EU müssten noch viele Reformen folgen. Heute sei aber ein Tag zu feiern, morgen gehe die Arbeit weiter.

Europa-Staatssekretärin Anna Lührmann spricht von einem „historischen Tag“ für die EU. „Das ist ein guter Tag, weil wir damit honorieren, dass beide Länder trotz der sehr schwierigen Umstände enorme Reformanstrengungen unternommen haben“, sagte Lührmann am Rande eines Treffens der EU-Europaminister vor dem offiziellen Beginn der Beitrittsverhandlungen in Luxemburg.

„Beide Länder haben im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, der Korruptionsbekämfung und auch der Pressefreiheit enorme Fortschritte gemacht“, erklärte Lührmann.

Lührmann betonte, mit Blick auf einen Beitritt der Ukraine müsse auch die EU beginnen, sich „auf diese Erweiterung vorzubereiten“. Die Reformen müssten sicherstellen, dass „weniger destruktive Blockaden möglich sind“.

Worum geht es in den Beitrittsverhandlungen?

Grundsätzlich ist der Begriff Verhandlungen etwas irreführend. Letztlich geht es darum, dass die EU den Kandidatenländern sagt, was sie noch zu tun haben, um in die Union aufgenommen zu werden. Dabei geht es vor allem darum, nationale Rechtsvorschriften an EU-Recht anzupassen und die Wirtschaft und die Verwaltung EU-tauglich zu machen.

Um den Prozess übersichtlicher zu gestalten, wurden die Voraussetzungen in 35 sogenannte Kapitel eingeteilt. Am Anfang geht es beispielsweise vor allem darum, dass das Land die grundlegenden Beitrittsvoraussetzungen erfüllt. Dazu geht es dann um Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Justiz.

Bei den Beitrittskonferenzen für die Ukraine und Moldau in Luxemburg wird es erst einmal darum gehen, den beiden Ländern die Leitlinien und Grundsätze für die Verhandlungen vorzustellen. Die ersten Verhandlungskapitel dürften nach Angaben von EU-Diplomaten im Verlauf der nächsten zwölf Monate eröffnet werden.

Bis dahin muss die EU-Kommission noch in einem sogenannten Screening für die Verhandlungskapitel prüfen, inwieweit das nationale Recht des Beitrittskandidaten noch vom EU-Recht abweicht.

Wie lange werden die Beitrittsverhandlungen dauern?

Das ist noch vollkommen unklar und hängt vor allem von den Reformfortschritten der Kandidatenländer ab. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wurden beispielsweise bereits 2005 gestartet – und heute liegen sie wegen Rückschritten bei der Rechtsstaatlichkeit komplett auf Eis.

Relevant ist auch, dass für das Öffnen und Schließen der 35 Verhandlungskapitel eine einstimmige Entscheidung aller EU-Staaten notwendig ist. Dies birgt Blockade-Risiken. (dpa/red)



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