EU-Parlament segnet Asylpaket ab – Hilfsorganisationen warnen vor „Kindern in überfüllten Lagern“

Mit einer Mehrheit von Sozialdemokraten, Liberalen und Christdemokraten gab das EU-Parlament am Mittwoch grünes Licht für das im Dezember beschlossene europäische Asylpaket. Nun haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Vereinbarung umzusetzen – unter anderem durch den Bau von Einrichtungen für Grenzverfahren.
Das EU-Parlament hat für die umstrittene Asylreform gestimmt.
Das EU-Parlament hat für die umstrittene Asylreform gestimmt.Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa
Von 10. April 2024

Am Mittwoch, 10. April, hat das EU-Parlament mit Mehrheit dem im Dezember geschnürten Asylpaket zugestimmt. Dieses soll das Kernstück eines reformierten „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) darstellen. Mehr als acht Jahre lang hatten die Mitgliedstaaten zuvor nach abgestimmten Lösungen angesichts steigender Antragszahlen in der Staatengemeinschaft gesucht. Aufgrund heftiger Widerstände gegen verbindliche Verteilungsregeln aus Staaten wie Polen oder Ungarn waren zuvor mehrere Anläufe gescheitert.

Auch Deutschland hatte Bedenken gegen das Asylpaket angemeldet

Unter den größeren Parteien des EU-Parlaments und den meisten Mitgliedstaaten hatte es einen weitreichenden Konsens über das Asylpaket gegeben. Es hatte auch mehrere Anläufe gebraucht, um eine Einigung zwischen den Vertretern der Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments zu erreichen.

Nach einem Konsens über zentrale Inhalte des Pakets im Juni des Vorjahres waren einige Streitpunkte offengeblieben. Ländern wie Polen oder Ungarn waren die Restriktionen gegenüber weiterer Asyl-Zuwanderung nicht weit genug gegangen. Deutschland sperrte sich gegen eine mögliche Senkung der Unterbringungsstandards für geflüchtete Frauen und Kinder.

Außerdem hatte man Bedenken gegen eine Krisenverordnung. Diese hätte es von besonders massiven Fluchtbewegungen betroffenen Mitgliedstaaten ermöglicht, ihre Grenzen zur Weiterreise zu öffnen.

Italien hat bereits mit der Errichtung von Grenzeinrichtungen begonnen

Im Dezember hatte man sich auf jenes Asylpaket geeinigt, das am 10. April im EU-Parlament zur Abstimmung stand. Mit der Zustimmung sind die neuen Regelungen des GEAS noch nicht in Kraft. Die Mitgliedstaaten haben eine zweijährige Umsetzungsfrist vereinbart.

Dies soll unter anderem den Ländern an den Außengrenzen ermöglichen, entsprechende Einrichtungen zur Unterbringung von Asylsuchenden mit geringer Bleibeperspektive zu schaffen. Die für Migrationsagenden zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson erklärte, einige Mitgliedstaaten hätten faktisch bereits begonnen, die Inhalte des Migrationspakets vorzuvollziehen.

Im Vorjahr hatte beispielsweise Italien unter dem Eindruck tausendfacher Anlandungen in Lampedusa im September des Vorjahres mit dem Aufbau gefängnisartiger Unterbringungszentren begonnen. Zu diesem Zweck wurde unter anderem die Armee eingesetzt.

Grüne in Deutschland für das Asylpaket – im EU-Parlament größtenteils dagegen

Dennoch war es bis zum Schluss unsicher, ob die absehbare Mehrheit aus den Reihen der Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen halten würde. Die rechten und linken Randparteien inklusive der Grünen hatten bereits im Vorfeld eine Ablehnung des Pakets angekündigt.

Obwohl beispielsweise die deutschen Grünen als Teil der Ampelkoalition die Vereinbarung auf nationaler Ebene mittragen, übten ihre deutschen EU-Abgeordneten wiederholt Kritik an der Asylreform. Dies hat EVP-Chef Manfred Weber erzürnt, der hinsichtlich der Bedenken in acht von zehn Punkten des Pakets geäußert hatte:

„Die Grünen in Europa verweigern sich bisher einer Zustimmung zum Migrationspaket. Erneut zeigen die Grünen damit ihr doppeltes Gesicht: Zustimmung in Berlin, Boykott in Europa.“

Deren MdEP Erik Marquardt rechtfertigt seine Ablehnung. Das Asylpaket werde lediglich erreichen, dass Ankunftsländer ihre Flüchtlinge legal noch schlechter behandelten. Dies werde die Migration nicht begrenzen, sondern nur die Sekundärmigration nach Deutschland verstärken. Sein Fazit:

„Seit Jahren stellt man nach jeder Gesetzesverschärfung fest, dass man noch mehr Bürokratie und Probleme als vorher geschaffen hat. Da machen wir nicht mit.“

Macron bat Tusk telefonisch um Unterstützung für Migrationspakt

Auch in Polen gab es zuletzt immer stärkere Bedenken gegen den EU-Migrationspakt. Diese trugen nicht nur Abgeordnete der PiS, sondern auch solche der neuen Mitte-links-Regierung vor. Premier Donald Tusk hatte das Asylpaket jüngst persönlich infrage gestellt, vor dem Hintergrund wiederholter Flüchtlingsbewegungen an der belarussischen Grenze.

Da diese, wie er behauptet, von den Regierungen in Moskau und Minsk als Druckmittel und zu Zwecken der Destabilisierung eingesetzt würden, seien Polen einige asylrechtliche Garantien nicht zumutbar. Teils von Gewalt begleitete Pushbacks gegen Geflüchtete vonseiten polnischer Grenzschützer wolle er zwar „nicht rechtfertigen“, äußerte Tusk jüngst in einem Interview. Man müsse eine bessere Lösung finden, „aber die Alternative kann nicht Hilflosigkeit sein“.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bat Tusk dennoch in einem persönlichen Telefongespräch darum, auf skeptische Abgeordnete einzuwirken. Diese sollten sich der Stimme enthalten, statt mit einem „Nein“ eine Mehrheit für das Asylpaket zu gefährden.

Großen Erfolg hatte er damit nicht – aus Polen blieb es bei einer Vielzahl an Nein-Stimmen. Allerdings hatten sich die Fratelli d’Italia gegen die Fraktionslinie der EKR für den Pakt ausgesprochen. Zudem haben sich die französischen Republikaner, die als Skeptiker galten, der Stimme enthalten. Am Ende gab die Geschlossenheit von Sozialdemokraten, Liberalen und EVP den Ausschlag.

EU will Liste sicherer Drittstaaten erstellen

Im Vorjahr hatte die Asylbehörde der EU etwa 1,1 Millionen Anträge erfasst – etwa ein Drittel davon sei in Deutschland gestellt worden. Dies war der höchste Andrang seit 2016. Die meisten Asylsuchenden hatten Italien und Griechenland angesteuert. Zuletzt hatte es auch zunehmende Bewegungen von Mauretanien in Richtung Spanien gegeben.

Die neuen Regeln sollen vor allem die Hauptankunftsländer entlasten, Asylverfahren direkt an den Außengrenzen der EU erleichtern und die Abschiebung nicht Asylberechtigter erleichtern. Dies soll vor allem Geflüchtete aus Ländern betreffen, die eine geringe Anerkennungsquote von 20 Prozent und weniger aufweisen. Flüchtlingen aus Marokko, Tunesien oder Bangladesch soll so die Weiterreise verwehrt bleiben können. Auch ohne gültige Papiere eingereiste Asylbewerber sollen in den Grenzverfahren verbleiben.

Die Mitgliedsländer sollen Asylbewerber künftig auch in „sichere Drittstaaten“ wie Tunesien oder Albanien zurückschicken können – wenn diese dort über Ankerpunkte verfügen. Dazu zählen etwa Angehörige oder bestehende Beschäftigungsverhältnisse. Eine Liste sicherer Drittstaaten soll auf EU-Ebene erarbeitet werden. In Deutschland blockieren die Grünen einen solchen Prozess über den Bundesrat.

Sonderregelungen sollen Vorsorge für Krisen und Härtefälle darstellen

Die Zahl der Plätze in den sogenannten Grenzlagern soll in den kommenden Jahren von 30.000 auf 120.000 steigen. Juristisch sollen sie so ausgestaltet sein, dass die Geflüchteten als „nicht eingereist“ gelten. Deutschland scheiterte mit seinem Ansinnen, Familien mit Kindern von der Grenzregelung auszunehmen. Allerdings sollen für sie gewisse Erleichterungen gelten.

Unterdessen sollen auch Angehörige von Staaten wie Syrien und Afghanistan, die besonders hohe Anerkennungsquoten aufweisen, in die Grenzverfahren kommen können. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn sie als von Russland und Belarus „instrumentalisiert“ gelten. Im Krisenfall soll zudem das Grenzverfahren auf zusätzliche Zielgruppen ausgeweitet werden können.

Weitere Punkte im Asylpaket der EU betreffen einen verpflichtenden Solidaritätsmechanismus. Mindestens 30.000 Asylsuchende jährlich sollen von Italien oder Griechenland aus in andere Mitgliedstaaten verteilt werden. Staaten, die nicht aufnehmen wollen, sollen stattdessen einen Geldbetrag bezahlen, Grenzbeamte entsenden oder Maßnahmen in Herkunftsstaaten finanzieren. Die Erfassung von Fotos und Fingerabdrücken in der Eurodac-Datenbank soll bereits ab dem Alter von sechs Jahren erfolgen.

Kritik von rechts: „Asylbewerber kommen immer noch in die EU und bleiben“

Die Reaktionen auf das Asylpaket fallen höchst unterschiedlich aus. Der Abgeordnete der weit rechten ID-Fraktion, Harald Vilimsky, geht nicht davon aus, dass das Asylpaket grundlegende Änderungen bringen wird. In einer Erklärung äußert er, die EU halte am „völlig überholten und längst dysfunktionalen Prinzip“ fest, wonach „jeder, der es bis an die Außengrenze schafft, ein Asylverfahren erhalten und deshalb eingelassen werden muss“.

Zudem habe der Ausgang von Asylverfahren keine zwingende Auswirkung darauf, ob ein Asylsuchender in der EU bleiben dürfe. Es würden 80 Prozent aller ausreisepflichtigen Migranten real in der EU bleiben. Das Asylpaket, so Vilimsky, „schreckt nicht ab, weil nach wie vor unklar bleibt, wie endlich mehr abgeschoben und dem Recht zur Durchsetzung verholfen werden kann“.

Tatsächlich scheitern zahlreiche Rückführungen ausreisepflichtiger Personen an fehlenden Abkommen mit den Herkunftsstaaten. Die EU-Kommission hatte im Vorjahr ein Migrationskontrollabkommen mit Tunesien abgeschlossen. Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärte, es seien noch weitere Vereinbarungen dieser Art angestrebt.

„Ärzte ohne Grenzen“ beklagt „verschärfte Politik der Abschottung“

Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ kritisiert das Asylpaket aus anderen Gründen. Menschen, die vor Krieg und Gewalt flüchteten, „zahlen den Preis für eine verschärfte Politik der Abschottung, Abschreckung und Auslagerung“, erklärt Marcus Bachmann von deren österreichischer Sektion.

Bereits heute würden tausende Schutzsuchende unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern festgehalten. Dies sei unter anderem in Libyen, aber auch in EU-Ländern wie Griechenland oder Bulgarien der Fall. Betroffen seien auch Kinder und andere besonders verwundbare Personen.

Die aktuelle Reform des GEAS bedeute, dass die EU noch stärker als bisher auf Abschreckung, Abschiebung und Internierung setze, so Bachmann.

„Aber ‚Aus den Augen, aus dem Sinn‘ funktioniert nicht, wenn es um Menschenleben geht. Die Menschen zahlen den Preis.“

Der humanitäre Berater fordert eine bessere Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention. Die EU-Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass keine weitere Aushöhlung der Menschenrechte stattfinde.

„Zahllose Kinder künftig in überfüllte Lager gesteckt“

Kritik an der Entscheidung kommt auch von Florian Westphal, dem Geschäftsführer von „Save the Children Deutschland“. Dieser äußerte in einer Mitteilung:

„Ab heute ist es traurige Wirklichkeit: Die Festung Europa ist beschlossen. Die Verabschiedung des EU-Migrationspakts bedeutet eine massive Entrechtung von Kindern. Wir befürchten, dass in Zukunft zahllose Kinder in chronisch überfüllte und menschenunwürdige Lager an den EU-Außengrenzen gesteckt werden.“



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion