EU-Asylkompromiss: Heftige Debatten bei den Grünen
Nach der Zustimmung der Bundesregierung zur geplanten Verschärfung der europäischen Asylregeln zeichnen sich hitzige Diskussionen bei den Grünen ab. Kaum hatten die EU-Innenminister die Einigung ihrer Staaten in Luxemburg mit Applaus besiegelt, da meldeten sich die Doppelspitzen sowohl der grünen Partei- als auch Fraktionsführung mit je zwei unterschiedlichen Bewertungen zu Wort.
Nachdem die Grünen als Teil der Ampelregierung mit SPD und FDP den schwierigen europäischen Kompromiss zugelassen haben, distanziert sich ein Teil des Führungspersonals öffentlich davon – ein bemerkenswerter Vorgang.
Was beschlossen wurde
Die Asylverfahren in der EU sollen angesichts der Probleme mit illegaler Migration deutlich verschärft werden. Eine ausreichend große Mehrheit an Ministern stimmte in Luxemburg für umfassende Reformpläne.
Vorgesehen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.
Eine weitere Regelung sieht vor, dass alle EU-Länder verpflichtet sind, Flüchtlinge aus stark belasteten Mitgliedstaaten aufzunehmen. Dies soll gemäß eines festgelegten Verteilschlüssels erfolgen. Von Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, werden Ausgleichszahlungen verlangt.
Die vielstimmigen Grünen
Führende Grünen mühten sich nach der offensichtlich schmerzhaften Entscheidung um eine gemeinsame, wenn auch nicht einheitliche Kommunikation. So meldete sich Co-Parteichef Omid Nouripour mit einer Serie an Tweets zu Wort, in denen er das Für und Wider abwog, mit dem Ergebnis: „In der Gesamtschau komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen.“
Mit-Parteichefin Ricarda Lang äußerte sich ähnlich differenziert, aber mit dem Resultat, „dass Deutschland bei dem Vorschlag zur GEAS-Reform im Rat heute nicht hätte zustimmen dürfen.“ Sie schrieb aber auch: „Das ist eine verdammt schwierige Entscheidung, die sich niemand leicht gemacht hat. Deshalb habe ich Respekt für alle, die in der Gesamtabwägung zu einem anderen Entschluss gekommen sind als ich.“ GEAS steht für Gemeinsames Europäisches Asylsystem. Die Fraktionschefinnen Britta Haßelmann (dafür) und Katharina Dröge (dagegen) hielten es ähnlich wie die Spitzen der Partei.
Massive Kritik kam auch von Europaparlamentariern der Grünen. „Die EU-Mitgliedsstaaten haben ihren moralischen Kompass verloren“, monierte der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen. „Es ist beschämend, dass auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser mit Zustimmung der Ampelkoalition diesem Vorschlag zugestimmt hat.“
Die Fraktionschefin im Europaparlament, Terry Reintke, monierte: „Die Position des Rats widerspricht europäischen Werten wie den Grundrechten und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit.“ Die Fraktion lehne den Beschluss des Rats ab.
Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Habeck verteidigten den Kompromiss unter Verweis auf die Notwendigkeit einer Einigung in Europa. „Ich habe hohe Achtung vor denen, die aus humanitären Gründen zu anderen Bewertungen kommen“, sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur. „Ich hoffe, sie sehen auch, dass es Gründe gibt, dieses Ergebnis anzuerkennen.“ Eine Hoffnung, die an diesem Abend nicht nur er ausdrückte. Zustimmung kam in ersten Wortmeldungen eher von Vertretern des Realo-Flügels, Ablehnung von linken Grünen.
Baerbock verteidigt Kompromiss
Baerbock strich bei ihrem Besuch in Kolumbien am Donnerstag einen Teil ihres Programms, um in Videoschalten in Partei und Fraktion für den Kompromiss zu werben. Schnell nach der Einigung machte sie dann von Cali aus ihre Linie auch öffentlich klar. „Zur Ehrlichkeit gehört: Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätte beschließen können, dann sähe sie anders aus“, teilte sie mit. „Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird.“
Im Klartext: Hätte man in Luxemburg die Außengrenzen-Länder Italien und Griechenland überstimmt und nicht im Kompromiss mitgenommen, würde der angestrebte Dreiklang aus Registrierung, Verteilung und Grenzverfahren ohnehin kaum klappen. Die Bereitschaft von Rom oder Athen, bei der Registrierung mitzumachen, wäre dann wohl gegen null gegangen – und das ganze Konzept gescheitert. (dpa/dl)
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