Organhandel
„Das Töten der Falun Gong-Anhänger wegen ihrer Organe muss bekämpft werden“
Rede von Rechtsanwalt David Matas vor der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in der Schweiz.

David Matas: Seit 2006 unermüdlich weltweit unterwegs im Kampf gegen Organraub.
Foto: The Epoch Times
Rede von David Matas vor der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Bern in der Schweiz am 16. Januar 2010 anlässlich seiner Entgegennahme des Menschenrechtspreises der Schweizer Sektion für Menschenrechte. David Matas ist ein internationaler Menschenrechtsanwalt in Winnipeg, Manitoba, Kanada.
„Vier Boten kamen zu Hiob. Der eine berichtete über den Verlust seiner Ochsen und Esel mit ihren Aufsehern; der nächste berichtete über den Tod seiner Schafe und Hirten; der nächste berichtete über das Abschlachten aller seiner Kamele mit ihren Aufsehern und der vierte berichtete vom Tod aller seiner Söhne und Töchter. Jeder Bote sagte: „Ich bin nur entkommen, um Dir dieses zu berichten.“ Dieses sind auch die Worte Ishmaels in Herman Melvilles Roman Moby Dick am Ende seiner tragischen Geschichte über den Kapitän Ahab und das Schiff Pequod.
Genau genommen bin ich kein Überlebender des Holocaust, weil meine vier Großeltern schon vor dem Ersten Weltkrieg nach Kanada gekommen sind. In einem sehr realen Sinn aber ist jeder Jude ein Überlebender des Holocaust. Sechs Millionen Juden wurden getötet. Das Zielobjekt aber waren alle Juden. Es ist nur das Kriegsglück für die Alliierten über die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg, das die Alliierten gewinnen ließ. Wenn die Achsenmächte gewonnen hätten, würde heute kein Jude mehr leben.
Ich bin entkommen um zu berichten. Wenn das sinnlose Abschlachten so vieler Millionen Unschuldiger überhaupt einen Sinn erhalten soll, dann ist es der, dass wir aus dem Holocaust lernen müssen. „Niemals wieder“ zu sagen ist einfach. Dass aber „Niemals wieder“ auch geschieht, ist nicht so einfach. In Wirklichkeit hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg der Völkermord wieder und wieder ereignet– nicht an den Juden, aber an den Kambodschanern, den Hutus und Tutsis, den Bosniern, den Somaliern und jetzt den Praktizierenden von Falun Gong.
Eines der Dinge die ich versucht habe, aus dem Holocaust zu lernen ist: niemals zu akzeptieren, dass in aller Stille Menschenrechtsverbrechen geschehen, wo auch immer sie sich ereignen mögen. Der Holocaust wäre nie möglich gewesen, wenn die Menschen gegen Menschenrechtsverbrechen, wo sie auch geschahen, protestiert hätten.
Um das umzusetzen, was ich gelernt habe, habe ich mich für die Arbeit für die Menschenrechte eingesetzt. Ich gehöre zu den Frontkämpfern für die Menschenrechte. Indem ich an dieser Front kämpfe, musste ich einen Feind bekämpfen, der sich auf dem Schlachtfeld der Menschenrechte herumtreibt, einen Reiter der von Menschen gemachten Apokalypse, den Reiter der Hilflosigkeit.
Es herrscht ein allzu weit verbreitetes Gefühl dafür, dass die Menschenrechtsverletzungen so gravierend und so weit weg sind, dass man nichts dagegen tun kann. Doch ist es meine Überzeugung, dass nicht nur einzelne Länder wie Kanada, die weit entfernt sind von abscheulichen und schlimmen Verstößen, einen positiven Einfluss auf die Respektierung der Menschenrechte haben können. Es ist die Stimme eines jeden einzelnen Menschen in der Welt, die am wahrscheinlichsten zur Respektierung der Menschenrechte führt.
Es besteht eine Tendenz, sich an Regierungen oder an die Vereinten Nationen zu wenden, um die Respektierung der Menschenrechte voranzubringen. Die Menschenrechte jedoch sind Sache eines jedes Einzelnen. Solange nicht jedes Individuum die Respektierung der Menschenrechte unterstützt, werden diese Rechte verkümmern.
„Niemals wieder“ zu sagen, ist einfach. Dass aber „Niemals wieder“ auch geschieht, ist nicht so einfach.
Als man mich darum bat, mit David Kilgour Untersuchungen über die Anschuldigungen anzustellen, dass Falun Gong-Praktizierende wegen ihrer Organe getötet werden, habe ich sofort zugestimmt. Ich hatte keinen Überblick darüber, ob diese Behauptungen wahr waren. Aber ich wusste, dass die Regierung Chinas eine Politik verfolgte und auch in die Tat umsetzte, Falun Gong-Praktizierende zu verfolgen. Und durch meine Erfahrung mit nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen wusste ich, dass dieses eine Behauptung war, die die Organisationen nur schwer beurteilen konnten.
Für dieses vorgeworfene Verbrechen gab es keine Augenzeugen. Die Menschen, die bei dem Organraub zugegen waren, waren entweder Opfer oder Täter. Es gab niemanden, der zuschaute. Da aber die Opfer, wie behauptet wurde, ermordet und verbrannt wurden, konnte man keine Leichen finden, keinen Körper, an dem man eine Obduktion durchführen konnte. Es gab keine überlebenden Opfer, die berichten konnten, was geschehen war. Und Täter würden nicht zugeben, dass das, was geschehen war, Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren.
Das Verbrechen, falls ein solches geschehen war, würde keine Spuren hinterlassen haben. Wenn ein Organraub erst einmal durchgeführt war, sähe der Operationssaal so aus wie jeder andere leere Operationssaal auch.
Die chinesische Regierung unterdrückt Menschenrechtsverteidiger und -Reporter. Es gibt keine Meinungsfreiheit, keine Redefreiheit. Diejenigen, die innerhalb Chinas über Menschenrechtsverletzungen berichten, werden oft ins Gefängnis geworfen oder der Weitergabe von Staatsgeheimnissen bezichtigt und angeklagt.
Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes darf die Häftlinge in China nicht besuchen. Es existiert auch keine andere Organisation, die sich um die Menschenrechte der Häftlinge kümmert.
Diese offensichtlichen Hindernisse machten mir klar, dass die nichtstaatlichen Organisationen, mit denen ich zusammenarbeitete, nichts wegen der Anschuldigungen unternehmen würden. Da lag eine Anschuldigung vor, die geradezu nach Nachforschungen schrie, aber sie brachte keine etablierte nichtstaatliche Organisation dazu, Nachforschungen anzustellen. Darum stimmte ich zu, mit David Kilgour zusammen einzuschreiten, um die Lücke zu füllen.
Wie wir an die Anschuldigungen kamen und auf welche Beweise wir uns stützen – das herauszufinden überlasse ich Ihnen, wenn Sie unsere Arbeit lesen. Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass es eine hohe Anzahl von Organentnahmen bei Falun Gong-Praktizierenden, die damit nicht einverstanden waren, gegeben hat und immer noch gibt.
Im Juli 2006 kamen wir zu dem Schluss, dass die Regierung Chinas und ihre Agenturen in vielen Teilen des Landes seit dem Jahre 1999 eine große aber unbekannte Anzahl von Falun Gong-Anhängern, die wegen ihres Glaubens im Gefängnis saßen, getötet haben. Ihre lebenswichtigen Organe wie Nieren, Leber, Cornea und Herzen sind ihnen gegen ihren Willen entnommen und zu einem hohen Preis verkauft worden, manchmal an Ausländer, die in ihren Ländern mit langen Wartezeiten bei freiwilligen Organspenden rechnen müssen.
Unsere Schlussfolgerungen stützten sich nicht auf ein einzelnes Beweisstück, sondern auf die Gesamtheit der Beweisstücke, die wir in Betracht zogen. Jeder Teil der Beweismittel ist in sich selbst belegbar und in den meisten Fällen auch unanfechtbar. Doch wenn man sie alle zusammenstellt, ergibt sich ein belastendes Gesamtbild. Diese Zusammenstellung hat uns überzeugt.
Da wir beide Menschenrechtsaktivisten sind, konnten wir nicht untätig herumsitzen, als wir zu dem Schluss kamen, dass unschuldige Menschen wegen ihrer Organe getötet wurden. Unser Aktivismus, unsere Reisen, die wir für diesen Aktivismus unternahmen, haben uns neue Beweismittel entdecken lassen. Wir haben im Juli 2007 eine zweite Version unseres Berichtes und im November 2009 eine dritte in Form eines Buches herausgegeben. Es trägt den Titel: ‚Blutige Ernte: Untersuchungsbericht zu den Anschuldigungen der Organentnahmen an Falun Gong-Praktizierenden in China‘
Seitdem wir unsere Untersuchungen im Mai 2006 ankündigten, hat es in China und im Ausland viele Veränderungen gegeben. Änderungen in China bei Organtransplantationen sind folgende:
- Die chinesische Regierung hat den Handel mit Organen verboten. Am 1. Juli 2006 trat ein Gesetz ein, das den Handel mit Organen verbietet. (1)
Auch außerhalb Chinas hat es bedeutsame Entwicklungen gegeben, seitdem wir unsere Arbeit aufnahmen.
- Israel gab ein Gesetz heraus, das den Verkauf und die Vermittlungsgebühren von Organen verbietet. (4)
Diese Veränderungen reichen nicht aus, um den Missbrauch zu beenden, über den wir berichtet haben. Im Gegenteil – für die Falun Gong-Praktizierenden ist es noch schlimmer geworden, nicht besser. Seitdem wir mit unserer Arbeit begonnen haben, ist die Anzahl der zum Tode verurteilten und dann exekutierten Häftlinge stark zurückgegangen, aber die Anzahl der Transplantationen, die anfänglich auch zurückging, hat ihren vorherigen Stand wieder erreicht. Da die einzige wesentliche Quelle für Organe in China neben den Falun Gong-Praktizierenden nur die zum Tode verurteilten Häftlinge sind, so bedeutet ein Rückgang der Quelle der zu Tode verurteilten Häftlinge einen Anstieg der Quelle von Falun Gong Praktizierenden.
Obwohl die Verstöße gegen die Falun Gong Praktizierenden schärfer geworden sind, seitdem wir mit unserer Arbeit begonnen haben, so macht die beträchtliche Bewegung in Politik und Praxis sowohl innerhalb als auch außerhalb Chinas uns doch Mut. Der Wille zur Veränderung ist da. Wir müssen nur weiter Druck machen, dass die Veränderungen kommen bis der Missbrauch zu Ende ist.
Der Preis, den Sie uns heute hier verleihen, hilft bestimmt. Im Laufe der Jahre habe ich für meine Menschenrechtsarbeit schon viele Preise bekommen und ich schätze sie alle hoch. Aber dieser Preis ist etwas ganz Besonderes, weil das Seminar der letzten eineinhalb Tage das Wesentliche in unserer Arbeit aufgezeigt hat und wir die Zusage der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, sich uns im Kampf gegen diesen Missbrauch anzuschließen, erhalten haben.
Es sieht in diesen Tagen so aus, als ob jeder eine Abkürzung wolle. Die Anzahl der Menschen, die dazu bereit sind, sich durch unsere Auszeichnungen zu arbeiten, unsere Quellen zu prüfen und zu ihren eigenen Schlussfolgerungen zu kommen, ist dünn gesät. Aber es gibt sie – Kirk Allison, ein Akademiker an der Universität von Minnesota, Tom Treasure, ein Transplantationschirurg in Großbritannien, Howard Wang, ein Student von Yale, der seine Abschlussarbeit schreibt. Ihnen allen applaudiere ich.
Aber für die Medien, die die Parlamentarier, für die Bürokraten ist es oft nicht die Qualität unserer Arbeit, die zählt, sondern wer ihr zustimmt. Die Tatsache, dass David Kilgour und ich praktisch auf uns allein gestellt waren, war schon für viele ein Grund, unsere Arbeit in Frage zu stellen. Dass wir jetzt die Unterstützung einer respektierten, nichtstaatlichen Organisation wie der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte haben (und der ‚Menschenrechte Ohne Grenzen‘ mit Sitz in Belgien haben, die uns auch in unseren Bemühungen unterstützen), erleichtert die Last auf unseren Schultern, stärkt unsere Verteidigungskampagne und ergänzt unsere Untersuchungskapazität für die kommende Arbeit.
Darum danke ich Ihnen für diesen Preis. Und ich freue mich darauf, in den kommenden Monaten mit Ihnen zusammen zu arbeiten, in unserem Kampf, um das Töten von Falun Gong-Anhängern wegen ihrer Organe zu beenden.“
[1] Article 27, Clinical Application of Human Organ Transplant Technology Management Interim Provisions
[2] Jim Warren China moving rapidly to change transplant system Transplant News, September 2007
[3] „China’s Organ Reforms“, China Daily, August 26, 2009
[4] Shahar Ilan, With top rabbis‘ blessing, Knesset approves organ donation, Haaretz 24/03/2008
[5] Wang Changmin, Medical Doctors Brokering Organ Transplants Will be Banned from Visiting Taiwan Liberty Times in Taiwan, 10/26/2007
[6] Hospitals ban Chinese surgeon training, The Sydney Morning Herald, December 5, 2006
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