Belgiens neue Regierung steht: Mehr Kernenergie, straffer Haushalt, weniger Migration
Seit Montag, 3.2., hat Belgien offiziell eine neue Regierung. Zuvor hatten sich zwei flämische und zwei wallonische Parteien am Freitag nach fast 240 Tagen auf eine sogenannte „Arizona-Koalition“ geeinigt. In Belgien sind langwierige Regierungsbildungen keine Seltenheit. Im Jahr 2020 hatte es sogar 493 Tage gedauert, bis ein neuer Premierminister vereidigt werden konnte.
Ein Novum stellt es jedoch dar, dass mit Bart De Wever von der „Neuen Flämischen Allianz“ (N-VA) erstmals ein Politiker einer Partei die Regierung führt, die der flämischen Nationalistenbewegung entstammt. Ursprünglich verfolgte diese das Ziel, den belgischen Staat aufzuspalten. Zu Beginn der Koalitionsgespräche im Juli des Vorjahres hatte De Wever jedoch erklärt, dass sein Ziel nunmehr eine reformierte „Konföderation“ sei.
Belgien von zersplitterter Parteienlandschaft in beiden Landesteilen gekennzeichnet
Die belgischen Parlamentswahlen hatten im Vorjahr zeitgleich mit den EU-Wahlen am 9.6. stattgefunden. Dabei wurde die N-VA mit einem Ergebnis von 18,6 Prozent (plus 0,7 Prozent) stärkste Kraft vor dem ebenfalls flämisch-nationalistischen Vlaams Belang (VB). Auch die flämischen Sozialdemokraten (Vooruit) verzeichneten Zuwächse. Im wallonischen Landesteil gewannen Liberale (MR) und Christdemokraten (Les Engagés; LE) dazu.
Die Grünen, die zuvor an einer Sieben-Parteien-Koalition unter Führung des Liberalen Alexander De Croo beteiligt waren, verloren deutlich. Bereits am Wahlabend machten Vertreter vorheriger Regierungsparteien deutlich, dass sie für eine Neuauflage des Bündnisses trotz knapper Mandatsmehrheit nicht zur Verfügung stünden.
Künftig stellen N-VA, MR, Vooruit und LE gemeinsam die Regierung. De Wever hat anlässlich seiner Vereidigung angekündigt, dass eine straffe Haushaltspolitik, eine strengere Sozialpolitik und eine restriktive Migrationspolitik die Schwerpunkte des Kabinetts darstellen werden.
Ausstieg aus dem Ausstieg
Außerdem will Belgien den Atomausstieg rückgängig machen. Das 2003 unter Beteiligung der Grünen beschlossene Ausstiegsgesetz sei „überholt“, sagte De Wever bei seiner Regierungserklärung am Dienstag, einen Tag nach seinem Amtsantritt. Demnach sollen die Laufzeiten der bereits existierenden Kraftwerke mit einer Kapazität von vier Gigawatt verlängert werden. Zusätzlich sollen weitere Reaktoren geschaffen werden, um eine Kapazität von acht Gigawatt zu erreichen.
Ursprünglich sollten alle Reaktoren bis Ende 2025 abgeschaltet werden. Bereits die Vorgängerregierung von Premier Alexander De Croo hatte die Laufzeit der Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 bis 2035 verlängert. Die neue Regierung will diese nun für zehn zusätzliche Jahre laufen lassen und zwei weitere Reaktoren ebenfalls länger als geplant am Netz lassen.
Senat könnte als Gremium abgeschafft werden
Darüber hinaus hat die N-VA während der Koalitionsverhandlungen gefordert, mehr Befugnisse vom Föderalstaat auf die Regionen zu übertragen. Dies könnte zur Folge haben, dass der belgische Senat abgeschafft wird. Jedenfalls wird die Arbeitsmarktpolitik ein Bereich sein, der stärker in die Kompetenz der Regionen übergehen wird.
Auch in Bereichen wie dem Handel oder den diplomatischen Angelegenheiten soll die Vertretung der Teilstaaten gestärkt werden. Wirtschaftlich kündigt De Wever eine stärkere Deregulierung an. Dies betrifft auch den Bereich der Umweltvorgaben.
Damit folgt das Kabinett unter Führung der N-VA einem allgemeinen europäischen Trend von Mitte-Rechts-Regierungen. Die Partei ist auf europäischer Ebene in zweierlei Hinsicht vernetzt. Als Gesamtorganisation ist sie Teil der Europäischen Freie Allianz (EFA). Dieser gehören regionalistische und separatistische Parteien an – vom SSW und der Bayernpartei über linksgerichtete Regionalparteien in Schottland und Spanien bis hin zur rechten Süd-Tiroler Freiheit.
Abkehr vom Pazifismus der alten „Volksunie“
Im EU-Parlament gehören EFA-Mitgliedsparteien hingegen unterschiedlichen Fraktionen an. Die N-VA ist in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) – der auch die polnische PiS und die Fratelli d’Italia angehören.
Wie deren Parteichefin Giorgia Meloni will De Wever auch die Verteidigungsausgaben ausweiten. Dies stellt neben der Abkehr von der Forderung nach einem unabhängigen Flandern einen weiteren Bruch mit dem traditionellen flämischen Nationalismus dar. Dieser war ursprünglich strikt pazifistisch ausgerichtet.
Die Bewegung des flämischen Nationalismus geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Sie forderte innerhalb des belgischen Königreichs eine Gleichberechtigung der niederländischen mit der französischen Sprache. Im Jahr 1898 wurde dies zwar offiziell durch das Gleichheitsgesetz verankert, die Durchsetzung verlief jedoch teilweise schleppend und die Rivalitäten zwischen dem flämischen und dem wallonischen Landesteil blieben erhalten.
Nationalisten kehrten in den 1950er-Jahren in das politische Leben in Belgien zurück
Während der Weltkriege kollaborierten Teile der flämischen Nationalbewegung mit den deutschen Besatzern. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es bis 1954, ehe mit der „Volksunie“ wieder eine flämisch-nationalistische Partei zugelassen wurde. Diese war gesellschaftspolitisch jedoch liberal ausgerichtet und arbeitete vorwiegend mit den Sozialdemokraten zusammen.
Allerdings blieb in weiten Teilen der flämischen Bevölkerung der Eindruck verbreitet, dass die Existenz des einheitlichen Staates Belgien die Region Flandern zugunsten der frankophonen Wallonie benachteilige. Deshalb spielt der Gedanke der Unabhängigkeit bis heute in den flämischen Provinzen eine Rolle. Jedoch gibt es unter den Befürwortern erhebliche Differenzen darüber, welche gesellschaftspolitische Ausrichtung ein unabhängiges Flandern haben sollte.
Dies spiegelte sich unter anderem auf der traditionellen Wallfahrt zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, der IJzerbedevaart in Diksmuide, wider. In den 1970er und 1980er-Jahren reisten Vertreter zahlreicher rechtsextremistischer Organisationen aus ganz Europa zu dieser an – unter anderem Vertreter der NPD, der JN oder der „Wehrsportgruppe Hoffmann“.
Nach Ausschreitungen zwischen Extremisten und der Polizei distanzierten sich die Veranstalter Mitte der 1990er Jahre von diesen. Fortan gab es jeweils zwei konkurrierende Events. An der offiziellen Veranstaltung nahmen fortan auch Vertreter nichtnationalistischer Parteien oder Belgier mit Migrationsgeschichte teil. Mittlerweile hat die IJzerbedevaart jedoch generell an Bedeutung eingebüßt.
Abspaltungen und Neugründungen prägen flämischen Nationalismus
Parteipolitisch hatte sich der radikalere Teil der Unabhängigkeitsbewegung 1978 von der Volksunie abgespalten. Aus den Splitterparteien Vlaamse Volkspartij und der Vlaams Nationale Partij ging der „Vlaams Blok“ (VB) hervor, der in den 1990er und frühen 2000er-Jahren Erfolge feiern konnte.
Vor dem Hintergrund eines drohenden Parteienverbots löste sich der VB 2004 auf und gründete sich als „Vlaams Belang“ wieder. Als eine der ersten europäischen Rechtsaußenparteien wandelte man sich von einer revisionistisch ausgerichteten „altrechten“ in eine „rechtspopulistische“ Formation.
Im Jahr 2001 hatte sich jedoch auch die Volksunie gespalten. Aus ihr gingen die linksliberale Partei „Spirit“ und die N-VA hervor. Während „Spirit“ an Bedeutung verlor und nach mehreren Umbenennungen 2009 in den flämischen Grünen aufging, rückte die N-VA über den Umweg eines „Kartells“ mit den Christdemokraten in die rechte Mitte.
In den 2010er-Jahren gelang es ihr, wieder die führende Rolle unter den flämischen Nationalisten gegenüber dem Vlaams Belang zu erlangen. Während die N-VA als Juniorpartner bereits 2014 erstmals an einer belgischen Regierung beteiligt war, gilt der Vlaams Belang bis heute nicht als koalitionsfähig. Gleichzeitig spricht dieser sich nach wie vor für eine Zerschlagung des belgischen Staates aus.
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