Ärzte ohne Grenzen zieht sich zurück: Was hinter dem Stopp der Rettungseinsätze steckt
Die Entscheidung der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, ihre Rettungseinsätze für Geflüchtete im zentralen Mittelmeer einzustellen, hat möglicherweise nicht nur mit strengeren Vorschriften Italiens zu tun. Auch die EU insgesamt scheint ihr Vorgehen gegen irreguläre Migration über den Seeweg in einer Weise zu verschärfen, die auch sogenannte Seenotrettung infrage stellt. Wie AP berichtet, haben sich die Mitgliedstaaten am Freitag, 13.12., auf weitere Verschärfungen geeinigt.
Konkret ging es demnach um einen Gesetzesentwurf zur Verhinderung und Bekämpfung von Menschenschmuggel – und eine Erhöhung der Strafen für dieses Delikt. Die Einigung soll die Grundlage für die anstehenden Verhandlungen mit dem EU-Parlament sein. Neben der Verschärfung der Sanktionen beinhaltet der Entwurf auch eine Erweiterung der Begriffsdefinition für Menschenschmuggel.
Italien hat Gesetze bereits in den vergangenen Jahren deutlich verschärft
Vor allem Italien übt seit 2022 eine Vorreiterrolle bei der Verschärfung der Einreise Flüchtlingen nach Europa aus. Die Gesetzgebung verpflichtet Rettungsschiffe beispielsweise, nach jedem Einsatz unverzüglich den zugewiesenen Hafen anzulaufen. Weitere Rettungen dürfen die Beteiligten bis dahin nicht mehr durchführen. Häufig, so „Ärzte ohne Grenzen“, weise Italien den Rettern weit entfernte Häfen zu, was zu einem erheblichen Zeitverlust führe.
„Ärzte ohne Grenzen“ beklagte, dass eines seiner Schiffe festgehalten worden sei, weil es auf der Fahrt zum zugewiesenen Hafen auch andere in Not befindliche Migranten aufgenommen habe. In einem anderen Fall kam es zu einer Festsetzung, weil sich „zu viele Passagiere“ auf einem Boot befunden hätten. Ein Aufklärungsflugzeug einer NGO erhielt Flugverbot. Es habe „zu viele Stunden auf See verbracht“.
Verstöße gegen die Regelungen zum Hafenanlauf zogen bisher mindestens 20 Tage Festsetzung eines Schiffs nach sich – und Geldstrafen bis zu 10.000 Euro. Damit habe die Regierung in Rom die zuvor schon geltenden Strafdrohungen noch einmal verschärft. Die Haftung für Verstöße trifft in Italien außerdem mittlerweile nicht mehr nur den Kapitän, sondern auch die Eigentümer von Schiffen. Zu diesen gehört unter anderem die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD).
GEAS der EU ermächtigt Staaten zu „gefängnisähnlichen“ Lagern an Außengrenzen
Während die EU sich an Italiens härterer Gangart in der Migrationspolitik immer mehr ein Beispiel zu nehmen scheint, hat der Europarat diese scharf kritisiert. Das Anti-Folter-Komitee der Einrichtung (CPT) hat – ebenfalls am Freitag – einen Bericht veröffentlicht, in dem von untragbarer Behandlung Geflüchteter die Rede war.
In den „Zentren für Inhaftierung und Rückführung“ in Mailand, Gradisca, Potenza und Rom sind irregulär eingereiste Personen unterzubringen. Unter anderem seien dies solche, die versuchen, ohne gültiges Visum einzureisen, nicht zur Stellung von Asylanträgen berechtigt sind oder als „sozial gefährlich“ eingestuft sind.
Der Bericht dokumentiert Fälle, die von körperlicher Misshandlung und übermäßige Gewalt bis hin zum Einsatz nicht verschriebener Psychopharmaka gegen Inhaftierte reichten. Zugleich spricht der Bericht von mangelhafter Dokumentation entsprechender Vorfälle und einer fehlenden Überwachung des Umgangs mit den Betroffenen.
Suizidversuche und Selbstverstümmelungen in Anhaltezentren
Der Bericht des CPT stützt sich auf eigene Beobachtungen der vier Zentren, die von einer Delegation des Komitees evaluiert werden sollten. Der Europarat bemängelte die Fesselung von Flüchtlingen mit Handschellen über einen langen Zeitraum, „karzerähnliche“ Elemente oder schlechte Zustände in sanitären Einrichtungen.
Das Sicherheitskonzept sei unverhältnismäßig, gleichzeitig gebe es nur unzureichende Anstrengungen, um den Angehaltenen Aktivitäten mit Freizeitcharakter zu ermöglichen. Das CPT kritisiert außerdem mangelnde Transparenz der Verwaltung der Zentren durch private Auftragnehmer.
In der Zeit von 2019 bis 2024 seien nach Angaben von Hilfsorganisationen mindestens 13 Menschen in den Anhaltezentren gestorben, fünf von ihnen durch Suizid. Dazu komme eine dreistellige Zahl an Fällen von Selbstmordversuchen oder Selbstverletzungen.
Die Lager existieren seit 1999, die Regierung bezeichnet sie als erforderlich, um Menschen davon abzuhalten, auf ihrem Weg über das Mittelmeer ihr Leben zu riskieren. Rom zufolge seien einige „Gefängniselemente“ notwendig, um Ausbrüche aus diesen Einrichtungen zu verhindern.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), auf die sich die EU-Mitgliedstaaten vor einem Jahr einigten, stärkt Rom den Rücken. Dort war explizit von der Errichtung haftähnlicher Anhalteeinrichtungen die Rede für Flüchtlinge, deren Anträge als wenig aussichtsreich gelten. Die Regierung hat im Einklang mit dem GEAS auch die maximal zulässige Anhaltedauer von 90 auf 180 Tage ausgeweitet.
Die Regierung Meloni hatte mit Albanien zudem ein Abkommen über den Betrieb zweier Lager dieser Art auf albanischem Territorium geschlossen. Gerichte hatten die Maßnahme jedoch mittlerweile für rechtswidrig erklärt.
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