Von der Leyens Strategie ging auf: Im Spagat in die nächste Amtszeit

Am Ende hat es doch relativ sicher gereicht: Von der Leyen ist vom Europaparlament für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin bestätigt worden. Trotz juristischem Ärger fiel ihre Wiederwahl besser aus als das Ergebnis vor fünf Jahren. Das dürfte vor allem einer Strategie zu verdanke sein.
Titelbild
Roberta Metsola (R), Präsidentin des Europäischen Parlaments, und Ursula von der Leyen sprechen nach der Wiederwahl von der Leyens als Leiterin der Europäischen Kommission mit den Medien.Foto: Johannes Simon/Getty Images
Von 18. Juli 2024

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Hat sie die Mehrheit oder hat sie diese nicht? Diese Frage hing seit Tagen wie ein Damoklesschwert auf Ursula von der Leyen. Seit Wochen warb sie deshalb um Verbündete unter den Fraktionen im EU-Parlament. Sie wollte als Präsidentin der Europäischen Kommission auf jeden Fall wiedergewählt werden.

Von der Leyen fehlte sogar auf dem NATO-Gipfel zum 75-jährigen Bestehens des Verteidigungsbündnisses Anfang Juli in Washington. Das ließ aufhorchen: Eigentlich wäre so ein Treffen für die EU-Kommissionspräsidentin ein Pflichttermin gewesen. Die CDU-Politikerin wusste aber, dass sie nach dem 18. Juli nur Präsidentin der EU-Kommission bleibt, wenn sie die absolute Mehrheit hinter sich versammeln kann. 

Die Europäische Volkspartei (EVP), der auch die CDU und die CSU aus Deutschland angehören, hatte Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit nominiert. Den Großteil der EU-Abgeordneten dieser Fraktion dürfte sie daher schnell hinter sich gebracht haben. Es gab aber auch Gegner. Schon im Januar hatte der Spitzenkandidat der französischen Republikaner François-Xavier Bellamy dem Radiosender „France Inter“ gesagt, die bisherige Bilanz von der Leyens entspreche „nicht den aktuellen Erwartungen Europas“.

Hauptkritikpunkt der französischen Republikaner war der „Green Deal“, mit dem die Deutsche die EU bis 2050 klimaneutral machen wollte. Bellamy hatte von der Leyen immer wieder vorgeworfen, ihre Politik sei nicht bauernfreundlich genug und sie überhäufe die Wirtschaft mit Bürokratie.

Immer mit Abweichlern rechnen

EVP, Liberale und Sozialdemokraten verstehen sich innerhalb des Parlaments als eine gemeinsame Plattform. Eine Koalition ist dieses Dreierbündnis zwar nicht, trotzdem konnte die Kommissionspräsidentin bei der Mehrheit dieser Abgeordneten Zustimmung erwarten. Insgesamt stellt das Dreierbündnis 401 Abgeordnete der insgesamt 720 Abgeordneten im Europaparlament. Das wäre die nötige Mehrheit. Allerdings gibt es im EU-Parlament, anders als im Bundestag oder in den Landtagen, keinen Fraktionszwang. Man muss immer mit Abweichlern rechnen. Die Abstimmung war geheim.

Daher ist eine Abweichlerquote von mindestens zehn Prozent die Regel. Ursula von der Leyen benötigte heute Mittag also auch noch Stimmen aus anderen Fraktionen, um wiedergewählt zu werden. 

Verstoß gegen EU-Recht ohne Folgen bei Wahl

In dieser für von der Leyen äußerst angespannten Situation platzte kurz vor dem Showdown im Europaparlament ein Urteil des EU-Gerichts, das die Situation für die Kommissionspräsidentin nicht leichter gemacht haben dürfte. Mit der Geheimhaltung von Informationen zu milliardenschweren Corona-Impfstoffverträgen hat die Kommissionspräsidentin gegen EU-Recht verstoßen. Mit Blick auf mögliche Interessenkonflikte und Entschädigungsregeln für Impfstoff-Hersteller habe die Brüsseler Behörde nicht ausreichend Zugang zu Dokumenten gewährt, entschieden die Richter in Luxemburg.

Das Urteil kann vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) angefochten werden, die Entscheidung ist nun aber erst einmal im Raum. Rechtsbruch durch die Präsidentin der EU-Kommission nicht ausgeschlossen, dass das Urteil in Luxemburg noch einmal manchen EU-Abgeordneten am Morgen nachdenklich gemacht hat. Nicht das einzige Problem für von der Leyen. 

Zwischen Ökologie und rechter Politik

Um eine sichere Mehrheit zusammenzubringen, musste die EU-Kommissionspräsidentin einen Spagat wagen. Für ihre Wiederwahl umgarnte sie zwei politische Gegner im Europaparlament, die beide für sie stimmen sollten: die Grünen und die Postfaschisten von den Fratelli d’Italia, der Partei von Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni.

Die Fratelli d’Italia ist Mitglied in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europaparlament. Diese Fraktion unterstützt zwar die westliche Ukraine-Politik, äußert sich aber in anderen Fragen immer wieder rechtskonservativ. Die polnische Partei PiS ist nach Fratelli die zweitgrößte Partei dieser Fraktion. Sowohl die Fratelli als auch die Grünen hatten angekündigt, Ursula von der Leyen ihre Stimme zu verweigern, falls sie eine Kooperation mit ihren jeweiligen politischen Gegnern einginge. Zuletzt hatten die Grünen allerdings immer wieder signalisiert, eine Wiederwahl von der Leyens zu unterstützen. Zwei Stunden vor der Wahl erklärten die europäischen Grünen auf der Plattform X, dass sie Ursula von der Leyen wählen werden:

„Die Fraktion Die Grünen/EFA hat formell beschlossen, Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin zu unterstützen. Als Teil der Vier-Parteien-Mehrheit haben wir Verpflichtungen zum EU-Green Deal, zu mehr sozialer Gerechtigkeit in der EU und zum Schutz der Demokratie erreicht. Wir halten die Rechtsextremen von der Macht fern.“

Wie das Onlineportal „Euractiv“ schreibt, gab es auch bei der Fratelli d’Italia von Georgia Meloni konkrete Überlegungen, die 65-jährige CDU-Politikerin bei einer Wiederwahl zu unterstützen. Offiziell gab sich die italienische Ministerpräsidentin Meloni bedeckt, was eine Wahl von der Leyens betraf. Mehrere Quellen aus der EKR-Fraktion, so schreibt „Euractiv“, sagten aber gegenüber dem Portal, dass die 24 Europaabgeordneten der Fratelli d’Italia aller Wahrscheinlichkeit nach für Ursula von der Leyen stimmen werden, damit sie wiedergewählt wird.

Das Onlineportal schreibt weiter, dass sich Meloni damit auch von Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán und seinen neu gegründeten, rechtspopulistischen „Patrioten für Europa“ distanzieren möchte.

Die Europäische Volkspartei (EVP) umwirbt Meloni bereits seit Längerem und sieht sie als Gegengewicht für den Fall, dass die progressiven Kräfte der sich abzeichnenden informellen Abstimmungsallianz aus Grünen, S&D und Renew zu sehr auf grüne Politik setzen.

Im Mai hatte auch von der Leyen in einem Interview im „Deutschlandfunk“ in Richtung der Rechten geblinkt. Die Kommissionspräsidentin sagte damals:

„Das Kriterium für mich ist, dass die Abgeordneten, mit denen wir zusammenarbeiten wollen, denen wir ein Angebot machen, für Europa sind, für die Ukraine, also gegen Russland, und für den Rechtsstaat.”

Es gehe darum, politische Kräfte zu gewinnen, die für die Mehrheit in der Mitte wichtig seien.

Hände nach allen Seiten ausgestreckt

Zwei Dinge sollten heute die EU-Kommissionspräsidentin in die nächste Amtszeit katapultieren. Im Vorfeld hatte das Team von Ursula von der Leyen sogenannte Leitlinien zusammengestellt, die einen Überblick über ihre politischen Pläne geben sollten. Wie die „Tagesschau“ schreibt, kamen die Leitlinien eine Stunde vor Beginn ihrer Rede im EU-Parlament bei den EU-Abgeordneten an.

Die Rede selbst wirkte wie ein „Kessel Buntes“ – für jeden sollte etwas dabei sein:

  • Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit sind die obersten Prioritäten ihrer Agenda
  • Bürokratie in der EU abbauen mit einem speziellen Vize-Präsidenten
  • Signifikante Verstärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex auf 30.000 Beamte
  • Kooperationen mit südlichen Mittelmeerländern vertiefen, um Migration zu regulieren
  • Verstärkte Rückführung von Migranten
  • Fortführung des Green Deals 
  • Zugleich günstigere Bedingungen für Unternehmen, um Klimaziele zu erreichen
  • Gesetzespaket für saubere Industrie und niedrige Energiekosten

Lob und Kritik nach der Wahl

Die Strategie von Ursula von der Leyen ging am Ende auf. Gegen 14:15 Uhr verkündete Parlamentspräsidentin Roberta Metsola das Abstimmungsergebnis: 401 Abgeordnete stimmten für von der Leyen, 284 gegen sie, außerdem gab es 15 Enthaltungen. Sie benötigte mindestens 361 Stimmen. Ihr Ergebnis fiel damit besser aus als bei ihrer ersten Wahl vor fünf Jahren, als sie mit einer knappen Mehrheit von neun Abgeordneten ins Amt gewählt wurde.

Kurz nach der Wahl gab es sowohl Lob, als auch Kritik für die 65-jährige Kommissionspräsidentin. 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem klaren Zeichen für die Handlungsfähigkeit in der Europäischen Union. „Die Europäerinnen und Europäer erwarten, dass wir Europa voranbringen. Gehen wir es gemeinsam an“, schrieb Scholz auf X.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte ebenfalls ihre Glückwünsche. „Deine Wahl ist eine gute Nachricht für Europa“, verfasste Baerbock auf X. „Denn in diesen stürmischen Zeiten braucht es eine echte Herzenseuropäerin an der Spitze der EU-Kommission. Lass uns Europa gemeinsam stärker und handlungsfähiger machen.“

CDU-Chef Friedrich Merz schloss sich den Gratulationen an. „Europa muss jetzt vor allem Sicherheit gewährleisten, Wohlstand sichern und Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wachstum schaffen. Wir werden dabei nach Kräften unterstützen“, teilte Merz auf X mit.

Aus Sicht des Bündnis Sahra Wagenknecht war die Wiederwahl hingegen ein schwerer Fehler. „Das BSW hat gegen Ursula von der Leyen gestimmt“, zitiert die „Tagesschau“ Parteigründerin Sahra Wagenknecht. Wagenknecht kritisierte, dass die CDU-Politikerin die Ukraine militärisch unterstütze und den Krieg im Gazastreifen nicht ausreichend kritisiere. Damit habe „die EU die Idee eines Friedensprojekts endgültig begraben“.  Besonders prangerte Wagenknecht den „Green Deal“ für mehr Klimaschutz an. Dieser lege „eine Axt an den Wohlstand der Menschen, insbesondere in Deutschland“, so die BSW-Vorsitzende.



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