Informationskrieg um Butscha-Massaker
Die Ukraine sowie der Rest der westlichen Welt sehen im russischen Militär den Täter der Gräuel in Butscha und fordern entschieden, mit aller Härte gegen Putin vorzugehen. Russlands Verteidigungsministerium weist die Schuld von sich und behauptet: „Das Massaker von Butscha ist eine ukrainische False-Flag-Operation.“
UN-Sicherheitsrat lehnt Gespräche ab
Dmitri Polanskij, der erste stellvertretende ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, verlangte einem Bericht der „Bild“ zufolge auf Twitter: „Angesichts der eklatanten Provokation durch ukrainische Radikale in Butscha hat Russland die Einberufung einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats gefordert“.
Die Sitzung sollte für Montag einberufen werden. Großbritannien hat derzeit den Vorsitz im Sicherheitsrat und lehnte den Antrag ab. Der russische Chefermittler Alexander Bastrykin hat am Montag ankündigt, dass Russland nun selbst offizielle Ermittlungen einleite.
Auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow widersprach den Vorwürfen vehement: Die Fakten und der zeitliche Ablauf der Vorkommnisse entsprächen nicht der ukrainischen Darstellung. Experten des russischen Verteidigungsministeriums hätten Anzeichen für „Videofälschungen“ und „Fakes“ entdeckt. „Nach dem zu urteilen, was wir gesehen haben, kann man diesen Videobildern nicht trauen.“
Das US-Verteidigungsministerium sieht die russischen Streitkräfte für das Massaker in Butscha als Verantwortliche, wie „Ruhrnachrichten“ berichtet. „Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich – nicht nur für uns, sondern für die Welt – dass russische Kräfte für die Gräueltaten in Butscha verantwortlich sind“, sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby.
Erklärung des russischen Militärs
„RT“ veröffentlichte die Erklärung des russischen Militärs im Wortlaut. Ihre Version sieht anders aus. Darin heißt es unter anderem:
Außerdem seien die Ausfahrten aus der Stadt nicht blockiert worden und die Einwohner hätten sich die ganze Zeit über frei in der Stadt bewegen und die Mobilfunkkommunikation frei nutzen können.
Weiterhin habe Anatoli Fedoruk, der Bürgermeister der Stadt Butscha, am 31. März in seiner Videobotschaft bestätigt, dass sich niemand mehr vom russischen Militär in der Stadt befinden würde. Einwohner, die mit gefesselten Händen auf der Straße erschossen worden seien, habe er dabei nicht erwähnt, so Fedoruk. Der russische Wortlaut der Videobotschaft wurde durch einen Epoch Times-Mitarbeiter bestätigt.
Bildmaterial wirft Fragen auf
Auch der Erste Stellvertretende Informationsminister der Volksrepublik Donezk (DVR), Daniil Bessonow, sprach mit „RT“ über seine Bedenken am Wahrheitsgehalt des Bildmaterials.
Bei dem vom ukrainischen Verteidigungsministerium veröffentlichten Videomaterial sieht er mehrere Hinweise, die seiner Ansicht nach für eine Inszenierung des ukrainischen Militärs sprechen.
Auf den Bildern seien sehr viele Menschen auf den Straßen zu sehen, die ihren täglichen Geschäften nachzugehen schienen, als wäre es eine friedliche Stadt gewesen. Doch: „Niemand hätte in einem aktiven Kampfgebiet ohne dringende Notwendigkeit seinen Keller oder sein Haus verlassen“, sagte er.
Bessonow findet es zudem merkwürdig, dass keine Gesichter der mutmaßlich Toten zu sehen seien und es keine Blutspuren auf der Kleidung oder am Boden gäbe.
Seiner Meinung nach könnte das Kiewer Regime sowie auch westliche Strippenzieher ein Interesse daran haben, zur Not auch selbst Hand anzulegen und mit Inszenierungen für medienwirksame Bilder zu sorgen.
Laut dem Vize-Informationsminister der DVR seien ukrainische Spezialisten für psychologische Kriegführung in der Anfertigung solcher Machwerke von westlichen Kollegen geschult worden. Der weißrussische Geheimdienst KGB meldete bereits die Beteiligung westlicher Geheimdienste an der Aufstellung ukrainischer Zentren für psychologische Kriegsführung.
Wurden die weißen Armbinden zum Verhängnis?
Alexander Koz, Kriegsreporter des Kreml-nahen auflagenstarken russischen Blatts „Komsomolskaja Prawda“, soll bis zum Abzug der russischen Truppen einen Monat lang in der Region gewesen sein. Gegenüber „RT“ sagte er, er habe weiße Armbinden als Erkennungszeichen bei den russischen Verbänden gesehen. Damit diese die Zivilisten erkennen, hätten auch die Einheimischen mehrheitlich weiße Armbinden benutzt.
Laut Koz würde ein Post des in Butscha wohnhaften ukrainischen Bloggers Wladimir Skljarow seine Aussage bestätigen.
Dieser berichtet über sein Zusammentreffen mit der russischen Armee:
„Sie sagten: ‚Gib allen weiter, dass wir keinem was tun werden. Sie sollen weiße Bettlaken aus dem Fenster hängen, damit wir sehen, dass da Zivilisten wohnen. Sie sollen sich ruhig verhalten und sich in Kellern verstecken oder was ihr da habt. Wir ballern nur auf Nazis und Bandera-Jünger.'“ Auch hier hat Epoch Times den Wortlaut der Videobotschaft überprüft.
Aufgrund seiner Beobachtungen vor Ort und des veröffentlichten Bildmaterials vermutet Koz, dass, nachdem die russischen Truppen abgezogen sind und die ukrainischen Streitkräfte nach Butscha gekommen waren, sie auf alle Menschen mit weißen Armbinden schossen im Glauben, es handele sich um Russen.
Die dargelegten Fotobeweise hält Alexander Koz für bedenklich: „Der Zustand der Leichen lässt darauf schließen, dass sie frühestens vorgestern ermordet wurden. Ich weiß, wie Leichen aussehen, wenn sie tagelang auf der Straße gelegen haben. Hier ergibt sich ein ganz anderes Bild.“ Das ZDF berichtete von US-Satellitenbildern, nach denen die Leichen bereits Wochen vor dem russischen Abzug auf der Straße gelegen haben sollen.
Der frühere Donbass-Volksgouverneur, Pawel Gubarew, spricht ebenfalls von einer routinemäßigen Praxis der Selbstmarkierung von Zivilisten mit weißen Bändern: „Gesehen habe ich das in Iwankow, Krasny Rog, Marjanowka und anderen Ortschaften.“ Im März sei er als einfacher Soldat der russischen Streitkräfte in der Region um Butscha gewesen.
Ein Überlebender aus Butscha berichtet
Der Bericht des ukrainischen Überlebenden von Butscha, Wladislaw Kozlowsky, beschreibt ein anderes Szenario. Wie „Focus“ berichtet, seien er und andere Einheimische von den Besatzern überprüft und unter widrigsten Umständen als Geiseln gehalten worden. „Wenn jemand an der Anti-Terror-Operation, dem Militäreinsatz im Donbass zwischen 2014 und 2018, teilgenommen hatte oder zur Verteidigungsarmee gehörte, wurde er sofort erschossen“, sagte er. „Sie kontrollierten auch Tätowierungen und suchten nach ‚Nazis‘. Es wurden auch diejenigen erschossen, die das Wappen der Ukraine trugen.“
Laut Kozlowsky hätten bis kurz vor der Befreiung der Stadt durch die ukrainische Armee die brutalen Kadyrowiten, die Truppen des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, in Butscha gewütet. Und: „In der letzten Woche sind sie von morgens an durch Wohngebiete gelaufen und haben auf jeden geschossen, den sie gesehen haben.“ Inwieweit zu diesem Zeitpunkt russische Truppen noch vor Ort waren, bleibt im Bericht unerwähnt.
Angesichts der unterschiedlichen Informationen scheint die Faktenlage nicht eindeutig geklärt und bedürfte weiterer Nachforschungen.
Emotion und Moralisierung in der Berichterstattung
Der Medienwissenschaftler Michael Haller kritisiert in einem Interview mit „Heise online“ die deutsche Medienreaktion. Problematisch sei, dass sofort eine Beurteilung mit klarer Schuldzuweisung getroffen werde, ohne aufgeklärten Sachverhalt. Gerade in Kriegszeiten sei es wichtig, „streng sachlich zu berichten“ und Bewertungen erst dann zu liefern, wenn die Ursachen und Folgen des Geschehens bekannt sind.
Im Fall von Butscha müsse die Situation genau dokumentiert, die Beweise gesichert und geklärt werden: „Welche Erklärungen geben die beiden Kriegsparteien zu diesem Massaker ab?“
Michael Haller: „Wenn ich mich präzise über den aktuellen Stand informieren und eine sachliche, kompetente Einordnung der Vorgänge kennenlernen will, lese ich ausländische Newsmedien.“
Haller leitet als wissenschaftlicher Direktor das gemeinnützige „Europäische Institut für Journalismus- und Kommunikationsforschung“ (EIJK) in Leipzig.
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