Neutralität ist „Hass“: Amadeu Antonio Stiftung fordert „Ächtung“ der AfD
Das Gebot der Neutralität der staatlichen Verwaltung leitet sich aus mehreren Bestimmungen der Verfassung ab und zählt zu den elementaren Kennzeichen eines freiheitlichen Staatswesens. Nicht zuletzt aus dem Bekenntnis zur Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz leitet sich das Gebot ihrer Gleichbehandlung ab, das unter anderem beinhaltet, dass niemand seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt wird.
Dieses Gebot der Neutralität verlangt von staatlichen Institutionen, dass sie sich der Parteilichkeit und Parteinahme in ihrer Amtsführung enthalten und jedweden Anschein einer solchen Benachteiligung oder Bevorzugung vermeiden. Es verlangt von staatlichen Organen zum einen Zurückhaltung, zum anderen die Akzeptanz von Pluralität.
Freiheitlicher Staat kann kein Ideologiestaat sein
Das Neutralitätsgebot ist auf diese Weise ein Wesenselement einer freiheitlichen Demokratie. Diese sieht ausdrücklich vor, dass die parteipolitische Zusammensetzung von Regierungen wechseln kann und gebietet es deshalb, eine einseitige weltanschauliche Festlegung staatlicher Institutionen zu unterlassen.
Der freiheitliche Staat kann deshalb per definitionem kein Weltanschauungsstaat sein, wie es etwa sozialistische Staaten oder „islamische Republiken“ sind. In solchen steht das Gebot, das „moralisch Gute“ durchzusetzen, als dessen Ausdruck die staatliche Autorität die jeweilige Staatsideologie sieht, über Prinzipien der Gleichheit, Neutralität oder des Pluralismus. Schließlich erscheint aus diesem Selbstverständnis heraus eine Opposition eher als verzichtbar, insbesondere eine solche, die sich der verbindlichen Weltanschauung, zu der sich der Staat bekennt, nicht verpflichtet fühlt.
Die Mitbegründerin und Vorsitzende der 1998 gegründeten Amadeu Antonio Stiftung (AAS), Anetta Kahane, ist in einem solchen Weltanschauungsstaat aufgewachsen. In der DDR, die sich von Verfassung wegen zur Ideologie des Sozialismus bekannte, hatte sie 1974 bis 1982 als IM Victoria für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) potenzielle „Feinde der DDR“ ausgekundschaftet und ihren Führungsoffizieren Bericht erstattet.
Zwar hatte sie diese Zusammenarbeit später eingestellt, weil ihr die Praxis der „sozialistischen Bruderhilfe“ der DDR in Afrika als zu „rassistisch und paternalistisch“ erschien. Dass sie und ihre Mitstreiter von der AAS für den Gedanken, die „bürgerliche“ liberale Demokratie durch Elemente einer sozialistischen anzureichern, dennoch ein gewisses Maß an Sympathie entgegenzubringen scheinen, hat die Stiftung seit ihrer Gründung wiederholt anklingen lassen.
„Rechtsradikale“ sollen weniger gleich sein
Um die freiheitliche Demokratie durch aus ihrer Sicht übergeordnete moralische Ziele anzureichern, war die AAS stets auch bereit, notfalls auch Abstriche bei der Pluralität und Neutralität zu machen. Auch ihr jüngst vorgestelltes Handbuch und die dazugehörige Begleitmusik lassen erkennen, dass die AAS einige Begriffe der Verfassung und des Rechtsstaats in ihrem Sinne dynamisch interpretiert sehen möchte und es allen Gleichbehandlungsgeboten zum Trotz für geboten hält, manche Akteure als etwas weniger gleich zu betrachten.
„Es ist höchste Zeit für einen gesamtgesellschaftlichen Konsens zur Ächtung der Rechtsradikalen“, tönt AAS-Geschäftsführer Timo Reinfrank anlässlich der Vorstellung der Handreichung – obwohl der freiheitliche Rechtsstaat dieses im Mittelalter zum Rechtsbestand gehörige Instrument, das mit der völligen Rechtlosigkeit des damit Belegten einhergeht, aus vielfältigen Gründen nicht kennt.
Die vorwiegend von langjährigen ehemaligen CDU-Politikern gegründete AfD, die strenge Bestimmungen bezüglich der Aufnahme früherer Angehöriger extremistischer Organisationen in ihrer Satzung verankert hat, sei eine „modernisierte, neue Form der NPD“. Sie dürfe nicht als „rechtspopulistisch oder demokratisch verharmlost“ werden.
Was den Furor der Stiftung, die sonst gerne unterstreicht, dass es „auf Worte ankommt“, sichtlich anheizt, dürfte vor allem der Umstand sein, dass die Politik der AfD es schwieriger für Akteure wie die AAS macht, an öffentliche Fördermittel zu gelangen.
Die AfD stelle nämlich „die Finanzierung zivilgesellschaftlicher Angebote infrage“ und trage dabei immer wieder die „falsche Behauptung“ vor, solche Strukturen müssten sich „neutral“ verhalten. Dies habe zur Folge, dass Verwaltungen zunehmend verunsichert seien, wenn es darum geht, Fördergelder zu vergeben oder Räume zur Verfügung zu stellen.
AAS problematisiert auch Neutralitätspflicht für staatliche Akteure
Tatsächlich trifft das staatliche Neutralitätsgebot nur staatliche Akteure und entfaltet keine Drittwirkung auf Institutionen ohne hoheitliche Funktion. Dennoch leitet sich aus dem Neutralitätsgebot auch im Bereich der „pluralistisch-offenen Neutralität“ ab, dass die staatliche Verwaltung ein Gebot des „Self Restraint“ trifft, insbesondere dort, wo der Eindruck einer Identifikation entstehen könnte.
Dies dürfte insbesondere dort der Fall sein, wo „zivilgesellschaftliche“ Akteure in so großem Umfang von staatlichen Zuschüssen leben, dass ohne diese deren Existenz gefährdet wäre. Vor allem aber lässt es sich dahingehend interpretieren, dass der Staat dort Zurückhaltung bezüglich der Förderung mit Steuergeldern zu üben hat, wo die Förderungswerber Anhaltspunkte dahingehend erkennen lassen, dass sie wesentliche Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung für verzichtbar erachten.
Das Beharren auf distanzierender Neutralität mache es Vereinen der „Zivilgesellschaft“ auch schwer, „politische Bildung“ zu betreiben. Allerdings erwähnt die AAS im gleichen Zusammenhang auch staatliche Akteure – etwa mit Blick auf Meldeportale über Lehrer, die Zweifel an der weltanschaulichen Neutralität ihres Unterrichts wecken, oder kommunale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte. Auf diese Weise vermengt die Stiftung ihrerseits Akteure, die dem strikten Neutralitätsgebot unterliegen, mit solchen, auf die dies nicht zutrifft – was den Schluss zulässt, dass die Stiftung das Neutralitätsgebot auch hinsichtlich staatlicher Akteure im engeren Sinn für fragwürdig erachtet.
Pluralistische Narrative ohne Meinungsvielfalt?
In ihrem Handbuch gibt die Stiftung, die politische Gegner „ächten“ will und auch schon mal Zöpfe, Handarbeiten oder gut erzogene Kinder als mögliche Anzeichen von „Rechtsextremismus“ ausmacht, auch Ratschläge für den Umgang mit „Hass“ im Netz. Sie empfiehlt in diesem Zusammenhang Vereinen, eine „Netiquette“ – also eine Hausordnung für die Nutzung der Website – zu erstellen. Eine „klare Positionierung zu demokratischen Grundwerten“ sei auch im Internet ratsam.
Wichtig im Umgang mit Kommentaren aus dem Umfeld der AfD sei, „das Framing und die Inhalte der Partei nicht zu reproduzieren“, um nicht die Reichweite der Beiträge zu erhöhen. Zudem müsse man bei eigenen Veröffentlichung den „Hass der AfD-Anhängerschaft“ einkalkulieren.
„Eigene Aussagen sollten einwandfrei belegbar sein“, erklärt Reinfrank. „Hierfür ist es ratsam zu überlegen, welche typischen Einwände formuliert werden könnten, und sachliche Antworten darauf vorzubereiten.“
Politikern wird empfohlen, „die eigenen Themen, das eigene Gesellschaftsbild und demokratische, pluralistische Narrative offensiv einzubringen und zu vertreten“. Allerdings dürfte es diesbezüglich zu den Voraussetzungen gehören, dass man sich mit solchen selbst identifiziert. Die AAS erweckt diesen Eindruck weiterhin nur bedingt.
(Mit Material der AFP)
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