Lieber das Fischernetz zerreißen

Wechselseitige Beziehung zwischen dem Kreis der Intellektuellen und Chinas Regime - Kommentar zum Gastland China auf der Frankfurter Buchmesse
Titelbild
Das Netz der Zensur und Kontrolle in China wird immer breiter und dichter. Die Fische, die durch die Maschen schlüpfen können, werden immer weniger. (autorin_22/flickr.com)
Von 13. Oktober 2009

Ein Feuerwerk, doppelt so groß wie bei den olympischen Spielen, Militäraufmarsch und jubelnde Massen – wie die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) eben den 60-Jahrestag der Volksrepublik China feierte, hat die internationale Gesellschaft überrascht. Man kann nur sprachlos zusehen. Doch gab es diesmal im Vergleich zu den vergangenen Jahren weniger blumige Lobgesänge in den chinesischen staatlichen Medien zu lesen, zu hören und zu sehen. Es scheint, als ob das Regime zeigen will: „Wir sind stark und haben immer mehr Selbstvertrauen“ .

Doch nun die andere Seite: Abgesehen davon, dass Peking von bewaffneten Polizisten und  Geheimpolizisten übersät war, war jede Ecke in Chinas Hauptstadt auch von Millionen „Freiwilligen“ gesichert. Von der Regierung motiviert und mobilisiert sollten sie brav ihre Aufsichtsarbeit leisten. Wieder wurden neue Vorschriften zur Internetkontrolle  erlassen. Berühmte Internetforen wie Tianya oder Kaidi werden seitdem noch stärker überwacht und immer weniger Kommentare können die Seiten erreichen oder gar veröffentlicht werden. Sobald man Anti-Zensur Software wie FreeGate etwas länger benutzt, um die Internetblockade zu umgehen, sitzt man plötzlich vor einem schwarzen Bildschirm und wird zudem von der Internetpolizei verfolgt. Macht all das die politischen Ängste des Regimes nicht deutlich sichtbar? 

Fischernetz wird immer breiter und dichter

Schon seit Jahren hat sich das chinesische Regime tatkräftig bemüht, um ein breites Netz, ein Fischernetz, zu knüpfen und die Maschen werden immer feiner und enger. Wenn man sich über staatliche Angelegenheiten unterhält übt sich das chinesische Volk schon seit langem in der hohen Selbstdisziplin des Schweigens und Verschleierns. Die aktuelle Hauptaufgabe des Regimes besteht einzig darin, wahre historische Erinnerungen aufzulösen und eine verfälschte kollektive Erinnerung zu erfinden und zu etablieren. Durch Kontrolle und Zensur der Meinungen und Informationen sollen unterschiedliche Menschengruppen voneinander isoliert werden. Diese Methode ist identisch mit der in der Mao-Zeit angewandten: sobald die Menschen zu isolierten Einzelgrüppchen werden, sind sie nicht mehr in der Lage, sich zu organisieren und zu verbinden, um die Kommunistische Partei herauszufordern.

Jeder, der die aktuelle Lage Chinas einigermaßen kennt, versteht sofort, dass wegen des Verschärfens aller möglicher unlösbarer Konflikte, Angst und Unsicherheit die KP Chinas dazu trieb, den 60. Jahrestag der Machtergreifung so zu feiern. Ihre Fähigkeit und die Legitimation, das Land zu regieren, soll dargestellt und behauptet werden. Weil das Volk nicht direkt das Regime kritisieren kann, können sie nur den Film „ Das große Werk des Staatsaufbaus“ auslachen und verspotten. Viele chinesische Schauspieler haben darin mitgespielt, die jetzt ausländische Pässe besitzen.

Allerdings sind Sarkasmus und Hohn der Massen nicht gleich Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit und andere bürgerliche Rechte werden auch nicht durch geduldiges Abwarten zur Realität. Im Gegenteil, das schweigende geduldige Abwarten und Ertragen führt dazu, dass das Netz des Regimes immer breiter und dichter wird. Die Existenz der chinesischen Kultur- und Geisteswissenschaftlerkreise belegt deutlich diese Tendenz. 

Kluge Fische schlüpfen durch die Maschen

Erinnern wir uns an die Metapher „Fische und Fischernetze“ des russischen Schriftsteller und Alexander Issajewitsch Solschenizyn. Der Nobelpreisträger wies damit auf die wechselseitige, abhängige Beziehung zwischen dem intellektuellen Kreis und dem russischen Regime hin. Die russische kommunistische Partei festigte einerseits die Fischernetze. Andererseits bildete sie die Maschen so, dass die klugen Fische versuchten durch die neue Maschen zu schlüpfen. Wenn dies gelang verfielen sie in Stolz und Selbstzufriedenheit und gaben ihre Mission auf, das gesamte Netz zu zerstören.

Diese Metapher stellt auch die Entwicklung der wechselseitigen Beziehung zwischen dem Kreis der Intellektuellen und Chinas Regime nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 dar. Auch ich hatte es vor Jahren mit viel Mühe geschafft, mein Buch „China in der Modernisierungsfalle“ und einige andere Artikel in China zu publizieren. Das gehörte eben auch zum „Schlüpfen durch die Masche“.  Damals freuten sich die ausländischen Medien darüber und bezeichneten das als „Pekings Frühling“. Mir war damals zwar klar, dass das Buch und die Artikel nur geflüchtete Fische aus dem Netz waren. Aber ich hatte große Hoffnung, dass immer mehr Fische durch die Maschen schlüpfen könnten, dass die Maschen dadurch immer größer würden und dass sogar eines Tages ein Loch im Netz auftauchen würde.

Wahre Freiheit nur ein Wunschdenken

Aber die tatsächliche Situation in den späteren Jahren zeigte immer klarer: Die Bemühungen einiger  Fische, durch die Maschen zu schlüpfen, können nicht das Fischernetz zerstören. Sobald einzelne Fische es wieder geschafft haben, durch die Maschen zu schlüpfen, werden die Maschen vermehrt und verkleinert und die Fische, die flüchten können, immer weniger. Der Wunsch, dass das Regime eines Tages liberaler werde und dem Volk Rede- und Meinungsfreiheit schenke, ist längst von der Realität entzaubert als Wunschdenken der intellektuellen Kreise.

In diesen Jahren konnten immer wieder Intellektuelle von Glück sprechen, dass ihre kritischen Beiträge veröffentlicht wurden. So beispielsweise das Buch „Streiflichter von Wind und Wolken“ (《风 云侧记》) von Yuan Ying, einem langjährigen Journalisten der „Volkszeitung“, einer Parteizeitung der KPCh. Yuan ist in politischen Fragen sehr erfahren. Er glaubte, dass sein Buch politisch sicher sei, denn die meisten Dinge darin wurden schon in vielen anderen Büchern geschrieben. Am 13. November 2006 versprach der chinesische Premierminister Wen Jiabao in einem Gespräch mit Schriftstellern und Künstlern, dass im Rahmen der chinesischen Verfassung die Freiheit zu Forschen gewährleistet werde. Tatsächlich war das Regime damals gerade dabei, die Medien streng zu kontrollieren und Regimekritiker festzunehmen. Obwohl Yuan davon wusste, war er trotzdem von dieser vorgetäuschten Versprechung des Premierministers begeistert und schrieb: „die Rede von  Premierminister Wen hat Intellektuellen und Künstlern den Rücken gestärkt und Mut gegeben“. Noch bevor dieser Satz erschien, war sein Buch von der Partei, der er ein halbes Leben lang gedient hatte, als „Verrat von Staatsgeheimnisse“ abgestempelt und verboten – ein weiterer, schwarzer Witz.

Ich habe das Beispiel von Yuan Ying genommen, nicht weil ich ihn kritisieren möchte. Ich will damit sagen: In einem diktatorischen Regime, dessen Macht durch Lügen aufrechterhalten wird, kann durch das Schlüpfen durch die Maschen des Fischernetzes auf keinen Fall die Meinungsfreiheit verwirklicht werden. Zeitgleich wurden neben dem Buch von Yuan Ying noch acht weitere Bücher verboten. Dazu gehört, das Buch von Zhang Yihe „Vergangenes vergeht nicht wie Rauch“ (deutsche Ausgabe im Zweitausendeins Verlag), das Geschichtsbuch „Die Wechselfälle“  von Xiao Jian (《沧桑》, 作者晓剑) , die Bücherreihe „Jahrzehnte Nostalgie-Serie“ von Kuang Chen (《年代怀旧丛书》,编者 旷晨) und das Buch „Die Medienwelt“ von Zhu Huaxiang (《新闻界》, 作者朱华祥).  Zur Zeit eskalieren in China die sozialen Konflikte und die politischen Kämpfe innerhalb der Partei werden immer komplizierter und schärfer. Obgleich die Massen sich wirklich wie disziplinierte Marionetten verhalten, wird das Regime, besessen von der Angst des Machtverlustes, immer sensibler und nervöser. Die schwarze Liste der verbotenen Themen wird immer länger.

Dass die dreijährige Hungersnot von 1959 bis 1962 in China ein Versagen von Maos Politik war – eine menschliche Katastrophe – ist weltweit als Tatsache anerkannt. Aber jegliche Literatur, die  dies schreibt, wird in China weiterhin strengstens verboten. Im Juni 2009 hat Li Shihua, ein Lehrer im Ruhestand, die Reportage „Ein gemeinsamer Grabstein – die Geschichte einer chinesischen Familie“ geschrieben. Li dokumentiert darin die eigenen Erlebnisse in den politischen Kampagnen, seit der Machtergreifung der KPCh, besonders aber die Hungersnot und die Leiden seiner Familie und der Menschen seiner Umgebung. Das Buch wurde verboten und der Internet-Blogg des Autors geschlossen. Ein weiteres zensiertes Buch ist das Buch „Nachdenken über die Zivilisation Chinas“ von Xiao Jiansheng, einem langjährigen Redakteur der „Hunan Tageszeitung“. Das Buch wurde vom Verlag der Sozialwissenschaft Chinas herausgeben, der Verkauf in Bücherläden war jedoch nicht gestattet. Die Zensurbehörde sah darin die Gefahr, dass „Teile des Inhaltes die gegenwärtige  Lage der politischen Macht widerspiegeln“ könnten.

Das Fischernetz  zerreißen

Es ist nicht schwer, in einer isolierten Gesellschaft Meinungen zu kontrollieren, weil die notwendigen Vorbedingungen dafür vorhanden sind: beispielsweise die rückständige Verbreitungsmöglichkeit der Informationen, die verdummten Massen und die abgöttische Verehrung der politischen Macht. Die chinesische Gesellschaft in der Mao-Ära war eben so. Aber in der jetzigen Zeit sind die Massen nicht mehr so dumm wie damals, das Internet macht die Kontrolle  immer schwieriger und der Machtanspruch des Regimes verfällt. Das tatsächliche Ergebnis von  Kontrolle und Zensur ist weit entfernt von dem, was das Regime wünscht.

Und dennoch sollten sich die chinesischen Intellektuellen bewusst sein, dass das Schlüpfen durch die Maschen nicht zum Zerstören der Fischernetze führen kann. Manche Intellektuelle versuchen zur Zeit ihre Rede zu mildern und mit politischer Tarnfarbe zu bemalen, damit ihre Werke überhaupt veröffentlicht werden können. Diese Methoden lassen nur einige wenige kluge Fische durch die Maschen schlüpfen. Die sinnvollste Methode ist jedoch sich zusammen zu schließen, um das Fischernetz zu zerreißen. Dafür muss natürlich ein Preis bezahlt werden – Freiheit ist nicht kostenlos.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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