Nürnbergs „Christkind“ und die Indianer: AfD-Kreisvorsitzende distanziert sich von Facebook-Post
Während Jahr für Jahr traditionelle Weihnachtsmärkte irritierende Beinamen wie „Wintermarkt“ verpasst bekommen, beharrt Nürnberg immerhin auf der traditionellen Bezeichnung seines „Christkindlesmarktes“. Dazu werden Traditionen wie die Wahl eines „Christkinds“ für eine Amtsperiode von zwei Jahren gepflegt.
Dieses eröffnet mit einem „Prolog“ von der Empore der Frauenkirche aus den Markt und absolviert in seiner weiteren Amtszeit – vor allem in der Vorweihnachtszeit – Besuche in Altenheimen, Stippvisiten in Kindergärten, schreibt Autogramme oder reist in Partnerstädte. Da Neugeborene für eine solche Funktion nicht unbedingt als prädestiniert erscheinen, sind es meist junge Mädchen im Schüleralter, die sich für das Amt bewerben. So auch in diesem Jahr, wo sich 25 Kandidatinnen beworben hatten und die Wahl der Jury aus Stadtvertretern, Tourismusfunktionären und Journalisten auf die 17-jährige Benigna Munsi fiel.
Beachtliche Referenzen
Die Voraussetzungen, die die junge Dame für das Amt mitbringt, sind auch nicht unbedingt dünn gesät: Immerhin spricht die in Nürnberg geborene Tochter eines indischen Vaters und einer deutschen Mutter vier Sprachen, ist als Ministrantin und im Jugendchor engagiert und spielt Oboe. Auch Bühnenerfahrung hat sie bereits gesammelt. Die Jury hat ihre Wahl damit begründet, dass „ihre Frische, ihre herzliche Art und Ehrlichkeit“ für Munsi gesprochen habe.
Ein namentlich nicht bekannter Social-Media-Nutzer, der zumindest Redakteursrechte für den Facebook-Account des AfD-Kreisverbandes München-Land innehatte, schien weniger begeistert über die Wahl in der anderthalb Autostunden von München entfernten Frankenmetropole – oder hatte einfach einen missratenen Tag.
Jedenfalls nahm er die Nachricht über die Personalie zum Anlass, auf der offiziellen Seite des Kreisverbandes die Wahl eines „Christkindes“ mit dunklerer Haut- und Haarfarbe zu beanstanden und ein Pressefoto mit dem Kommentar zu versehen: „Nürnberg hat ein neues Christkind. Eines Tages wird es uns wie den Indianern gehen.“
Kritik aus der eigenen Partei
Der Zusammenhang, den der Redakteur offenbar herstellen wollte, blieb anderen Social-Media-Nutzern nicht verborgen. Das Angstszenario, Einwanderung könnte die autochthone Bevölkerung Europas in ähnlicher Weise in die Bedeutungslosigkeit treiben, in der sich die indigenen Völker Nordamerikas nach Jahrhunderten von Stammeskriegen, Seuchen und stetiger Einwanderung aus Europa wiedergefunden hatten, stellt ein häufig bemühtes Meme einer völkisch-nationalen Rechten dar.
Nutzer überschwemmten die Seite des Kreisverbandes mit aufgebrachten Kommentaren, neben Solidaritätserklärungen mit Benigna Munsi wurden Rassismus-Vorwürfe gegen die AfD vorgebracht. Nicht weniger als 1600 Kommentare soll der Beitrag nach sich gezogen haben – dann wurde er gelöscht.
Auch aus der AfD selbst kam scharfe Kritik an dem Beitrag. AfD-Beisitzer Bernd Leidich aus Gießen schreibt auf Facebook bezogen auf Munsi: „Es ist eine wahre Freude, so lebensfrohe und engagierte junge deutsche Menschen zu sehen. Wer nicht meiner Meinung ist, kann sich gerne entfreunden.“
Der aus Baden-Württemberg stammende Listenkandidat für die EU-Wahl 2019, Dietmar-Dominik Hennig, erinnert an die Forderung des Parteisprechers Jörg Meuthen, Personen mit extremen Ansichten aus der AfD zu drängen:
„Durchsage an die Parteifreunde, die es angeht: Für rassistischen Müll sucht Euch `ne andere Spielwiese, tobt Eure Neurosen anderswo aus! Meuthen hat es Euch in Heidenheim ins Stammbuch geschrieben!“
Redakteur von seinem Amt zurückgetreten
Mittlerweile hat sich die AfD-Kreisvorsitzende München-Land, Christina Specht, auch inhaltlich von dem Beitrag distanziert. Auf dpa-Anfrage erklärte sie, der Beitrag entspreche nicht den Werten der AfD und sei von einem Redakteur des Kreisverbands eigenmächtig gepostet worden. Dieser sei inzwischen zurückgetreten. Specht machte deutlich:
„Solche Inhalte teile ich definitiv nicht. Ich möchte mich im Namen des Kreisverbands bei Frau Munsi entschuldigen. Wir finden, dass sie ein sehr gutes Christkind für Nürnberg sein wird.“
Im Kreisverband seien Iraner und Chinesen Mitglied. Als Konsequenz aus dem Posting gelte nun im Kreisverband bei Kommentaren in sozialen Netzwerken ab sofort das Vier-Augen-Prinzip, sagte Specht weiter.
Die Reaktionen auf den Beitrag von Bürgern der Stadt Nürnberg, aber auch aus der AfD selbst, legen den Schluss nahe, dass die Debattenkultur in Deutschland auf einem beklagenswerten Niveau angelangt ist, auf dem nicht mehr nachgedacht, sondern reflexartig ein diffuses Bauchgefühl artikuliert wird. Auch eine Vielzahl eigener Anhänger dürfte die AfD diesbezüglich nicht von der Notwendigkeit kritischer Selbsthinterfragung lossprechen.
Allerdings ist dieses Phänomen anscheinend keines, das sich ausschließlich auf das AfD-Umfeld und die politische Rechte beschränkt: „Überfremdung“ oder „Islamisierung“ zu sehen, wo keine ist, stellt möglicherweise nur die spiegelverkehrte Variante zu selbstgerechten und hysterischen Kräften von links dar, die allenthalben „Nazis“, „Faschisten“ oder „Rassismus“ wähnen. Dort ist die Fähigkeit zur Selbsthinterfragung allerdings im Zweifel noch seltener anzutreffen.
(Mit Material der dpa)
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