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Meinung

Euer Wählerwille geschehe?

In Österreich herrscht nach der Nationalratswahl bei einigen Wählern Irritation vor. Denn üblicherweise wird die stimmenstärkste Partei zur Regierungsbildung beauftragt. Doch mit dieser will eben keine der anderen Parteien koalieren und so beauftragt der Bundespräsident ganz einfach die zweitstärkste Partei. Alles ganz logisch, oder?

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FPÖ-Chef Kickl möchte Bundeskanzler werden, doch niemand will mit ihm koalieren.

Foto: Helmut Fohringer/APA/dpa

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Lesedauer: 4 Min.

Nun, sehen wir uns die Sache einmal genauer an:
Die stärkste Partei war die FPÖ unter Herbert Kickl mit 28,85 Prozent. Kickl selbst betonte vor der Wahl, er wolle „Volkskanzler“ werden und provozierte mit einem Begriff, der zwar nicht seinen Ursprung, aber doch seinen propagandistischen Verwendungshöhepunkt in der NS-Zeit hatte.
Dass Kickl im Wahlkampf den Bundespräsidenten als „Mumie in der Hofburg“ bezeichnet hat, wird ihm nun zusätzlich zum Verhängnis. Dennoch hat Kickl sich all jener Themen bedient, die die anderen Parteien wenig bis gar nicht thematisierten, ja, geradezu vermieden: die Nachwirkungen der fatalen Corona-Politik, die Migrationsdebatte, die Neutralität Österreichs als wichtigen Wert für die Österreicher. Der Siegeszug der Freiheitlichen war also mehr als absehbar.

Nehammer mitverantwortlich für die Corona-Maßnahmen

Die zweitstärkste Partei war mit 26,27 Prozent die ÖVP unter Karl Nehammer, der eigentlich noch in seiner Amtszeit im Innenministerium hätte zurücktreten sollen, da sein Ministerium den Terroranschlag vom 02.11.2020 nicht verhindert hatte, obwohl genug Indizien vorlagen, um den damaligen Attentäter noch vor der Tat zu verhaften. Nehammer trat nicht zurück, sondern wurde ungewählt in das Amt des Kanzlers gehievt und war schließlich mitverantwortlich für die rigiden Corona-Maßnahmen der kommenden Jahre.
Drittstärkste Partei mit dem historisch schlechtesten Wahlergebnis der Zweiten Republik (21,14 Prozent) wurde die SPÖ unter Andreas Babler, ein Bürgermeister aus Niederösterreich.
Die NEOS konnten trotz unfreiwillig komischer Wahlplakate mit 9,14 Prozent zwar zulegen, bleiben dennoch weit hinter den anderen Parteien zurück. Die Grünen wurden als Regierungspartei von den Wählern brutal abgestraft (8,24 Prozent).

Eine „Verliererkoalition“

Sollte nun also ernsthaft eine „Verliererkoalition“ aus ÖVP, SPÖ und den Neos als Beiwägelchen zusammengestellt werden, werden sich die FPÖ-Wähler einmal mehr hintergangen fühlen und sich in ihrem Frust auf die herrschende Politik nur weiterhin bestätigt sehen. An die Wähler scheinen die Parteien aber ohnehin nicht zu denken, doch auch Kickl vergisst sie.
Denn bei genauerem Hinsehen wird klar, dass die übrigen Parteien – bis auf Babler, der eine Koalition grundsätzlich ablehnt – nur nicht mit Kickl als Parteichef koalieren wollen … Wenn es also Herbert Kickl wirklich ein Anliegen wäre, dass der Wille der FPÖ-Wähler geschehe, wie er im Wahlkampf verkündete, könnte er auf den Kanzlerposten verzichten, jemanden anderen einsetzen und so die übrigen Parteien in Zugzwang bringen. So hatte es zumindest im Jahr 2000 Jörg Haider gemacht und damals Susanne Riess-Passer den Vortritt überlassen.

Gräben in der Gesellschaft

Mittlerweile werden schon Großdemos von FPÖ-Anhängern verkündet, während die Grün- und Rotwähler Aufmärsche und mahnende Initiativen gegen die FPÖ veranstalten. Die Spaltung der Gesellschaft ist also weiterhin in Gange und verschärft sich immer mehr; auch die Wähler, die nicht die FPÖ gewählt haben, werden zusehends frustrierter und die Gräben zwischen den verschiedenen Fraktionen scheinen sich eher zu verhärten als zuzuwachsen.
Helfen wird das in erster Linie weiterhin der FPÖ, die auf einen Sieg bei der nächsten Wahl – nämlich in der Steiermark am 24. November – spitzt. Dem Frieden im Land ist die ganze Situation aber alles andere als zuträglich.
Jan David Zimmermann ist Wissenschaftsforscher, freier Autor und Publizist. Er lebt in Wien. 2023 erschien seine Sammlung politischer Essays aus den Jahren 2021–2022 mit dem Titel „Lethe. Vom Vergessen des Totalitären“.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.

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