Dr. Kreiß: „Gesundheit bewusst ruinieren, kann ein sehr erfolgreiches Konzept sein“

Mit dem Opium-Krieg gegen China wurde Anfang des 19. Jahrhunderts durch Großbritannien die ökonomische und soziale Basis des Opfer-Landes nachhaltig ruiniert – und insbesondere dessen Elite über Generationen schwach und willenlos gemacht. Ein Brückenschlag zur Gegenwart in Europa gelingt dem Professor für Volkswirtschaftslehre, Dr. Christian Kreiß.
Titelbild
Eine Antiquitäten- und Souvenirhändlerin zeigt eine alte Opium-Pfeife. (Symbolbild)Foto: STR/AFP via Getty Images
Von 10. März 2021

Unter dem Vorwand, für den Freihandel einzutreten, wurden im 19. Jahrhundert Millionen von Menschen bewusst und sehenden Auges in gesundheitlichen Ruin und einen elenden Tod geschickt. Dadurch schlugen die Drahtzieher zwei Fliegen mit einer Klappe.

Zum einen gab es riesige Unternehmensgewinne. Zum anderen wurde die ökonomische und soziale Basis des Opfer-Landes nachhaltig ruiniert und insbesondere dessen Elite über Generationen schwach und willenlos gemacht. Damit wurde das Land leicht regierbar und konnte vergleichsweise einfach als Kolonie ausgebeutet werden.

Was können wir daraus lernen? Gesundheit bewusst ruinieren kann ein sehr erfolgreiches Konzept sein. Man kann damit zum einen riesige Gewinne schaufeln und ungeheuer reich werden. Zweitens kann man dadurch seine politische Macht erhöhen.

Wir können drittens daraus lernen, dass man andere, edlere Gründe für sein Vorhaben vorschieben und von den eigentlichen Absichten tunlichst ablenken sollte.

Und viertens: Man muss vor allem die führenden gegnerischen Köpfe ausschalten, von denen der Hauptwiderstand kommen könnte. Dieses bewährte Erfolgskonzept lässt sich auch heute gut anwenden.

Der Opiumkrieg zwischen Großbritannien und China 1840-1842

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Opium das wichtigste Exportgut Großbritanniens nach China. In der britischen Kolonie Indien wurde Mohn angebaut und zu Opium verarbeitet. Dann wurde es durch britische Kaufleute mit „fabelhaften Gewinnen“ nach China verkauft. Obwohl der Opiumkonsum in China offiziell verboten war, sorgten Schmugglernetze für dramatisch steigenden Absatz.

„Im Zusammenspiel mit Tabak wurden die „schnapsartigen Dämpfe“ zum viel zitierten „Allheilmittel für alles menschliche Leid“ schreibt der Journalist Berthold Seewald in seinem lesenswerten Artikel „So stieg England zum weltgrößten Drogendealer auf“ 2018 in der „Welt“. Von 1800 bis 1834 verzehnfachte sich der Opiumimport nach China auf etwa zweieinhalb Millionen Kilo reinem Rauschgift. Um 1800 hatte China etwa 300 bis 400 Millionen Einwohner, was etwa einem Drittel der Weltbevölkerung entsprach.

Da Opium eine stark abhängig machende, gesundheitsschädigende Droge ist, beschloss der chinesische Kaiser 1839, das Opiumverbot durchzusetzen. Unter anderem wurden über 20.000 Kisten Opium, das entsprach etwa der Hälfte der Importe eines ganzen Jahres, von chinesischer Seite beschlagnahmt und öffentlich verbrannt.

Mit der Begründung, den Freihandel zu schützen und die Ehre Englands wiederherzustellen, begann Großbritannien im Herbst 1840 einen Krieg gegen China. Im Wissen um die hohe militärische Überlegenheit wurden zwischenzeitlich vorgebrachte Friedensverhandlungen seitens China von England ausgeschlagen, bis der endgültige Sieg erreicht war.

Aufgrund der turmhoch überlegenen Militärtechnik gewann Großbritannien den Krieg ohne nennenswerte Verluste. Wikipedia schreibt dazu: „Die britische Seite verzeichnete bis zum Kriegsende 530 Mann Verluste, davon 69 im Gefecht Getötete. Über die chinesischen Verluste liegen keine genauen Zahlen vor. Schätzungen belaufen sich auf 18.000 bis 20.000 Tote und Verwundete.“

Auswirkungen

Durch die „Ungleichen Verträge“ von 1842 wurde der Opiumhandel de facto auf Generationen legalisiert, China musste enorme Reparationsleistungen zahlen und Hongkong wurde zur britischen Kronkolonie.

Daraufhin nahm der chinesische Opiumimport bis 1850 um weitere etwa 25 Prozent zu. Um 1900 waren ungefähr 10 Prozent der chinesischen Bevölkerung Opiumraucher, drei bis fünf Prozent der Chinesen exzessiv. Dutzende Millionen Menschen wurden langsam ausgezehrt und in den Tod getrieben.

„Der Erste Opiumkrieg leitete den Niedergang Chinas von der einst unumschränkten Hegemonialmacht Asiens zu einer informellen Kolonie“ ein, lesen wir bei Wikipedia. China versank nach diesem Krieg in Lethargie, Korruption, Inflation, Hunger, Unsicherheit und Not. Auch viele Armeeeinheiten waren wegen Opiumkonsums nicht mehr in der Lage, ihren Dienst zu versehen. Das Land war auf Generation hinaus schachmatt gesetzt.

Wie wurde für den Krieg argumentiert?

Interessanterweise ging der Vertrag von 1842 mit keinem Wort auf den Opiumschmuggel ein, eine offizielle Legalisierung des Opiumhandels wurde aus innenpolitischen Gründen von der britischen Regierung vermieden und die britischen Spitzenpolitiker taten im Nachgang alles, nicht mit dem Begriff „Opium“ in Verbindung gebracht zu werden.

Das Wort „Opium“ kommt in dem ganzen Vertrag nur ein einziges Mal vor, und zwar als es um die Reparationszahlungen wegen der Opiumverbrennung durch die Chinesen ging.

Dies bringt uns zu der Frage: Warum hat das britische Parlament einem Krieg zugestimmt, dessen Hauptzweck, wie praktisch alle wussten, war, eine schlimme Droge zu verbreiten? Denn die führenden Kreise in England und die Parlamentarier waren sich der abhängig machenden, schädlichen Wirkungen von Opium durchaus bewusst.

Die militärische Lage war eindeutig. Durch die hohe technische Überlegenheit war klar, dass Großbritannien den Krieg gewinnen würde. „Es war ein ungleicher Krieg, in dem die Chinesen mit hölzernen Sampans gegen gepanzerte Kanonenboote kämpften, mit Lanzen und Schwertern gegen moderne Artillerie, mit Bauernmilizen gegen Berufssoldaten“, zitiert die „Welt“ vom 20. Januar 2018, den Historiker Kai Vogelsang.

Doch wie sollte man ein solch moralisch fragwürdiges Unternehmen politisch und öffentlich begründen? Immerhin bezeichnete der renommierte US-amerikanische Historiker und Sinologe John K. Fairbank 150 Jahre später die erzwungenen britischen Opiumlieferungen an China als

das am längsten dauernde und systematische internationale Verbrechen der Neuzeit“.

Letztlich wurde in der öffentlichen Meinung sowie in der Parlamentsdiskussion geschickt von der menschlichen, moralischen bzw. gesundheitsruinierenden Frage abgelenkt.

Es wurde hervorgehoben, dass die Chinesen britisches Eigentum vernichtet (über 20.000 Kisten Opium öffentlich verbrannt) und damit die britische Krone beleidigt hatten, dass sie die Briten als „Barbaren“ bezeichneten und dass der Handel mit China ohne „Maßnahmen der Stärke und Energie […] nicht länger mit Sicherheit für Leben und Eigentum“ stattfinden könne. Es wurde argumentiert, dass auch China von einer Öffnung seiner Märkte und der Integration in die Weltwirtschaft profitieren würde.

Der britische Außenminister Palmerston, auf dessen Betreiben der Krieg geführt worden war, schrieb kurz nach Kriegsende gar, der Krieg habe „befriedigende Ergebnisse“ gebracht, „zweifellos wird dieses Ereignis eine Epoche im Fortschritt der Zivilisation der menschlichen Rassen darstellen“.

Kurz gesagt: Man schob gut klingende Argumente als Vorwand vor und ließ die unmenschlichen, gesundheitszerstörenden Auswirkungen geschickt unter den Tisch fallen.

Wie wurde der Krieg eingefädelt?

Doch wie wurde das erreicht? Es gab einen maßgeblichen Drahtzieher, heute würde man sagen, einen Lobbyisten, der enormes Interesse an einem Krieg gegen China hatte: William Jardine, ein Opiumhändler, der durch diese Geschäfte ungeheuer reich wurde und zuletzt sogar einen Sitz im britischen Parlament bekam.

Jardine fädelte zusammen mit seinem Geschäftspartner James Matheson die Argumentation brillant und systematisch ein. Als reichem, einflussreichem Händler gelang es ihm zunächst, das Ohr des Außenministers für seine Ideen zu gewinnen.

Dann wandte er sich systematisch an die Öffentlichkeit. Von den beiden Opiumhändlern wurde detailliert geplant, sich die Zustimmung der führenden Zeitungen zu sichern und „literary men“, Schriftsteller zu gewinnen, die den Krieg voranbringen sollten.

Beides gelang mit Bravour. Viele Zeitungen berichteten innerhalb kurzer Zeit im Sinne der Kriegspartei.

Ein Bestseller-Autor wurde beauftragt, ein Buch zu schreiben, das pünktlich Anfang 1840, also einige Monate vor Kriegsbeginn, erschien. In dem Buch wurden die chinesischen Verantwortlichen beschimpft und nach Vergeltung zur Rettung der nationalen Ehre aufgerufen.

Es war also alles andere als Zufall, dass sich die öffentliche Meinung in Großbritannien bzw. dem britischen Parlament drehte. Die Parlamentsabstimmung war schließlich mit 271 zu 262 Stimmen äußerst knapp. Sehr reiche, nicht allzu moralische Kaufleute hatten wohl letztlich den Ausschlag gegeben.

Ein genialer Schachzug, um die Eliten des anderen Landes auszuschalten

Was jedoch in praktisch allen historischen Darstellungen fehlt, ist folgendes: Opium ist im Wesentlichen eine Droge für wohlhabende Menschen, denn es ist nicht wirklich billig, vor allem, wenn man mit berücksichtigt, dass man durch vermehrten Opiumkonsum auf Dauer arbeitsunfähig wird.

Opium ist eine Droge für die Eliten. Auch zeitgenössische Statistiken bestätigen das. Dadurch können die leitenden Kreise eines Volkes auf Generationen schwach, krank und apathisch bzw. willenlos gemacht werden. Unter machtpolitischen Gesichtspunkten ist es also ein genialer Schachzug, die Eliten eines anderen Volkes auszuschalten. Dadurch macht man ein Land langfristig wehrlos, gefügig und unterdrückbar.

Die Strategie der Elitenvernichtung ist in der Kriegsführung seit langem bekannt und wird seit Jahrtausenden bis heute sehr erfolgreich eingesetzt.

Auch wenn dieses Argument in der mir bekannten offiziellen historischen Literatur zu den Opiumkriegen nie erwähnt wird, dürfte es meiner Einschätzung nach bei den eigentlichen Drahtziehern – damit meine ich nicht die Kaufleute Jardine und Matheson – sehr wohl bekannt gewesen sein und dürfte der wichtigste oder der eigentliche Grund für den Krieg gewesen sein. Tatsächlich hat das Überfluten Chinas mit Opium das Land für etwa vier Generation, bis Mao, zu einem Helotenvolk gemacht.

Lehren aus der Geschichte

Was können wir aus der Geschichte lernen? Wir können uns aktuell, bezogen auf unseren Umgang mit Corona, folgende Fragen stellen:

Wer sind die heutigen Lobbyisten? Wer hat heute welche finanziellen oder machtpolitischen Interessen? Könnte jemand Interesse an gesundheitsschwächenden Maßnahmen haben?

Könnten heute Interessengruppen von einem Niedergang der Wirtschaft, insbesondere von kleinen und Mittelständischen Unternehmen profitieren? Wer nimmt heute welchen Einfluss auf unsere Medien? Wie ausgewogen wird heute in Medien und der öffentlichen Meinung argumentiert?

Gibt es stark geförderte Bestseller-Autoren, die gezielte Interessenpositionen vertreten, beispielsweise eine neue Wirtschaftsordnung propagieren? Welche wohlklingenden Argumente werden in den Vordergrund gerückt und welche Argumente lässt man unter den Tisch fallen?

Wie geht man im öffentlichen Diskurs mit Andersdenkenden um, insbesondere mit den führenden Köpfen, die der herrschenden Meinung gefährlich werden könnten?

Ich denke, wir können einiges aus der Geschichte lernen.

Zum Autor: Dr. Christian Kreiß ist seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Er ist auch Autor von sieben Büchern und wurde mehrfach als unabhängiger Experte in den Deutschen Bundestag (Grüne, Linke, SPD) eingeladen. Website: www.menschengerechtewirtschaft.de

 

 

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