Afghanistan: Was Europa wirklich droht

Für Europa bedeutet die Lage in Afghanistan mehr als nur eine neue Flüchtlingswelle - unter anderem eine starke Intensivierung des Großangriffes aus China. "In Europa wird jedoch nirgendwo über all das auch nur nachgedacht", schreibt Gastautor Andreas Unterberger.
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Andreas Unterberger im Interview mit der Epoch Times, 25. September 2019.Foto: Screenshot / ET
Von 23. August 2021

Zuerst die Griechen, dann die Perser, dann die Araber, dann die Türken, dann die Mongolen, dann die Briten, dann die Sowjets, dann die Amerikaner und jetzt offenbar die Chinesen: Warum um alles in der Welt wollten sie alle eine Region unter Kontrolle bringen, deren Menschen zu den ärmsten Asiens zählen und in der sich alle immer nur blutige Köpfe geholt haben?

Genau in dieser Vielfalt der „Besucher“ liegt aber die Antwort: Afghanistan ist die zentrale Drehscheibe, das wichtigste Durchgangsland Asiens. Seine zentrale Lage hat immer Eroberer wie Nomaden angezogen. Gleichzeitig aber hat die unruhige Vielfalt der Stammesstrukturen dazu geführt, dass sich keine fremde Macht dauerhaft festsetzen und schon gar nicht ein „Nation building“ schaffen konnte.

Die Drehscheibenfunktion Afghanistans bleibt auch für seine Zukunft wichtig. Für diese ist noch ein zweiter Faktor entscheidend: sein Reichtum an Bodenschätzen. Beide Faktoren sorgen dafür, wer heute das stärkste Interesse an der Zukunft Afghanistans hat: ganz eindeutig China.

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Während alle anderen Mächte den Höhepunkt ihrer Stärke deutlich hinter sich haben, glauben die Herrscher in Peking an den weiteren eigenen Aufstieg bis hin zur globalen Führung. Dem dienen alle strategischen Aktionen, wie insbesondere in den letzten Jahren die Initiative für eine neue Seidenstraße. Auch wenn daran viele Details unklar sind, so ist die Richtung eindeutig: nach Westen, nach Europa. Auf dieser Route und auch in Europa selbst haben die Chinesen schon eine Reihe von Stützpunkten besetzt. Dies gelang ihnen vor allem dort, wo Länder entweder von der linksliberalen Gleichmacher-Politik aus Brüssel gedemütigt werden oder wo sie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken und käuflich geworden sind. Siehe etwa Griechenland. Siehe etwa Ungarn.

Aber kein Abschnitt der Seidenstraße-Initiative ist so wichtig für Peking wie das ewige Durchzugsland Afghanistan. Angesichts des Kollapses der US-Präsenz, der Implosion der korrupten afghanischen Regierung und des Fehlens von europäischem Verständnis für die Region tun sich nun riesige Tore für die chinesischen Ambitionen auf.

Europa irrt, wenn es glaubt, dass ein fundamentalistisch-islamisches Regime und eine kommunistische Diktatur unvereinbar wären. Das hat man an der brutalen Verfolgung der islamischen Uiguren in China abzulesen geglaubt.

Jedoch: Solange nicht die Gefahr eines fundamentalistischen Überschwappens auf die eigene Bevölkerung besteht, denkt China nicht totalitär, sondern imperialistisch. Außerhalb der eigenen Landesgrenzen ist man bereit, eng mit den Islamisten zu kooperieren, wenn es den eigenen Interessen dient. Überdies sieht Pekings Führungselite eine große Sympathie für alle anderen globalen Akteure, die in Konfrontation mit den demokratischen Westmächten stehen. Wie etwa die Islamisten.

Zwar ist gewiss auch für Peking Terror unheimlich – solcher im eigenen Land. Aber im Ausland besteht großes Interesse an jeder Aktion gegen den Westen, weil dieser andere Nationen in Sachen Menschenrechte, Demokratie oder Rechtsstaat zu rügen oder bestrafen versucht. Ärgert man sich doch selber ständig über westliche Kritik und Ermahnungen.

Eine solche globale Allianz der Unrechtssysteme bedeutet eine Riesengefahr für die morsch gewordene demokratische Welt. Umso dümmer sind daher die Reibereien innerhalb der EU, weil osteuropäische Länder nicht den linksliberalen Vorstellungen Brüssels entsprechen.

Für Europa bedeuten die Vorgänge in Afghanistan jedenfalls viel mehr Gefahren als nur eine neue Flüchtlingswelle:

  • Erstens eine starke Intensivierung des wirtschaftlichen Großangriffs aus China.
  • Zweitens die nüchterne Erkenntnis, dass das demokratisch-rechtsstaatliche Modell durch die Vorgänge in Afghanistan (wie auch durch die in Belarus oder Myanmar) dramatisch an globaler Attraktivität verloren hat.
  • Drittens die immense Gefahr, dass durch den Sieg der Taliban islamische Terroristen weltweit gewaltige Ermunterung erfahren haben – auch wenn die Taliban selbst nicht einschlägig aktiv werden sollten (immerhin sind sie ja inzwischen um zwanzig Jahre älter und vermutlich doch ein wenig vorsichtiger geworden; immerhin fürchten sie, dass dann amerikanische Bombenattacken auf ihre Führer drohen; und immerhin sind die Islamistenbanden zum Teil untereinander verfeindet). Aber von Europa bis Afrika, von Israel bis nach Südostasien sind alle Fanatiker massiv ermutigt worden: Am Schluss siegt der radikale Islam gegen den ungläubigen und dekadenten Westen.
  • Und viertens die schwierige Frage, wie man weiter mit dem Taliban-Regime umgehen soll. Einerseits verlangt die gesamte Öffentlichkeit, sich wenigstens durch Wirtschaftssanktionen zu rächen. Andererseits aber ist klar: Je konsequenter man das tut, umso breiter werden die Taliban die Tore für China und die globale Allianz der totalitären Diktaturen öffnen.

In Europa wird jedoch nirgendwo über all das auch nur nachgedacht.

Andreas Unterberger ist österreichischer Jurist und Journalist. Er betreibt seit mehr als zehn Jahren unter www.andreas-unterberger.at Österreichs meistgelesenen Politikblog. Er war 14 Jahre lang Chefredakteur der Tageszeitungen „Die Presse“ und „Wienerzeitung“. Davor war er Außenpolitik-Redakteur der „Presse“. Er hat mehrere Bücher verfasst, zuletzt „Das war 2020 – Lockdown, Freiheit, Migration“.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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