Ist die Ehe ein Vertrag?
Auf einer katholischen Pilgerfahrt ins Heilige Land erhielten die Paare in unserer Gruppe die Möglichkeit, ihr Ehegelübde in Kanaa zu erneuern. Dort hat Jesus bei einem Hochzeitsfest Wasser in Wein verwandelt und damit sein erstes öffentliches Wunder vollbracht. Ich war immer der Meinung, dass ein Ehegelübde nicht abläuft wie ein Ausweis und auch nicht erneuert werden müsste. Unser Priester versicherte mir, dass solche Gelübde nicht ablaufen würden und nicht erneuert werden müssten.
Die Zeremonie, der wir uns dort unterziehen würden, sei eine „erfundene Sache“, sagte der Priester. Eine Konzession an die heutige Zeit, an das Zartgefühl oder vielleicht an den Tourismus, nahm ich an.
Wenn die Ehe kein Vertrag ist, der ausläuft oder der wie ein Ausweis verlängert werden muss, was ist sie dann? Ist sie überhaupt ein Vertrag? Oder mehr oder weniger als ein Vertrag?
Die Einführung der einverständlichen Scheidung in den Vereinigten Staaten und in vielen anderen Ländern deutet darauf hin, dass sie weniger ist. Wenn ich mit meinem Klempner einen Vertrag abschließe, stimmen wir beide zu, dass er bestimmte Dienstleistungen erbringt und dass ich nach deren Fertigstellung einen vereinbarten Betrag zahle. Wir beide sind an den Vertrag, den wir freiwillig abgeschlossen haben, gebunden.
Eine Ehe, die eine Vereinbarung ist, „solange zu bleiben, bis der Wind sich dreht“ – um einen Mary-Poppins-Ausdruck zu verwenden – ist überhaupt kein Vertrag. Das wäre eine Vereinbarung, eine Art Freundschaft, die jede Seite, mit oder ohne Zustimmung des anderen, eigenmächtig widerrufen kann.
Selbst wenn die Ehe, wie es einmal war, als Vertrag angesehen würde, der nach dem Gesetz vollstreckt werden könnte, so ist die Ehe doch mehr als das.
Die Ehe und die Familie, die normalerweise aus ihr entsteht, beginnen mit einer Vereinbarung. Doch sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von anderen Verträgen. Die jungen Eheleute wissen nicht, womit sie es zu tun bekommen – die Schmerzen und Schwierigkeiten, die Verantwortung für ihre Kinder und die Angst um sie, sowie ihre eigenen Eltern, die alt und gebrechlich werden.
Eine Familie unterscheidet sich sehr von einem Wirtschaftsunternehmen, betont der israelische Philosoph Yoram Hazony. Niemand erwartet von einer Person, ob Partner oder Mitarbeiter, aus gegenseitiger Loyalität in einem Unternehmen zu bleiben, auch wenn es ihrem persönlichen Vorteil abträglich erscheint. Aber eine Familie kann und wird extreme Opfer fordern, sogar das Leben selbst.
Es ist richtig, dass bei einer Hochzeit Braut und Bräutigam, ihre Liebe zueinander und unsere Wünsche und Gebete für ihr zukünftiges gemeinsames Glück im Mittelpunkt stehen sollten. Zwei Menschen kommen zusammen, um ein neues Leben zu beginnen, um ihr eigenes Unternehmen zu gründen.
Aber lassen Sie uns innehalten, wie bei einer Hochzeit, um an all die Menschen, lebende und tote, zu denken, die in diesen neuen Stand getreten sind, diese uralte Institution, die Familien, Generationen und einzelne Menschen miteinander verbindet.
Opfer bringen
Die Ehe ist nicht nur eine Bezeichnung für Freundschaft oder Liebe, die der Staat registriert. Sie ist eine soziale, rechtliche, religiöse Institution, die größer und mächtiger ist als Freundschaft oder Zusammenleben. Auch spiegelt sie nicht nur die Liebe zwischen Braut und Bräutigam wider, sondern sie besitzt eine eigene Kraft, diese Liebe zu erhalten.
Wie der lutherische Theologe Dietrich Bonhoeffer in seiner Predigt schrieb, die er aus dem KZ einem jungen Paar zur Hochzeit schickte, kurz bevor er hingerichtet wurde: „Nicht eure Liebe ist es, die eure Ehe aufrechterhält; von nun an ist es die Ehe, die eure Liebe aufrechterhält.“
In der Ehe geht es nicht nur um das Glück und die Erfüllung der beiden Menschen, die heiraten. Sie ist auch Ausdruck der tiefen Wahrheit, dass wir Glück und dauerhafte Liebe nicht durch Streben nach persönlichem Glück finden, sondern durch die vollständige Selbsthingabe. Diese Hingabe geht darüber hinaus, sich dem anderen hinzugeben. Die Ehe ist auch das Opfer, das jede Generation der nächsten bringt; es bringt Erwachsene und Kinder hervor.
Wahr ist auch, dass die Ehe Opfer gegenüber der vorigen Generation fordert. Sonst gäbe es keine Schwieger-Witze, keine wunderbaren Gelegenheiten für gereizte Schwiegersöhne und -töchter, sich in Toleranz zu üben, und keine Gelegenheiten für Schwiegereltern, angesichts von Entscheidungen, die sie nicht mehr zu treffen haben, gleichmütig zu bleiben und sich lieber auf die Zunge zu beißen.
Die Ehe bringt nicht nur zwei Personen zusammen, sondern zwei Familien, zwei Erbanlagen, zwei Geschichten, Stammbäume, Traditionen, Eigenarten und manchmal auch zwei Glaubensgemeinschaften. Sie schafft eine neue Familie, indem sie auf Vorangegangenes zurückgreift und etwas Einzigartiges und Neues schafft.
Hazony drückte es folgendermaßen aus: „Ehe und Familie sind eingerichtet, um ein Erbe, das uns von unseren Eltern und deren Vorfahren hinterlassen wurde, an eine andere Generation weiterzugeben.“ Oder: „Eine Familie wird gegründet, um den Eltern und Vorfahren die Schuld für das Erbe von ihnen zurückzuzahlen, eine Schuld, die nur zurückgezahlt werden kann, indem man neue Generationen aufzieht, die dieses Erbe erhalten und, wenn möglich, ihrerseits verbessern.“
Ehe und Familie beruhen auf gegenseitiger Loyalität und fördern diese. Sie beruhen nicht auf Berechnungen des individuellen Vorteils wie bei Geschäfts- oder Markttransaktionen. Wir werden nicht als unbelastete, autonome Individuen geboren, sondern werden in eine Familie, eine Kultur und eine Nation hineingeboren. All das sind Beziehungen von Schuld und Wechselwirkung. Sie beruhen auf gegenseitiger Loyalität und nicht auf Berechnungen des individuellen Vorteils. Die Ehe beginnt also mit einem Vertrag – auch wenn er im modernen Scheidungsrecht ein abgeschwächter ist. Doch in Wirklichkeit ist die Ehe viel, viel mehr als das.
Paul Adams ist emeritierter Professor für Sozialarbeit an der „University of Hawaii“ und war Professor und stellvertretender Dekan für akademische Angelegenheiten an der „Case Western Reserve University“. Er ist Co-Autor von „Social Justice Isn’t What You Think It Is“ und hat ausführlich über Sozialpolitik und Berufs- und Tugendethik geschrieben.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die Ansichten des Autors und nicht zwangsläufig die von „The Epoch Times“. Das Original erschien in der amerikanischen „The Epoch Times“ (deutsche Bearbeitung von aw). Originalartikel: Is Marriage a Contract?
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