„Verletzte Gefühle“: Buchautorin schildert Brutalität und Missstände in Russland
Ob Korruption, Vetternwirtschaft oder staatliche Repressionen: Die Probleme der russischen Gesellschaft sind ein weites Feld, doch mit gerade einmal 35 Jahren hat sich die Schriftstellerin Alissa Ganijewa schon als Expertin einen Namen gemacht.
Seit rund zehn Jahren schreibt Ganijewa feinfühlig und pointiert über Missstände in ihrem Land und hat damit in Russland bereits große Popularität erlangt. Anfangs widmete sich die junge Autorin ausschließlich ihrer Heimat, der russischen Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus.
Mit dem Roman „Verletzte Gefühle“ (Wieser Verlag) ist nun bereits ihr drittes Buch auf Deutsch erschienen – und das erste, in dem sie eine gesamtrussische Realität beschreibt.
„Verletzte Gefühle“ ist eine Gesellschaftskritik, verpackt als Kriminalroman. Ein regionaler Wirtschaftsminister wird tot aufgefunden. War es ein Herzstillstand? Oder doch Mord? Immerhin wurde der Politiker vor seinem Tod erpresst, weil er seiner Geliebten, einer reichen Bauunternehmerin, unter der Hand lukrative Aufträge verschafft hat.
Doch schnell wird klar: In der kleinen Provinzstadt war der Minister nicht der einzige mit einem dunklen Geheimnis. Während die Ermittlungen voranschreiten, greifen anonyme Beschuldigungen und Denunziation wie eine Seuche um sich.
Menschen kommen unter ungeklärten Umständen ums Leben
Ganijewa zeichnet in dem Buch das düstere Bild eines Russlands, in dem Menschen unter ungeklärten Umständen ums Leben kommen und in dem von der Schuldirektorin bis zum Kirchenvertreter alle käuflich sind. Ganijewa schreibt von staatlichem Druck auf Historiker; von einem Journalisten, der als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt wurde; von Wahlfälschung und Lebensmittelsanktionen.
Trotz diverser Verweise auf russische Klassiker: „Verletzte Gefühle“ ist ein sehr aktuelles Gesellschaftsporträt – und eine Abrechnung mit den Mächtigen.
Regierungs- und gesellschaftskritische Werke über die russische Gegenwart seien derzeit nicht allzu populär, sagt Ganijewa der Deutschen Presse-Agentur.
„Die einen sagen, dass die Realität noch nicht abgeschlossen ist, dass man besser in 50 Jahren darüber schreiben sollte“, erklärt sie. „Andere sagen, dass politische Themen für die Literatur schädlich sind.“
Dabei ermögliche gerade die Literatur, mitunter „vollständigere und tiefgründigere Schlüsse“ zu ziehen als journalistische Texte, sagt die Autorin, die am renommierten Moskauer Maxim-Gorki-Literaturinstitut studiert hat.
Ihr erstes Buch veröffentlicht sie unter einem männlichen Pseudonym
Doch Ganijewa ist es gewohnt anzuecken, nicht zu gefallen, Empörung auszulösen. Ihre ersten drei Werke – zwei davon sind ebenfalls ins Deutsche übersetzt – handeln von ihrer muslimisch geprägten Heimat im Kaukasus.
Ganijewa, die in der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala aufgewachsen ist, beschreibt darin eine Region zwischen sowjetischer Tradition und militantem Islamismus. Ihre 2010 veröffentlichte Debüterzählung „Salam tebe, Dalgat“ schreibt sie unter einem männlichen Pseudonym, um ernster genommen zu werden.
Das Buch sei in Dagestan damals eingeschlagen „wie eine Bombe“, erinnert sich Ganijewa, die selbst nicht religiös ist, heute. Man habe ihr vorgeworfen, unpatriotisch zu sein und die Heimat zu beleidigen, sie wird bedroht.
Doch die junge Frau schreibt weiter, richtet weiter den Finger auf gesellschaftliche Missstände, konservative Familienverhältnisse, arrangierte Ehen.
Ihr ist es wichtig, ein realistisches Bild von ihrer Heimat zu vermitteln
Sie schildert aber auch die Brutalität russischer Anti-Terror-Einheiten gegenüber der dagestanischen Bevölkerung; beschreibt Polizisten, die Zivilisten schikanieren und foltern. Und sie thematisiert Vorurteile und Stereotype, denen Dagestaner in Russland oft ausgesetzt sind.
So ist etwa Protagonistin Patja es im Roman „Eine Liebe im Kaukasus“ längst leid, das Bild in den Köpfen ihrer Moskauer Freunde gerade zu rücken, die sie für eine bevormundete Muslima halten. Es sei ihr wichtig gewesen, ein realistisches Bild von ihrer Heimat zu vermitteln, sagt Ganijewa.
Während kritische Journalisten und Aktivisten in Russland immer wieder mit Repressionen und Anfeindungen rechnen müssen, könne sie als Schriftstellerin Kritik deutlich freier äußern, erklärt Ganijewa, die selbst auch journalistische Texte schreibt und eine eigene Sendung im angesehenen Radiosender Echo Moskwy hat.
Bücher wie das nun auf Deutsch erschienene „Verletzte Gefühle“ hätten zwar kaum Chancen auf renommierte russische Preise, tauchten selten auf Empfehlungslisten für Bibliotheken auf und erst recht nicht als Schullektüre. Zensur im klassischen Sinne gebe es aber nicht.
Wegen einer Protestaktion stand sie kürzlich in Moskau vor Gericht
Doch auch abseits der Literatur findet Ganijewa klare Worte für repressive Mechanismen im heutigen Russland. Mit Bedacht, aber scharf prangert die 35-Jährige „komische Gesetze“ an, die „keinen Bezug zu einem legalen System oder gar zu Menschenrechten haben“.
Behörden könnten einfach „einen beliebigen Strafbestand zusammenzimmern für denjenigen, für den man das gerade braucht“, sagt sie. Wegen einer Protestaktion gegen die Inhaftierung eines regierungskritischen Journalisten im vergangenen Jahr stand sie kürzlich sogar in Moskau vor Gericht und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.
– Alissa Ganijewa: Verletzte Gefühle. Aus dem Russischen übersetzt von Johannes Eigner. Wieser Verlag, Klagenfurt, ca. 250 Seiten, 21,00 Euro, ISBN 978-3-99029-458-1. (dpa)
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