Raus aus der Komfortzone
Etwas verwirrt wachte ich auf: Ich war in einem Zelt und sofort sah ich mir meine Füße an. Es war der Morgen des zweiten Tages einer auf vier Tage ausgelegten, 70 Kilometer langen Wanderung durch den Nationalpark „Pictured Rocks National Lakeshore“ [bei den vier Seen im Norden der USA].
Drei Freunde und ich hatten die Reise sorgfältig geplant. Wir hatten genug Essen, Kleidung, Zelte und Vorräte, um die Wanderung zu überstehen. Außerdem hatten wir Filter dabei, um das Wasser aus dem Oberen See (Lake Superior) trinken zu können.
Aber wie so oft, wenn man ein Abenteuer in der Wildnis plant, hatte ein kleiner Fehler große Auswirkungen auf meinen Komfort während der Reise. In letzter Minute entschied ich mich, ein anderes Paar Schuhe zu tragen, als ich ursprünglich geplant hatte.
Statt leichten Traillaufschuhen nahm ich ein altes Paar hochhackiger Wanderschuhe mit. Ich habe einen chronisch schwachen Knöchel, den ich mir im Laufe der Jahre mehrfach verstauchte. Deshalb hatte ich Angst, beim Wandern mit dem Fuß umzuknicken und meinen Freunden zur Last zu fallen. Mit einer Verletzung aus der Wildnis herauszukommen, ist gar nicht so einfach. Die Wanderschuhe boten dem Knöchel zwar guten Halt, aber sie setzten meinen Füßen ganz schön zu. Nachdem ich an diesem Morgen aus dem Zelt geklettert war, begutachtete ich den Schaden.
Bereits auf den ersten Kilometern war mir klar, dass ich Blasen bekommen würde. Blasen tun natürlich weh, aber man kann sie aushalten. Das Problem war jedoch, dass ich wegen der Blasen an meinen Fersen meinen Gang änderte. Das führte dazu, dass ich unnatürlich auf den Fußballen auftrat, was dunkle, schmerzhafte Blutergüsse an meinen Fußballen verursachte.
Als wir unser Lagerfeuer vom Vorabend wieder in Gang brachten, Kaffee kochten und das Frühstück zubereiteten, war mir klar:
Ich muss die Schuhe wieder anziehen und mich damit anfreunden, es für einige Tage ungemütlich zu haben.
Nach 18 Kilometern erreichten wir unseren zweiten Lagerplatz und bauten schnell unsere Zelte auf. Während unserer Wanderung an diesem Tag konnten wir Felswände sehen und den herrlichen Ausblick auf den Oberen See, die Wasserfälle und andere Naturwunder genießen, für die „Pictured Rocks“ bekannt ist. Es ist wirklich einer der schönsten Orte der Welt.
Unser Lager war nun viel tiefer im Wald und die Mücken griffen an. Nachdem wir unser Lager aufgeschlagen hatten, schnappten wir uns, was wir brauchten – Essen, Wasser und Whiskey – und eilten hinunter zum Strand, wo wir uns mit Kriebelmücken herumschlagen mussten.
Wir verbrachten sechs oder sieben Stunden am Strand, entspannten uns, kochten das Abendessen und genossen das kalte Wasser des Oberen Sees, in dem wir unsere schmerzenden Füße und Wadenmuskeln kühlten. Nach dem Sonnenuntergang gegen 22:30 Uhr machten wir uns auf den Weg zurück zum Lager und schlüpften so schnell wie möglich in unsere Zelte, vom Summen der Mücken umgeben.
Als wir am dritten Tag losliefen, begannen wir, unsere Möglichkeiten abzuschätzen. Wir hatten 34 Kilometer vor uns, die wir in den nächsten zwei Tagen bewältigen wollten. Aber der Gedanke, unser Lager inmitten eines weiteren Mückenschwarms aufzuschlagen, war nicht wirklich verlockend.
Nachdem wir 21 Kilometer gewandert waren, machten wir gegen 17 Uhr am Miner‘s Beach eine Pause. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir alle irgendwelche Beschwerden: Blasen, schmerzende Knie, Rücken und Füße.
Bis zu unserem Lagerplatz waren es noch drei Kilometer, aber wir beschlossen, die letzten 13 Kilometer anzupacken und die Wanderung zu beenden, anstatt uns mit den Mücken herumzuschlagen.
Als wir die letzte Etappe antraten, wussten wir, dass wir nur noch drei, vielleicht vier Stunden Licht hatten, also mussten wir uns beeilen. Unsere Wanderung wurde zu einem Traillauf, den wir beim Anbruch der Dunkelheit um 22:30 Uhr beendeten. Wir waren in Schweiß gebadet, hatten Schmerzen, waren durstig … und voller Begeisterung.
Unser kleines Abenteuer in diesem Jahr verblasst im Vergleich zu vielen der epischen Ausflüge, die man auf Instagram oder Netflix sieht. Aber für mich – einem Schreibtischhengst mittleren Alters – war es ziemlich extrem. Und es holte mich definitiv aus meiner Komfortzone.
Durch Unannehmlichkeiten wachsen
Es ist leicht, im alltäglichen Trott festzustecken. Wenn wir älter werden, gerät unser Leben in bekannte Muster. Die Spontanität und das Abenteuer unserer Jugend werden von der Monotonie des Gewohnten verdrängt. Die Tage nehmen zwar kein Ende, aber das Leben scheint schneller zu vergehen.
Routine ist bequem. Aus der Routine auszubrechen, selbst in kleinen Schritten, ist unangenehm – weshalb die meisten Menschen es nicht tun. Doch wer sich Unannehmlichkeiten stellt, wird als Persönlichkeit wachsen.
Hier ein scheinbar triviales Beispiel, das sich auf Dauer ausgezahlt hat: Allzu oft schaue ich auf meinem Telefon nach neuen E-Mails von der Arbeit. Als ich in den Wald ging, wo wir drei Tage lang keinen Empfang hatten, war ich gezwungen, diese Gewohnheit aufzugeben.
Am Anfang war es unangenehm, doch dann erkannte ich, wie verrückt es ist, wenn ich zulasse, dass die Technologie meine Aufmerksamkeit von den Wundern der Welt um mich herum ablenkt.
Als ich wieder in die Welt des „Fünf Balken“-Datenempfangs eintrat, stellte ich fest, dass mein digitaler Entzug von Bestand war. Ich war keineswegs perfekt, aber die positiven Gefühle meines technikfreien Wochenendes führten dazu, dass ich auf der Suche nach einem schnellen Dopaminschub seltener zum Telefon griff.
Ein anderes Beispiel: Körperliche Fitness war schon immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, aber in den zwölf Monaten vor dieser Reise war ich in einen ziemlichen Trott verfallen. Meine Trainingsroutine war, nun ja, zur Routine geworden und ich fühlte, dass ich keine Fortschritte machte. Das Wochenende in „Pictured Rocks“ half mir, da herauszukommen.
Die Wanderung war natürlich eine körperliche Herausforderung. In drei Tagen 70 Kilometer in hügeligem Gelände mit vielen nassen, schlammigen Pfaden und Hindernissen zurückzulegen – und das alles mit schweren Rucksäcken – war anstrengend. Doch trotz der immer stärker werdenden Schmerzen in meinen Füßen wurde die Wanderung im Laufe der Tage immer leichter.
Der menschliche Körper ist ziemlich beeindruckend. Die meisten unserer körperlichen Grenzen (abgesehen von Verletzungen und Behinderungen natürlich) sind mentaler Natur. Der Körper versucht zwar instinktiv, Energie zu sparen, aber wenn es nötig ist, kann er auch richtig aufdrehen.
In den ersten zwei Tagen mögen sich körperliche Anstrengungen extrem hart anfühlen. Am dritten Tag ist es jedoch so, als ob der Körper zu sich selbst sagt: „Okay, so läuft das jetzt also“, und die selten genutzten Reserven anzapft. Die Gewöhnung an das Unbequeme im Gelände, wie auch die digitale Entgiftung, hat sich für mich in Form von besseren, härteren Trainingseinheiten ausgezahlt.
Sich durch neue Erlebnisse dauerhaft verändern
Damit will ich sagen: Es ist zwar nicht leicht, mit alten Routinen zu brechen, doch eine der besten Möglichkeiten, dies zu tun, besteht darin, sich in neue (oft unbequeme) Situationen und Erlebnisse zu stürzen. Unerwünschte Gewohnheiten kann man nicht durch Denken ändern.
Kein Artikel oder Online-Video wird die nötige Motivation liefern, um die Trägheit des Status quo zu überwinden.
Es ist fast immer notwendig, etwas Neues zu erleben – auch wenn es in dem Moment unangenehm ist –, um die Dinge anders zu sehen. Persönliche Erfahrungen sind der Wegbereiter für persönliche Verbesserung. Unbehagen ist der Katalysator für Wachstum.
Jay Harrington ist Autor, Anwalt und Unternehmer. Er betreibt eine von Nord-Michigan inspirierte Lifestyle-Marke namens „Life and Whim“. Er lebt mit seiner Frau und drei jungen Mädchen in einer Kleinstadt in den USA und schreibt über ein zielgerichtetes, naturnahes Leben.
Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: The Lasting Benefits of Getting Comfortable With Discomfort (deutsche Bearbeitung von as)
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