Das Geschenk – Von Manfred von Pentz Teil 1

Westlich von Macon, mitten im Herzen der Bourgogne, kaufte Miller einen Bauernhof am Rande eines fast verlassenen Dorfes. Es schien ein exzellentes Geschäft, und erst viel später kam heraus, warum der Preis so erstaunlich niedrig gewesen war.
Titelbild
Als er in das Loire-Tal kam, erwischte er sich beim Pfeifen eines seiner Lieblingschansons, etwas, das er seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte. Auch die Hunde spürten die Wendung zur Besserung.Foto: iStock

Eines Tages fasste Miller einen Entschluss.
Jener, der Entschluss, war schon seit längerer Zeit als Keimling in den flacheren Regionen seines Unterbewusstseins herumgegeistert, bruzzelnd sozusagen auf kleiner Flamme, dann und wann an den Pforten zur Wirklichkeit rüttelnd, darauf bedacht, in einem günstigen Moment den Akt der Geburt zu erzwingen. Dieser, der günstige Moment, hatte lange auf sich warten lassen, massgeblich einer tiefen Desorientierung wegen, hervorgerufen durch zu lange Untätigkeit und zu viel roten Wein.

An jenem Tage beschloss Miller, Paris zu verlassen.

Er gab sein Appartement einem Makler, kaufte einen alten Lieferwagen, füllte ihn mit seinen wenigen Besitztümern, nahm seine beiden Hunde an Bord und verschwand in Richtung Süden. Nahe Orleans fühlte er sich schon besser, und als er in das Loire-Tal kam, erwischte er sich beim Pfeifen eines seiner Lieblingschansons, etwas, das er seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte. Auch die Hunde spürten die Wendung zur Besserung. Sie waren in einem Zustand unterdrückter Erregung, mit hellglänzenden Augen und feuchten Nasen, und beschnüffelten jeden vorüberwehenden Hauch fasziniert und zutiefst befriedigt.
Zwei lange Monate zogen sie ohne Hast durch Südfrankreich, immer auf der Suche nach schlichten Maklern in Dörfern oder kleinen Städten, die ihnen halbverfallene Chateaux, heruntergekommene Herrenhäuser oder romantische Bauernhöfe zeigten. Miller schaffte es beinahe immer, dass die Makler ihn zum Mittagessen einluden, und irgendwie waren die unbeschwerten Unterhaltungen während dieser ländlichen Gelage eine Heilung in sich selbst.
Als Miller diese Belebung seiner Geister bemerkte, änderte er die Taktik und lud die Makler zum Essen ein. Die aber, als Sache der Ehre, lehnten ohne Unterschied ab.
‚Sie sind allesamt Diebe’, dachte er eines Tages. ‚Aber ich mag sie!’ Und später: ‘Der Grund hierfür muss sein, dass ich mich besser fühle!’

Die Hündin, eine dunkle und unmoralische Schönheit, darauf spezialisiert, kleinen Kindern hinterrücks die Eisbecher abzujagen, war läufig gewesen vor einigen Monaten. Der Hund Castor, nach erster und massloser Überraschung, hatte ausgiebigen Gebrauch von der Okkasion gemacht, und eines frühen Morgens fand Miller vier Nachkommen unter dem Beifahrersitz. Er starrte mit gemischten Gefühlen auf die winzigen Wesen, auf die Mutter, wieder schlank und elegant, aber mit einem unbegreiflichen Ausdruck in den normalerweise indolenten Augen, auf den stolzen Vater, betreten in der hintersten Ecke des Wagens sitzend, deutlich beunruhigt, und sagte: ‚Also, wir brauchen langsam ein richtiges Dach über dem Kopf!’

Unmerklich ging der Sommer zu Ende. Die Tage waren immer noch glorreich, aber die Nächte wurden kühl, dann kalt. Altweibersommerfäden hingen in der Luft wie gesponnenes Silber, und bald verfärbten sich die Blätter: gelb erst, und danach purpurn.
Westlich von Macon, mitten im Herzen der Bourgogne, kaufte er einen Bauernhof am Rande eines fast verlassenen Dorfes. Es schien ein exzellentes Geschäft, und erst viel später kam heraus, warum der Preis so erstaunlich niedrig gewesen war.
Das Dorf hieß Pierrefeu, und der Hof trug die Nummer Sieben, eine seiner Glückszahlen. Im Ganzen gab es zehn oder elf Anwesen, aber die meisten waren leer und verfallen, und nur drei permanent bewohnt. Das vierte Haus gehörte einem irren Bretonen, der manchmal auftauchte, sich bis zur Sinnlosigkeit vollkiffte und danach wieder wochenlang verschwand.

Miller begegnete ihm nur ein einziges Mal. Es geschah in einer warmen Nacht im Frühling, und zu Beginn verstand er kein Wort, denn der Bursche sprach einen derartig abartigen Dialekt, dass es nicht sofort klar war, ob er gegrüsst hatte oder nur geniest. Eine Mondfinsternis, vermutlich aussergewöhnlich schön der diesigen Luft wegen, stand zu nächtlicher Stunde auf dem Programm, und Miller war mit seinen Hunden erschienen, um dem Ereignis beizuwohnen. Auf einer grossen Wiese nicht weit vom Dorf entfernt, mit einem prächtigen Blick auf das dunkle Tal und den Mond, der darüber hing wie eine riesige Orange, lag er völlig entspannt zwischen den trocken duftenden Blumen, kauend auf einem Halm, traumverloren.
Die Hunde lagen um ihn herum, und manche schliefen, während andere, den Kopf auf die Pfoten gelehnt, still in die Ferne starrten. Er hatte früh versucht, ein Heim für die Neulinge zu finden, aber da war niemand unter den Kandidaten, alle aus den umliegenden Dörfern, die seinen exaltierten Erwartungen gerecht wurden. Die Tiere wuchsen erstaunlich schnell, entwickelten ihre einmaligen, unverwechselbaren Persönlichkeiten, bekamen Namen in Anlehnung an dieselben, und blieben.

‚Dämliche Köter’, brummte er liebevoll.
Er stützte seinen Oberkörper auf die Ellenbogen, warf den Kopf zurück und begann zu heulen. Es war ein Spiel, dass sie rein zufällig entdeckt hatten, und wie immer bedurfte es nur kürzester Zeit, bis der erste Hund einstimmte. Dann wurde der Rest wach, und bald darauf hallte ein geisterhaftes Konzert durch das stille Tal, schrill und wild und schaurig, beinahe so, als wären die grauen Wölfe wieder herabgestiegen aus dem eisigen Norden, um ihr verlorenes Königreich zurückzufordern.
Dann wurden die Dorfhunde wild, bellten wutentbrannt und zerrten an ihren Ketten.
Schließlich ging ein Licht an in einem der Fenster, und Miller hielt inne und sagte: ‚Shhh…! Ruhe, allesamt!’
Die darauffolgende Stille wurde sogleich von dem Geräusch laut klatschender Hände unterbrochen.
Jemand sagte: ‚Bravo!’
Miller fuhr herum und die Hunde taten das gleiche, hellwach und mit gesträubtem Haar. Über ihnen, hell gebadet in gelbes Mondlicht, knietief in Blumen und Halmen, stand ein Mann. Er trug eine Art wallenden Kaftan, und sein langes Haar stand senkrecht vom Kopf ab wie Draht von einer Bürste. Die Augen flackerten unsicher und verstört, sie waren feucht und glänzten sacht im stillen Licht. Sie spähten aus einem länglich bleichen Gesicht in eine Welt, die unwägbar schien und voller Rätsel. Das stoppelumflorte Kinn zuckte manchmal erregt und hing wieder durch, als kämen seinem Eigentümer profunde Erkenntnisse zugeflogen, die aber sofort, gleich Vogelschwärmen im hohen Morgennebel, jede Kontur verloren.

Er öffnete den Mund und machte ein zischendes Geräusch.
‚Gesundheit’, sagte Miller freundlich. Doch dann kamen ihm Zweifel und er fügte hinzu: ‚Verzeihung! Wie war das nochmal?’
‚Ob du ein Zauberer bist’, fragte der Mann. Seine Stimme klang stolpernd und pfeifend wie eine alte Dampfmaschine. Er machte ein paar Schritte voraus und hockte sich neben Miller.

‚Arthur’, krächste er und streckte eine lange kraftlose Hand aus. Miller schüttelte sie mit grosser Vorsicht, besorgt, sie könnte sich lösen und in seiner grossen Pfote liegen bleiben.
Er sagte: ‚Angenehm. Miller…’
Ein Ruch von indischem Weihrauch umgab Arthurs Person, und er schien zu zittern, denn die vielen silbernen Armreife an seinen dünnen Handgelenken bimmelten und glitzerten ständig.
‚Also, bist du ein Zauberer oder nicht’, fragte er schrill.
Miller lachte.
‚Leider nein’, sagte er. ‚Mütterlicherseits gab es mal einen, vor langer Zeit. Aber es ist ihm nicht so gut bekommen, wenn ich mich recht erinnere…’
‚Du kannst auch nicht fliegen?’
‚Ich?! So ganz für mich allein?’
‚Klar’, sagte Arthur und flappte mit den Armen, um zu zeigen wie man flog.
‚Nochmals nein’, sagte Miller traurig. ‚Als Kind habe ich in den Sommerferien als Pelikan in einem Wanderzirkus gearbeitet. Bis meine Mutter dahinter kam.’ Er seufzte. ‚Aber das ist lange her. Heute läuft da nichts mehr.’ Er beugte sich zu Arthur und flüsterte verschwörerisch. ‚Ich habe eine Erbanlage zum Absturz. Vertigo! Ich muss ganz fest mit den Füssen auf der Erde bleiben, immer und zu allen Zeiten!’
‚Ah, Vertigo’, krächste Arthur gefühlvoll, als ob er alles darüber wusste. Aber dann verdunkelte sich sein Gesicht und er flüsterte heiser: ‚So, so! Da sitzt du also hier bei Vollmond während der Geisterstunde mit sechs Dienern, die vielleicht Hunde sind, vielleicht aber auch nicht, und huldigst deinem Herrn und Meister mit infernalischen Lobgesängen!’
Miller dachte einen Moment nach. Dann nickte er und sagte: ‚Huldigung könnte man es nennen…’
‚Ha!’ schrie Arthur und schien noch bleicher zu werden. ‚Hab ich’s nicht geahnt! Und wenn ich es recht bedenke, bist du es vielleicht selbst!’
‚Wer’, fragte Miller stirnrunzelnd.
‚Er! Der Herr der Finsternis! Der Böse in Person!’
‚Nein, nein’, sagte Miller beschwichtigend, aber es half nichts mehr. Arthur sprang auf die Füsse und bekreuzigte sich mit wild klimpernden Armreifen. Dann trat einen Schritt zurück und auf den Schwanz eines der Hunde, genannt Sanders, und der heulte laut auf und biss Arthur in die Wade.
‚Madonna hilf!’ schrie dieser gellend.
‚Oh je’, sagte Miller und erhob sich auch. ‚Keine Sorge, er ist gegen Tollwut geimpft!’
Arthur fiel auf die Knie und hob bittend die Hände. ‚Oh Herr der gleissenden Sternenstürze! Oh du mein Luzifer! Lass einen armen Pilger ziehen!’
Miller trat einen Schritt zurück, nun ernstlich beunruhigt. Arthur nutzte die Gelegenheit, sprang auf und rannte davon wie ein erschreckter Hase.
‚Also wirklich’, sagte Miller kopfschüttelnd zu den Hunden. ‚Der Bursche ist ja völlig durchgeknallt!’ Dann rief er laut: ‚Gleich gibt es eine Mondfinsternis! Willst du sie dir nicht ansehen?’
‚Keine Mondfinsternis’, schrie Arthur. ‚Nicht heute nacht!’ Und aus weiter Ferne: ‚Es sei denn, du hast eine bestellt!’
Arthur hatte recht. Es gab keine Mondfinsternis in jener Nacht, und als Miller wieder nach Hause kam und nachsah, stellte er fest, dass er sich um einen ganzen Monat vertan hatte.
In der Nummer Neun wohnte die Witwe Lapin, eine törichte alte Haselmaus, die immer misstrauisch murmelnd durch einen halbgeschlossenen Fensterladen starrte, wenn Miller vorüberging. Sie verliess nie das Haus und lebte angeblich von Tautropfen und toten Mücken. Seine direkten Nachbarn waren die Renards, nämlich die Brüder Paul und Pierre und deren Mutter, letztere formidabel nicht nur im Geist, sondern auch im Umfang. Eines Tages, als er Mme Renard erhitzt und schnaufend zur Bushaltestelle rollen sah, nahm er sie mit bis nach Macon, wo sie den Hyänen von der Grundsteuer einen Obolus in den Rachen warf. Es dauerte eine Weile, und danach kaufte sie eine Flasche Pernod und lud Miller zu einem Cafe im Coupole ein. Miller kannte dessen Namensnichte in Paris ziemlich gut, und für einen Moment überkamen ihn Heimweh und andere, unbestimmbare Emotionen. Der Anfall verflog schnell, aber Mme Renard schien etwas bemerkt zu haben, denn sie tätschelte Millers grosse Hand auf mütterliche Art, und er errötete.
Als er sie wieder einmal mitnahm nach Macon, machten Pierre und Paul am Tag darauf ihren Antrittsbesuch und brachten dafür eine Flasche Wein mit. Die stammte, wie er gleich darauf erfuhr, aus eigener Produktion. Auf einem kleinen unscheinbaren Stück Erde mitten im Anbaugebiet wuchsen etwa hundert Weinstöcke, und die lieferten einen Wein, der besser war als alles, was Miller in seiner langen Karriere, vergangen oder zukünftig, je gekostet hatte.
‚Also, ungeheuer’, flüsterte er völlig fassungslos nach dem ersten vorsichtigen Schluck. Die erwartungsvollen Gesichter der beiden Weinbauern erblühten zu einem weiten Lächeln, und so wurde die Freundschaft zwischen Miller und den Renards ohne grosse Worte besiegelt.
Schließlich war da noch Brisson und seine Brut. Der hauste in einem weitläufigen heruntergekommenen Haus im unteren Teil des Dorfes, und sein zahlreicher Nachwuchs war in einem Zustand ständiger Erregung. Irgend jemand heulte oder brüllte immer, und wenn rein zufällig die Menschen einmal still waren, erhoben die Tiere ein lautes Geschrei. Nach Aussage der Brüder Renard geriet diese an sich schon unhaltbare Situation an Wochenenden völlig ausser Kontrolle. Brisson, normalerweise finster und verstockt, gosss sich mittags den Hals voll mit billigem Cognac, wurde nachmittags fröhlich, laut und aufgeräumt, und abends bösartig und aggressiv. Nach einem extrem kurzen und schrillen Disput mit seiner Frau, einer zähen Hippe aus der Provençe, verabreichte er der eine kräftige Maulschelle. Und sie, nicht faul, trat ihn hart gegen das Schienbein und liess dann ihre Wut an jenen Kindern aus, die nicht schnell genug in Deckung gegangen waren. Die älteste Tochter, eine aufreizende kleine Schlampe mit hungrigen Augen, benutzte den Anlass, um ihren Verlobten zu beleidigen, jener ein plattfüssiger Trottel aus dem Nachbardorf. Und der, in Anlehnung an uralten Brauch, versohlte ihr so lange den Hintern, bis sie kratzte, spuckte und schrie, und zerrte sie dann auf den Heuboden.
‚Tolles Lumpengesindel’, sagte Pierre verächtlich, und Paul spuckte auf die Erde.
Miller fragte sich, ob die ganze Geschichte wirklich stimmte, und warum es eine derartig tiefe und unüberwindliche Aversion in einem so kleinen Dorf geben konnte.
Viel später fand er heraus, dass der casus belli eine längst verfallene Scheune mitten im Wald war, von beiden Familien seit undenklichen Zeiten beansprucht.
‚Unser Eigentum seit der Revolution’, sagte Pierre.
‚Wenn nicht schon vorher’, sagte Paul.
‚Na ja’, sagte Mme Renard, legte das Strickzeug hin und sah aus dem Fenster. ‚Jedenfalls seit langer, langer Zeit.’
Brisson hatte einen Weinberg, der an Millers Land grenzte, und als der ihn eines Tages beim Rebenschneiden sah, nickte er ihm freundlich zu. Aber Brisson starrte nur finster vor sich hin, riss ein Weinblatt von einem Strauch und zerknüllte es mit harter, schwieliger Faust.
‚Er hat einen Kater’, dachte Miller, und zweifelnd fügte er hinzu: ‚Irgendwann werden wir Freunde…’

Am dritten Abend nach seinem Einzug im Chez Nuée, wie er das alte Bauernhaus auf dem kleinen Hügel liebevoll nannte, öffneten sich die Himmel und ein gewaltiger Regen stürzte herab auf das Land.
Miller, der warm und behaglich in einem riesigen alten Bett lag, lauschte dem Wind und dem Rauschen mit tiefer Befriedigung. Nach einer Weile, kaum hörbar erst, aber dann deutlich, nahm ein neues Geräusch Gestalt an. Ein Geräusch, das in keine bekannte Kategorie passte, ähnlich einem fernöstlichen Gamelan Orchester vielleicht, mit Kaskaden von Plinks und Plonks, manche hell klingend, andere etwas dumpfer. Es schien von überall zu kommen und füllte nach und nach das ganze Haus.
Miller, der in seiner abwechslungsreichen Karriere manchmal mehr gesehen hatte als gut für ihn war, liess sich nicht leicht beeindrucken. Aber die seltsame Kakophonie beunruhigte ihn irgendwie, und hauptsächlich deswegen, weil er die Ursache nicht erkennen konnte.
‚Merde alors’, knurrte er schliesslich verärgert, stand auf und zog einen Mantel an. Die Hunde, in ihren Körben, schien es nicht zu stören. In der Vorhalle war das Geräusch viel deutlicher zu hören und kam offenbar von oben. Miller nahm eine Taschenlampe, holte eine Leiter aus dem Keller und lehnte sie gegen die Luke im Dachboden. Den Dachboden selbst hatte er noch nicht inspiziert, und als er sich vorsichtig durch die enge Öffnung schob, musste er lange Fahnen schwarzer und staubiger Spinnweben aus dem Wege räumen. Als er den Strahl der Lampe zögernd durch das weite Gelass bewegte, gewahrte er eine überwältigende Ansammlung von alten Blechtöpfen, Eimern, Zinktellern, Plastikdosen und ähnlichen Behältern, und alle füllten sich langsam mit Regentropfen, die aus Löchern im Dach herunterfielen, jeder Tropfen der Urheber seiner ganz individuellen Melodie.
‚Also wirklich’, murmelte er kopfschüttelnd und betrachtete diese reichhaltige Bescherung mit gemischten Gefühlen. Nach einer Weile fügte er hinzu: ’Die Hütte muss aufgemöbelt werden, ohne Frage!’

Und so begann er, das Haus aufzumöbeln, und am Ende wurde eine komplette Renovierung daraus, mit einer neuen Küche, einem zweiten Schlafzimmer, und der enorme offene Kamin im Salon wieder voll betriebsfähig. Danach nahm er sich das Äussere vor, besserte Risse und Löcher im Verputz aus, legte neue Dachziegel zu den alten, schliff und beizte alle Fensterläden, strich die Dachrinne oder riss halbherzige Verkleidungen aus Asbest ab, die moderne Barbaren irgendwann angefügt hatten. Zum Schluss sah Chez Nuée wieder so aus, wie seine Erbauer es einmal erdacht hatten: unaufdringlich und schlicht in der Linie, aber perfekt ausgewogen und von stiller, zeitloser Schönheit.
Manchmal, wenn er das alte Gebäude freudig und mit fast kindlichem Stolz aus der Ferne betrachtete, verglich er es, nun gänzlich in Dichterlaune, mit einer hellgrauen Perle in einer vielfarbenen Muschel. Die Muschel war das Tal, und das wurde, so schien es ihm, von Tag zu Tag schöner.
‚Oder’, fragte er sich mit wachsender Verwunderung, ‚sind es meine Augen, die mehr sehen?’
Er begann, lange Wanderungen zu unternehmen, und die Hunde liebten es sehr. Mit der Zeit kannten sie alle Pfade, Höhlen und Felsvorsprünge, gaben den grösseren Bäumen Namen und brachten manchmal der kleinen Bachnymphe frische Blumen. Sie wussten, wo die Eichhörnchen lebten, der grüne Specht und der scheue Dachs. Sie sahen die Spuren von Damwild und einmal einen Adler, der in grosser Höhe seine Kreise zog.
Er band jedem der Hunde eine Schelle um, in der Hoffnung, so den wenigen Kreuzottern und anderen Schlangen rechtzeitig ihre Ankunft zu signalisieren und sie zu vertreiben.

Als er derart mit hellem Glockenklang durch den Wald zog, über dunkle, moosbewachsene Wege oder sonnendurchflutete Lichtungen, oft murmelnd oder mit lautem Gelächter, hielten ihn die wenigen Landleute, die ihm begegneten, für verrückt. Ein alter Trunkenbold aber, der an einem lauen Sommerabend schlafend am Wegesrand lag und von dem Gebimmel erwachte, behauptete später, ihm wäre ein Zauberer mit seinen Zwergen begegnet, und alle hätten ihn freundlich gegrüsst.
Dies ist der Stoff, aus dem manchmal, nach vielen Jahren, Märchen geboren werden.

Eines Morgens im November war das ganze Tal randvoll mit dichtem weissen Nebel, und Miller beschloss, seine tägliche Wanderung abzublasen und zurück ins warme Bett zu kriechen. Aber dann erschien ihm der Anblick so unwirklich und seltsam, die milchige Dichte so undurchdringlich und herausfordernd, dass er sich eines Besseren besann. Er nahm seinen Wanderstock fest in die rechte Hand und marschierte geradeaus in das Nichts, dabei seinem seemännischen Instinkt vertrauend oder, wie er es gern zu nennen pflegte, seinem eingebauten Kompass. Nach kurzer Zeit kam er vom Wege ab und stolperte in einen Graben, und danach in einen Brombeerbusch.
‚Verfluchter Mist’, knurrte er und versuchte, die dornigen Fangarme aus seiner Kleidung zu rupfen. Dann brüllte er: ‚Hierher, ihr Hunde!’
Die waren, ausgestattet mit einem wesentlich effektiveren Leitsystem, den vertrauten Pfad ohne jegliches Problem entlang gerannt, und es dauerte einige Zeit, bis einer seinen Herrn vermisste und wieder zurückkam. Es war Sirius, und Miller nahm ihn beim Schwanz und sagte: ‚Los, nach Hause!’
Aber entweder hatte Sirius sich verhört, oder er wollte nicht auf seinen täglichen Spaziergang verzichten, denn nach einiger Zeit merkte Miller, dass der Boden anstieg, und kurz darauf erreichten sie den steilen Pfad, der zur Kuppe des Berges führte. Inzwischen waren alle anderen Hunde wieder aufgetaucht und sprangen um ihn herum, lauthals bellend und schubsend mit feuchten Nasen, mal milchig grau und danach wieder unsichtbar, wie Djinns aus Tausend-und-einer-Nacht.
‚Ihr Hunde’, sagte er glücklich. ‚Ich komme ja schon!’
Als sie den Gipfel erreichten, wurde der Nebel plötzlich dünner und lag dann ganz unter ihnen, und die Morgensonne leuchtete hellrot wie eine junge Kirsche und stand nur eine Handbreit hoch über dem Horizont.
Im Laufe der Nacht war ein leichter Nieselregen gefallen, und der hatte sich auf die erfrorenen Äste und Zweige gelegt und war langsam zu Eis gewachsen. Und jetzt, als die hellen Sonnenstrahlen darauf fielen, wurden Bäume und Sträucher wie von innen mit einem rosigen Licht erleuchtet, schimmerten und glitzerten wie ein verzauberter Hain, wie ein riesiger roter Korallenwald im Ozean.
Und endlos wogte das Nebelmeer, so weit das Auge reichte, nur hier und da unterbrochen von einer anderen Hügelkuppe, mit einer Burg darauf oder einem einsamen Haus, kleine Inseln in einer unaufhörlichen Folge sanft rollender, weissgefiederter Wellen. Und darüber spannte sich ein unfasslich hoher Himmel von einem unglaublich reinen und tiefen Blau.
Miller setzte sich auf einen Baumstumpf und sagte: ‚Ich kann mich nicht erinnern, je etwas so Schönes gesehen zu haben…’
Dann geschah eine Art Katharsis, und Tränen begannen langsam in seinen Augen aufzuwellen, rollten über das zerfurchte Gesicht und fielen auf die gefalteten Hände, und von da auf die alten ausgetretenen Stiefel, mehr und mehr …

Die Affäre mit den Eiern passierte kurze Zeit danach. Chez Nuées Küche lag im unteren Stockwerk des kleinen Gehöfts, und die Aussentür führte in den Innenhof. Als Miller sie eines Morgens öffnete und nach draussen ging, vernahm er ein leichtes aber sehr deutliches Knacken, und als er zu Boden sah, stellte er fest, dass er auf ein Ei getreten war. …

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