Don Giovanni: Alle tragen ihren Teil zum Verhängnis bei
Warum die Salzburger Festspiele zu Recht das bekannteste Festival für klassische Musik und darstellende Kunst sind, bestätigt die Inszenierung des Mozartschen „Don Giovanni“ durch Regisseur Romeo Castellucci. Er, der gleichzeitig auch für Bühne, Kostüm und Licht verantwortlich zeichnet, versteht es, mit eindrücklichen und starken Bildkreationen im wahrsten Sinne die Geschichte augenfällig werden zu lassen.
Zusammen mit dem griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis und seinem Utopia Orchestra sowie einer Riege vielfach international preisgekrönter Sänger ist ein aufwühlender, höchst spannender und lang nachhallender Opernabend entstanden. Und das bei fast vier Stunden Aufführungsdauer.
Zusammenhänge erkennen
Der Abend beginnt mit Stille. Statt der erwarteten musikalischen Ouvertüre wird der Blick in einen großen, weiträumigen Kirchenraum freigegeben. Ganz verhalten dringen Straßengeräusche in diese Stille, eine Taube flattert. Eine Person mit Bauhelm und Arbeitsanzug betritt die Szenerie, protokolliert das Inventar.
Fast schon will sich Enttäuschung breitmachen, ob dieses vorangestellten modernen Einstiegs. Wenige Minuten später werden wir Zeuge, wie der Raum, der dem Gebet und der Anbetung des Schöpfers dienen sollte, aller Zeichen des Glaubens entleert wird.
Ein starkes Statement – Metapher unserer Gesellschaft. Denn dieser so entleerte Raum wird zu Don Giovannis Haus, dort, wo die Promiskuität zu Hause ist. Dort, wo Don Giovanni ein bitterernstes Spiel spielt, mit einem Herzen aus Stein, wie sein Diener Leporello später vermutet und dennoch minutiös Buch führt über alle „Eroberungen“ seines Herrn.
Die Dienste gegenüber seinem Herrn beschreibt er wie folgt: „Mit Geschwätz, Schmeicheleien und Lügen, wie ich sie bei Euch so gut gelernt habe, versuche ich, sie zu unterhalten.“ Die da unterhalten werden sollen, sind die Gäste einer bäuerlichen Hochzeitsgesellschaft samt Bräutigam, auf dass Don Giovanni – ausdrucksstark von Bariton Davide Luciano verkörpert – sich mit der Braut vergnügen kann.
Das Spannende an dieser Inszenierung ist nun aber, dass es Regisseur Castellucci gelingt, das verborgene Beziehungsgeflecht der Beteiligten deutlich werden zu lassen, weit entfernt davon, in Opfer und Täter zu separieren. Alle tragen ihren Teil dazu bei, dass Don Giovanni mit diabolischer Kraft – im ursprünglichen Sinne eine Kraft, „die zerteilt, die Spaltung erzeugt“, so Castellucci – durch die Leben der anderen pflügen kann.
Fülle an Spieleinfällen
Da ist zum einen Donna Elvira, überzeugend und kräftig von Federica Lombardi gespielt und gesungen. Sie schleudert Don Giovanni ihre Wut und ihren Zorn direkt ins Gesicht und bringt es auf den Punkt: „Den himmlischen und irdischen Gesetzen zum Trotz, verschwindest du nach drei Tagen.“ Sie bleibt zurück mit gebrochenem Herzen und – wie Castellucci deutlich macht, indem plötzlich ein Kind zwischen den beiden steht – all den möglichen Konsequenzen eines amourösen Abenteuers.
Ob das Kind geboren oder ungeboren blieb, bleibt offen. Allein das Kind vermag es, Don Giovanni vor sich herzutreiben; dieser Realität wagt er sich nicht zu stellen. Mit solchen zum Libretto zusätzlichen Handlungen lotet Castellucci die Tiefe dieser Oper aus, die zwar als Opera giocoso bezeichnet wird, also spielerisch, und ganz Mozart entsprechend ihre leichten und schalkhaften Momente besitzt, sich jedoch nie nur mit der Oberfläche begnügt.
Donna Anna, der Nadezhda Pavlova ihren wunderbar weichen Sopran verleiht, ist eine weitere von über 2.000 Frauen, mit denen Don Giovanni Eros lebt. Doch kommt hier der Vater in die Quere, den Don Giovanni, von ihm zum Kampf herausgefordert, kurzerhand tötet. Mit diesem Verbrechen beginnt die Oper und das, so vom Beginn der Erzählung an über Don Giovanni hängend, seine Skrupellosigkeit zeigt.
In immer wieder plötzlich ausbrechenden Aggressionsschüben Don Giovannis kann man erahnen, welcher Kampf hinter der zuckersüßen Fassade des Verführers lauert. Wütend kickt er die um ihn liegenden Pumps, stumme Zeugen seiner Verfehlungen, von sich.
Keiner, der eine Grenze aufzeigt
Don Ottavio, der Verlobte Annas, gibt ein gänzlich anderes Männerbild ab. Er ist hingebungsvoll Annas Wünschen erlegen und merkt in seiner blinden Verliebtheit nicht, oder will es nicht merken, wie Anna ihn hinhält, sich ihm immer wieder entzieht.
In ständig wechselnden Kostümen lässt ihn Castellucci erscheinen: als traurig-anrührenden Pierrot mit frisiertem Pudel, der in der nächsten Szene gleich doppelt so groß erscheint, wenn er sich selbst Mut zuspricht, den Totschlag an seinem zukünftigen Schwiegervater zu rächen, um dann mit Schild und Fahne, an Don Quijote erinnernd, von der Bühne zu stürmen – ohne dass Taten folgen.
Oder er erscheint alt wie Methusalem, um die immer gleichbleibende Ansage von Donna Anna zu erhalten, es sei noch Zeit zu warten. Wunderbar, seinem Schicksal sich ergebend, gesungen und gespielt von Julian Prégardien.
Auch Masetto, mit dem kräftigen Bariton von Ruben Drole, welcher der eingangs erwähnte Bräutigam ist, zeigt ebenso wenig charakterliche Größe. Er durchschaut zwar das Spiel Don Giovannis mit seiner Braut Zerlina – lebendig und zuweilen unglaublich sanft gesungen von Anna El-Khashem. Doch fühlt er sich hilflos ausgeliefert, zumal er sozial weit unterhalb steht. Seine Wut ist getrieben von Eifersucht. Allzu gern lässt er sich von Zerlina beruhigen, die dafür gezielt ihre Körperreize einsetzt.
Allein Donna Annas Vater, der als Commendatore mit der Verwaltung der Güter in einem Orden betraut ist, zeigt Haltung – und wird daher auch gleich am Anfang ins Jenseits befördert. Keine Autorität bleibt, die Don Giovanni Einhalt gebieten könnte.
Menschen im Nebel ihrer Eigensinne
Donna Elvira, die in ihrem Schmerz mit Entschlossenheit die Wahrheit ausspricht und somit auch Don Giovannis Treiben deutlich zu stören beginnt, erliegt erneut ihrer Illusion einer geglückten Liebesbeziehung mit Don Giovanni. Aller Vernunft zum Trotz redet sie sich ein, Mitleid mit Don Giovanni zu haben. Doch viel mehr die roten Seile der Verführung sind es, an die sich selbst hängt, der eigenen Sehnsucht nach Bestätigung erliegend?
Ist es bei Zerlina eher die Eitelkeit, die sie in die Arme Don Giovannis treibt – allzu verführerisch die Idee, ein Adliger interessiere sich für sie –, so ist es bei Donna Anna die eigene Lust, durch die sie Don Giovanni erliegt; so zumindest durch das parallele, etwas unbeholfene Spiel mit hölzernen Marionetten suggeriert.
Nachdem am Ende des ersten Aktes fulminant alle Werte, alle Tradition in einer Art Müllparty in brennenden Containern landen, bewegt sich der zweite Akt wie im beständigen Nebel. Die Formen beginnen in alles beherrschendem Weiß zu zerfließen. Allen mit Don Giovanni Verbundenen entgleitet zunehmend die Klarheit ihrer eigenen Handlung.
Eine große Anzahl an Frauen in unterschiedlichen Rosé-Schattierungen verkörpern die Vergangenheit des Protagonisten, der das Begehren zum Lebensinhalt stilisiert, und zeigen, dass hinter jedem seiner Abenteuer lebendige Frauen mit ihrer eigenen Persönlichkeit stehen, im Gegensatz zu den nüchternen Zahlen, die Leporello festhält.
Die Choreografien der gefühlt unzähligen Frauen, die viel auf ein blockhaftes Erscheinungsbild setzen, entbehren durch beständige fließende Übergänge und stetigen Wandel nicht an Leichtigkeit: Kreationen voller Anmut von der Choreografin und Tänzerin Cindy van Acker.
„Bereue, ändere dein Leben: Dies ist der letzte mögliche Augenblick!“
Der Geist des toten Commendatore ist es, der aus dem Jenseits eingreift und Gerechtigkeit schafft. Don Giovanni lädt ihn, der aus der Marmorstatue am Grab des Commendatore spricht, großspurig zum Nachtmahl ein.
Castellucci erspart sich hierbei, den Geist des Commendatore sichtbar zu machen. Er setzt ganz auf das expressive Spiel von Davide Luciano und lässt die raumfüllende Bassstimme von Dmitry Ulyanov ohne visuellen Reiz wirken.
Obwohl vom Commendatore mehrmals zur Reue aufgefordert, verweigert sich Don Giovanni dieser und muss nun ungemildert seine Rechnung begleichen. „Was zerreißt mir die Seele? Was wütet in meinem Innersten? Welche Pein, weh mir, welch Rasen! Welche Hölle! Welch Schrecken!“, ruft Don Giovanni beinahe verwundert, bevor sein Körper sich am Boden windet und liegenbleibt, ähnlich einer gekauerten Gestalt, die als Gipsabguss die Opfer des Vesuvausbruchs 79 n. Chr. wiedergibt.
Sein Diener Leporello, als einziger Zeuge der Vergeltung, findet folgende Worte: „Dieses verzweifelte Gesicht! Diese Zuckungen eines Verdammten! Welche Schreie! Welch Stöhnen! Er erfüllt mich mit Schrecken!“
Triumphierend singen zwar in der darauffolgenden und letzten Szene Donna Anna, Donna Elvira, Zerlina, Don Ottavio, Masetto und Leporello: „So endet, wer Böses tut: Der Tod eines jeden Schurken ist stets so, wie sein Leben war“, doch beschleicht einen das Gefühl, wann wohl für sie die Abrechnung kommen wird – sie, die sich so sicher auf der guten Seite fühlen.
Entgegen dem Wunsch Castelluccis, dass das moralistische Finale des Librettos Behauptung bleibe, transportiert sich dieser Fakt eins zu eins: Was wir säen, ernten wir.
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