„Am Ende die Freiheit“ – Einwanderung deutscher Siedler in Russland, der heutigen Ukraine
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Katharina II. (1729–1796), genannt „die Große“ und Zarin Russlands, baute die Einwanderungspolitik ihrer Vorgänger in großem Stil aus. Ansiedlungswilligen Landwirten und Handwerkern wurden Vergünstigungen eingeräumt, wenn sie bereit waren, in bisher kaum besiedeltes Gebiet zu kommen.
Dies galt zunächst für das Wolgagebiet. Als die Zarin nach der gewonnenen Auseinandersetzung mit den Türken ihren Machtbereich bis ans Schwarze Meer ausdehnte, fand sie in Südrussland, der heutigen Ukraine, eine weite, nur dünn besiedelte Steppenlandschaft vor.
Um hier in „Neurussland“ ein drohendes Machtvakuum zu vermeiden und diese Region zu stabilisieren, siedelte sie aus dem Ausland angeworbene Landwirte ebenda an. Darunter waren auch Mennoniten, eine aus der Täuferbewegung hervorgegangene protestantische Glaubensgemeinschaft, die überwiegend aus Westpreußen kam.
Die Ansiedlungen am Dnepr waren äußerst schwierig und lassen sich unter dem Satz „Erste Generation Tod, zweite Generation Not, dritte Generation Brot“ zusammenfassen. Dann allerdings konnten die mennonitischen Siedler nach und nach in weitgehender Selbstverwaltung eine prosperierende Landwirtschaft, ein eigenes Schulwesen sowie Krankenhäuser und Sozialeinrichtungen aufbauen.
Der Autor Jakob Martens
In einer Tochterkolonie, der Ansiedlung Baratow-Schlachtin südlich von Jekaterinoslaw (später russ. Dnepropetrowsk, ukr. Dnipro), lebte der Autor Jakob Martens im Dorf Grünfeld als Sohn eines wohlhabenden Bauern bis zu seiner Verhaftung als Kulak (synonym gebraucht für Ausbeuter, Kapitalist, Volksschädling oder Konterrevolutionär) durch das Sowjetregime im Jahr 1929.
Die frühe Kindheit verbringt er im Ukrainerdorf Petrovo und bekommt die ersten Eindrücke ukrainischen Lebens und Kultur mit. Später wird er im Dorf Grünfeld inmitten einer großen Geschwisterschar das Leben hart arbeitender Bauern kennenlernen und die Schule mit der 10. Klasse abschließen.
Erster Weltkrieg, deutsche Besatzung, Anarchie, Bürgerkrieg
Als wacher Zeitungsleser beobachtet Jakob Martens die immer bedrohlicher werdende politische Lage, die schließlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs genau an seinem 17. Geburtstag führt. Als privilegierter mennonitischer Kriegsdienstverweigerer tritt er kurz entschlossen in den freiwilligen Sanitätsdienst ein. Danach folgt ein längerer Ersatzdienst in den staatlichen Forstanlagen.
In dieser Zeit ereignet sich die Oktoberrevolution und als Folge davon entsteht in der südlichen Ukraine ein Machtvakuum, in das sich anarchistische Bewegungen drängen. Unter der Führung von Nestor Machno bildet sich eine Rebellenarmee, die inspiriert von den Ideen des Michael Bakunin eine Gesellschaft ohne Hierarchie und Standesunterschiede herbeiführen will.
Sie fühlt sich berechtigt, dafür die Gutsbesitzer und wohlhabenden Bauern auszuplündern und stellenweise fürchterliche Massaker anzurichten.
In dieser Bedrängnis werden die einrückenden deutschen Truppen von den Siedlern als Befreier von Terror und Anarchie gesehen. Nach Rückzug des deutschen Militärs erleben die Menschen in der Südukraine den Bürgerkrieg mit ständig wechselnden Besetzungen durch die Weiße oder die Rote Armee.
Als letztere schließlich die Oberhand gewinnt und auch in der Ukraine so etwas wie eine Ordnungsstruktur entsteht, keimt bei den erschöpften deutschen Bauern neue Hoffnung auf, endlich wieder in Ruhe ihre Äcker bestellen zu können.
Zwangskollektivierung und Verbannung
1929 begann die Sowjetunion mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, und der Druck auf die selbstständigen Bauern – nicht nur der deutschen und nicht nur der reichen – nahm ungeheure Formen an. Eine Fluchtbewegung unter den Mennoniten setzte ein und auch die Familie des Autors konnte über Moskau in letzter Minute ausreisen.
Jakob Martens saß da aber schon im Gefängnis und wurde später als Kulak in ein Zwangsarbeitslager bei Wologda nördlich von Moskau verschleppt.
Aufgrund eines Ausreisedokuments wagt er 1932 die winterliche Flucht zu Fuß und per Bahn nach Leningrad und kommt im deutschen Konsulat unter. Formalitäten zwingen ihn, die Zentrale der GPU (Geheimpolizei der Sowjetunion, Vorläufer des KGB) aufzusuchen und er wird erneut verhaftet.
Nun beginnt eine Odyssee durch mehrere grauenhafte Gefängnisse bis nach Archangelsk am Weißen Meer mit endlosen Verhören und Schikanen. Er erhält fünf weitere Jahre Arbeitslager aufgebrummt und wird per Kohlefrachter zusammen mit Hunderten weiteren Gefangenen, darunter viele Kriminelle, in einer halsbrecherischen Fahrt über die Barentssee und den Fluss Petschora nach Adz´vawom gebracht.
Hier am Rand des nördlichen Ural und ganz in der Nähe des berüchtigten Lagers Workuta erkrankt er lebensgefährlich. Aber die Lagerärztin bringt ihn durch und stellt Jakob Martens als Sanitäterhilfskraft an. Als solche wird er zusammen mit mehreren Gefangenen in ein weiteres Straflager versetzt und zum Assistenten des dortigen Lagerarztes bestimmt.
Nach erneuter überstandener schwerer Erkrankung muss er einen Gefangenentransport auf einem 300 Kilometer langen Fußmarsch durch die winterlich zugefrorene Landschaft als Sanitäter betreuen. Schließlich kommt der Autor nach Verbüßung seiner – ungerechtfertigten – Strafe frei und kehrt in seine Heimat zurück.
Jakob Martens hat von Jugend an Tagebuch geführt und das auch unter den extremen Bedingungen seiner Gefangenschaft weiter getan. Bewundernswert ist auch sein stetes Interesse an seinen Mitgefangenen, die ihm ihre bewegenden Lebensgeschichten erzählen und die er skizzenhaft festhält.
Die erstaunlichsten Schicksale von Menschen aus allen Himmelsrichtungen des großen Reiches, von den Solowetzki-Inseln im Weißen Meer bis nach Odessa am Schwarzen Meer oder den Kaukasus und von Polen bis zum Ural lassen das Bild einer „Gulag-Gesellschaft“ aufscheinen.
Ärzte, Professoren, Kaufleute, Bauern, Arbeiter und Kriminelle kommen ebenso vor wie Lageraufseher, GPU-Funktionäre und Wachleute. Mithilfe seiner ausgezeichneten Beobachtungsgabe führt er die vielen Szenen dieser Drangsal ebenso deutlich vor Augen wie die wunderschönen Landschaftseindrücke im nördlichen Russland.
Nach seiner Freilassung kommt Jakob Martens in einem Kolchos in der Nähe seines Heimatdorfes unter.
Zweiter Weltkrieg und Flüchtlingstreck
Im Zweiten Weltkrieg besetzen deutsche Truppen erneut die Ukraine. Nach der entscheidenden Schlacht bei Stalingrad ziehen sich die Truppen langsam zurück. Ihnen folgt ein riesiger Flüchtlingstreck zunächst in den Wartegau (Polen) und schließlich bis nach Ostdeutschland.
Während ein großer Teil der Flüchtlinge nach Einmarsch der Sowjetarmee wieder nach Russland zurückgeschickt wird, gelingt Jakob Martens die Flucht in den Westen. Nachdem er einige Jahre auf einem Gutshof bei Münster, Westfalen, als Arbeiter verbringt, kann er nach Paraguay zu seiner dort inzwischen angesiedelten Familie weiterreisen.
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich das bewegende Wiedersehen mit der Familie nach 19 Jahren Trennung und Ungewissheit vorzustellen.
Nun beginnt Jakob Martens seine im Laufe der Wirren dreimal verloren gegangenen Tagebücher erneut aus dem Gedächtnis niederzuschreiben. Daraus ist schlussendlich dieses Buch entstanden.
Resümee
Anhand dieses Einzelschicksals im politischen Kontext scheinen auch die Strukturen des Vielvölkerstaates Russland auf. Und dass die Ukrainer schon seit geraumer Zeit einen eigenen unabhängigen Staat haben wollten, findet im Buch seine Erwähnung. Die Dominanz Moskaus und der ethnisch fließende Übergang zwischen den Völkern hat das immer wieder verhindert.
Die Lektüre wird weitere Fragen nach der Geschichte des Riesenreiches mit seinen Herrschern, seinem Volk, der Kultur, den Umbrüchen und Katastrophen sowie Erfolgen hervorrufen. Eine fast unüberschaubare reichhaltige Literatur dazu kommt diesem Informationsbedürfnis entgegen.
Über den Autor:
Berthold Kliewer ist der in Buenos Aires geborene Neffe des Autors. Er ist Musikpädagoge und Dirigent i. R. Als Kind hat er seinen Onkel in Paraguay noch kennengelernt.
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Foto: Berthold Kliewer
Jakob Martens: „Am Ende die Freiheit – Durch Zarenreich und Sowjetunion nach Südamerika“
Hardcover, 520 Seiten mit Karten und Fotos, 24,80 €
Zu beziehen über www.kliewer-verlag.de oder über den Buchhandel.
ISBN 978-3-9824900-0-7
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