Bundessozialgericht bekräftigt Krankheitswert von Leidensdruck Transsexueller
Der psychische Leidensdruck transsexueller und nichtbinärer Menschen kann einen Krankheitswert haben. Das stellte das Bundessozialgericht (BSG) am Mittwoch in Kassel klar. Als Konsequenz muss der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) von Ärzten und Krankenkassen eine Richtlinie zu geschlechtsangleichenden Behandlungen verabschieden.
Sobald die Richtlinie in Kraft ist, müssen die Krankenkassen diese Behandlungen wieder bezahlen. Im konkreten Fall entschied das BSG zudem, dass sie bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen dann auch für die sogenannte Kryokonservierung und Lagerung von Sperma aufkommen müssen. (Az. B 1 KR 28/23 R)
Hintergrund ist ein BSG-Urteil vom Oktober, mit dem die obersten Sozialrichter geschlechtsangleichende Behandlungen als „neue Behandlungsmethode“ gewertet hatten.
Daher sei es zunächst Aufgabe des G-BA, der über den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidet, „zum Schutz der betroffenen Personen vor irreversiblen Fehlentscheidungen die sachgerechte Anwendung der neuen Methode sowie ihre Wirksamkeit und Qualität zu beurteilen“. Für bereits begonnene Behandlungen bestehe aber Vertrauensschutz.
Krankenkassen nahmen an, dass kein Anspruch auf Behandlung besteht, weil Transsexualität keine Krankheit sei
Zahlreiche Krankenkassen hatten aus diesem Urteil gefolgert, dass ein Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungen von vornherein nicht bestehen kann, weil Transsexualität keine Krankheit sei. Dem trat das BSG mit seinem neuen Urteil nun entgegen.
Zwar sei Transsexualität keine Krankheit, sehr wohl könne aber der „durch Geschlechtsinkongruenz verursachte Leidensdruck“ Krankheitswert haben. Eine Geschlechtsangleichung sei dann eine mögliche Behandlung, die der G-BA allerdings noch bewerten müsse.
Im Streitfall hatte die heute 24-jährige Klägerin im März eine Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau begonnen. So finanziert die AOK Niedersachsen bereits eine Hormonbehandlung und eine Laserentfernung der Barthaare.
AOK übernahm nicht Kosten für Einfrieren von Sperma
Noch vorher hatte der Mensch eigenes Sperma tiefgefroren einlagern lassen, um später die Möglichkeit eigener leiblicher Kinder zu haben. Eine Kostenübernahme für diese Kryokonservierung lehnte die AOK allerdings ab.
Hierzu urteilte nun das BSG, dass die Transsexuelle sich für ihre weitere Geschlechtsangleichung auch unabhängig vom G-BA auf Vertrauensschutz berufen könne, weil die AOK dem Beginn der Behandlung zugestimmt habe.
Daran gekoppelt sei dann auch die Kryokonservierung des Spermas. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür lägen im Grundsatz vor. Insbesondere sei die Geschlechtsangleichung eine Behandlung, die zur Unfruchtbarkeit führe.
Allerdings soll im Streitfall das Landessozialgericht Celle noch formale Fragen prüfen und beispielsweise klären, ob die nun gemachten Angaben der Klägerin zum Beginn ihrer Hormonbehandlung richtig sind. (afp)
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