Zwischen Feuer und Wasser
Beim ersten schnellen Durchblättern des Bildbandes ist auf den 224 Seiten viel Stein und Wasser zu sehen. Doch schon beim zweiten Öffnen des Bildbandes ziehen mich nicht nur die Bilder in Bann, sondern auch die Texte. Es ist zu spüren, mit welchem Geist Fotograf Stefan Nimmesgern und Autorin Susanne Lipps unterwegs sind. Das Staunen und die Faszination der Schöpfung stehen vorab.
Mit spielerischer Entdeckerlust wird der Leser auf vielfältige Wanderungen und Erkundungstouren mitgenommen. Beginnend mit Gran Canaria wird jede Insel der kanarischen Inselgruppe sowie Madeira mit den dazugehörigen kleineren Inseln einzeln wie ein Juwel ins rechte Licht gerückt. Ihre Einzigartigkeit wird so treffend herausgehoben.
Allesamt vulkanischen Ursprungs vereinen sie die Gegensätze Feuer und Wasser. Dieses Gegensatzpaar findet in Massentourismus versus Einsamkeit seine Entsprechung – von Insel zu Insel in unterschiedlichem Maß.
Unbändige Kraft
Dass nicht nur der Ozean, sondern auch die Erde in beständiger Bewegung und Verformung ist, wird in den Schilderungen dieser außergewöhnlichen Inseln deutlich. Vielen noch in Erinnerung sein dürfte der letzte Vulkanausbruch 2021 auf La Palma. 1.300 Häuser und viele Bananenplantagen wurden unter den Lavamassen vergraben, während sich im Meer, worin sich der Strom ergoss, eine neue Halbinsel formierte.
Spannend deshalb auch, dass der Fotograf Nimmesgern vereinzelt Menschen in diesen Naturschauspielen mit ablichtet. Es verdeutlicht, um was es vor allem geht: die Beziehung und im Besonderen die Verletzlichkeit des Menschen gegenüber den Naturgewalten.
Die Wechselhaftigkeit dieser Beziehung erzählt sich durch die sowohl hochdramatischen Bilder als auch durch die Zartheit und die Poesie derer.
Worte erschließen das Verborgene
Die Texte sind die Brücke zu den teilweise auch bizarr und fremd anmutenden Bildern. Nicht umsonst trainierte ESA-Astronaut Matthias Maurer auf Lanzarote für eine Mondmission, erfahren wir.
Sie fächern ein Kaleidoskop auf an selbst erlebten Begebenheiten des Fotografen, botanisch und geologisch interessanten Aspekten als auch historischen Geschichten.
So wird Alexander von Humboldt zitiert, als er „im Juni 1799 eine Woche Station auf Teneriffa“ machte, „bevor er seine mehrjährige Forschungsexpedition nach Südamerika fortsetzte“: „Ich habe im heißen Erdgürtel Landschaften gesehen, wo die Natur großartiger ist, aber nirgends ein so mannigfaltiges, so anziehendes, durch die Verteilung von Grün und Felsmassen so harmonisches Gemälde.“
Warum ewiger Frühling?
Durch das ausgeglichene Klima im gesamten Jahr – eigentlich nie unter 20 °C, aber auch nicht über 27-30 °C – ist auf den Kanaren und Madeira ein ständiges Wachsen und Gedeihen zugange. Und beide zählen zu den Makaronesischen Inselgruppen, den sogenannten glückseligen.
Schon im Altertum wurde der Begriff „Inseln des ewigen Frühlings“ geprägt. Die Wassertemperaturen der kanarischen Inseln sind mit 19 °C im Winter wärmer als die Ostsee im Hochsommer. In Madeira, etwas nördlicher gelegen, sind sie, je nach Jahreszeit, zwischen 17 und 23 °C.
Madeira, das portugiesische Wort für Holz und so benannt wegen „des enormen Bestandes an Urwald“, gilt dank zahlreicher Wasserfälle als die Blumeninsel schlechthin. Porto Santo dient mit endlosen Sandstränden zwei Schiffsstunden von Madeira entfernt den Madeirern als Ferieninsel.
Die ebenfalls nicht weit entfernte Inselgruppe der Ilhas Desertas ist seit Ende des 19. Jahrhunderts hingegen unbewohnt. Denn eine Grundvoraussetzung fehlt: Süßwasser. Weil Menschen sich hier aus diesem Grund nicht dauerhaft angesiedelt haben, sind die Inseln umso attraktiver für seltene Tierarten wie die Mittelmeer-Mönchsrobbe und die Desertas-Tarantel.
Abtauchen in andere Welten
Seien es die Lorbeerwälder oder die endemische Wolfsmilchart mit dem treffenden Namen Fischfangwolfsmilch oder eine neu entdeckte Bakterienart auf El Hierro, die wegen ihrer haarähnlichen Struktur Venushaar getauft wurde: Susanne Lipps gelingt es leichtfüßig, die Erzählungen menschlicher Lebensarten in dieser Natur mit Beschreibungen der Besonderheiten von Flora und Fauna zu verbinden. So wurden in Madeira Fische in den künstlich angelegten Meerwasserbecken an der Küste mit der Fischfangwolfsmilch betäubt, um sie sodann leicht von Hand fangen zu können.
Der Strand in Porto Santo ist goldgelb. „Es ist ein karbonatreicher Sand, der Magnesium und Strontium enthält, und wir kennen die gesundheitlichen Vorteile, die Strontium als natürliches entzündungshemmendes Mittel hat“, wird João Baptista von der Universität Aveiro zitiert. So verwundert es nicht, dass hier Sandbaden praktiziert wird. Mehrere Hotels bieten professionelle Sandkuren an.
Weiter erfährt man, dass Christoph Kolumbus 1479 in die Lehnsherrenfamilie von Porto Santo einheiratete. Hier soll er seine Atlantiküberquerung ins Auge gefasst haben. Der Samen einer karibischen Liane bewies ihm, dass es weiteres Land im Westen geben müsse.
Die richtige Position
„Wenn bange, unruhige und böse Gedanken kommen, so gehe ich ans Meer, und das Meer übertönt sie mit seinen großen, weiten Geräuschen, reinigt mich mit seinem Lärm und legt einen Rhythmus allem in mir auf, was verstört und verwirrt ist.“
So kommt Rainer Maria Rilke im Buch zu Wort. Er fängt die Kraft ein, die in der Begegnung mit diesen Landschaften entsteht. Sich als Mensch in diesem Gefüge richtig einzuordnen, heißt sich in erster Linie als Geschöpf zu begreifen, denn als Schöpfer. Diese Portion Demut lässt uns Teil des Universums werden, mit seinem Strom der ewigen Wandlung.
Das Buch leistet seinen Beitrag: die Sehnsucht nach mystischen Orten zu stillen und zu erleben, was es heißt, Gast zu sein in der Natur.
Stefan Nimmesgern, Susanne Lipps-Breda
Die Inseln des ewigen Frühlings
Einzigartige Naturlandschaften auf den Kanaren und Madeira
224 Seiten, ca. 200 Abb., Format 26,8 × 28,9 cm, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-95416-368-7
€ [D] 49,99
€ [A] 51,40
sFr. 69,00
Frederking & Thaler Verlag
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