Die Diskussion über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten „Bundesnotbremse“ reißt nicht ab. Ohne mündliche Verhandlungen waren Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen worden. Schulschließungen, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen – alles mit dem Grundgesetz vereinbar. Epoch Times sprach mit Professor Dr. Martin Schwab, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Verfahrens- und Unternehmensrecht von der Universität Bielefeld, wie das Urteil einzuordnen ist.
Epoch Times: Können Sie kurz zusammenfassen, wie die Entscheidungsgründe für diese Urteilsfindung dargelegt wurden?
Martin Schwab: Das Urteil ist sehr ausführlich begründet. Wenn ich es auf das Wesentliche reduzieren soll, steht darin: Ja, wir geben zu, dass ganz viele Grundrechte in ihrem Schutzbereich berührt sind. Ja, die Freiheit ist in erheblichem Maße eingeschränkt. Aber es geht doch um den Schutz des Lebens – ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. Deswegen sei das alles rechtmäßig gewesen.
ET: Im Wesentlichen hat das Bundesverfassungsgericht auf die Begründung des RKI [Robert Koch-Instituts] zurückgegriffen, wonach diese Notlage diese Maßnahmen gerechtfertigt waren. Dabei untersteht das RKI dem Bundesgesundheitsministerium der Regierung. Also kann man tatsächlich sagen, dass das Bundesverfassungsgericht die Maßnahmen der Regierung mit einer Begründung der Regierung rechtfertigt?
Schwab: Das muss man leider so sagen. Das Bundesverfassungsgericht hat die vornehmste Aufgabe der Rechtsprechung versäumt, nämlich das Handeln der Exekutive zu kontrollieren, und zwar natürlich nicht nur im Rechtlichen, sondern auch im Tatsächlichen.
Ich vergleiche das immer ganz gerne mit einem Verkehrsunfall: Jemand verklagt seinen Unfallgegner auf Schadenersatz. Der Unfallgegner legt ein Gutachten vor, indem steht: „Wieso? An mir lag es doch gar nicht.“ Der Kläger beantragt, ein gerichtliches Sachverständigengutachten zu erheben, weil er von der Qualität dieses Parteigutachtens nicht überzeugt ist. Und jetzt sagt das Gericht: „An dem Klagevorbringen ist nichts dran. Das steht doch im Gutachten, das der Beklagte vorgelegt hat.“
Das wäre eine Verletzung rechtlichen Gehörs, eine Verletzung des Beweisausschöpfungsgebots. Natürlich darf das Gericht den Parteivortrag einer Partei, auch wenn er mit einem Gutachten unterlegt ist, nicht für bare Münze nehmen, sondern muss beide Seiten anhören und Beweis erheben. Wenn einer mit seinem Gutachten ohne Weiteres durchdringen kann, wäre es auch kein faires Verfahren, weil wir dann keine prozessuale Waffengleichheit hätten.
Dieses ganze Defizit haftet aber dem Verfahren „Bundesnotbremse“ an, dass die Risikobewertung des RKI ohne Fragen zugrunde gelegt wurde, obwohl es de facto ein Parteigutachten von einer weisungsabhängigen Behörde ist.
Ich hätte mindestens erwartet, dass in einer mündlichen Verhandlung Beweis erhoben wird: Weist ein PCR-Test eine Infektion nach? Eigentlich weiß das RKI, dass das nicht der Fall ist. Man lese das Epidemiologische Bulletin Nr. 39/2020, Seite 5, rechte Spalte unten. Da steht es drin, dass das noch wochenlang im Abstrich nachweisbar ist, wenn mit der Krankheit, den Symptomen, der Infektion schon alles vorbei ist. Es [das Virus] ist nicht mehr vermehrungsfähig. Das steht dort ausdrücklich unter Hinweis auf einschlägige Studien. An diesem Aufsatz, der auf Seite 3 beginnt und auf Seite 11 endet, hat Herr Wieler selbst mitgeschrieben. Das Robert Koch-Institut weiß, dass ein PCR-Test keine Infektion nachweist.
Und wenn wir schon sagen, wir legen das zugrunde, was vom Robert Koch Institut kommt, dann möge man die Homepage des RKI wenigstens komplett lesen. Auch das ist nicht passiert. Auch das mit der symptomlosen Ansteckung hätte man hinterfragen müssen. Das ist ein gesellschaftszersetzendes Narrativ, weil das der Grund dafür ist, warum jetzt jeder in jedem nur noch die Virenschleuder erblickt oder erblicken soll.
ET: Das Bundesverfassungsgericht ist die höchste Instanz in Deutschland. Kann man gegen dieses Urteil vorgehen?
Schwab: Die einzige Möglichkeit ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Da mag ich dann eben rügen, dass meine körperliche Bewegungsfreiheit, die massiv eingeschränkt wurde, nicht angemessen gewürdigt wurde; auch meine Menschenwürde, meine ganze Entscheidung, wen ich treffen will – die Menschenwürde, welche auch besagt, dass der Mensch nicht zum Objekt staatlichen Handelns werden darf. Wenn ich sage: „Du Mensch bist, indem du existierst und ausatmest, ein Gefährder, dann mache ich den Menschen zum Objekt und das verstößt gegen die Menschenwürde.“
Ich frag mich, warum keiner auf den Gedanken kommt, dass ich den Menschen niemals auf diesen Status reduzieren darf. Es gab kein faires Verfahren. Dann hatten wir auch das Problem, dass diese Richterschaft sich noch vom Kanzleramt zum Dinner hatte einladen lassen und dort über das Verfahren gesprochen wurde – privilegiertes rechtliches Gehör der Bundesregierung unter Ausschluss der Beschwerdeführerin.
Das kann man auch als Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens rügen. Auch das steht in der Europäischen Menschenrechtskonvention, dass ich einen Anspruch auf ein faires Verfahren habe. Das kann man alles rügen. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine Möglichkeit, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufzuheben, sondern nur eine Geldentschädigung zuzusprechen.
ET: Das Urteil wurde vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts gesprochen, dessen Präsident der ehemals stellvertretende CDU-Vorsitzende aus Berlin direkt ist. Wie ist das zu bewerten?
Schwab: Das ganze Zustandekommen dieses Urteils erzeugt ein massives Störgefühl. Ich kenne Stephan Harbarth persönlich. Er hat beim selben Professor promoviert wie ich, im selben Jahr wie ich. Wir haben auf derselben Promotionsfeier die Promotionsurkunden bekommen. Wir sind uns natürlich an der Universität ständig über den Weg gelaufen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass er solche Schwierigkeiten hat, den Rollentausch vom Tagespolitiker zum Verfassungsrichter zu vollziehen.
ET: Vielen herzlichen Dank für Ihre Einschätzung.
Das Interview führte Alexander Zwieschowski. (redaktionelle Bearbeitung durch sua)
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