Neben den gesundheitlichen Herausforderungen, die die Corona-Krise mit sich bringt, leiden viele Menschen und Bereiche in der Gesellschaft unter den „Kollateralschäden“ dieser Krise. Die sozialen, wirtschaftlichen und psychischen Schwierigkeiten, die dadurch entstanden sind lasten auf der Gesellschaft und die Frage stellt sich: – wie kann man diese bewältigen? Caroline El-Tibi, Co-active Coach, erklärt, wie Coaching helfen kann, wieder bewusst Verantwortung für das eigene Leben und Wohlergehen zu übernehmen. Authentizität und Leadership sind ihrer Meinung nach zwei wichtige Ansätze, die uns helfen können, wieder in unsere Stabilität zu kommen.
Epoch Times: Frau El-Tibi, was hat Leadership mit einer Krise, mit jedem persönlich und vielleicht auch mit unserer Gesellschaft zu tun?
Caroline El-Tibi: Leadership ist gerade in der aktuellen Zeit ein ganz wichtiges und großes Thema. Dabei sollte man zwischen Leadership und Personal Leadership unterscheiden. Leadership bedeutet, Verantwortung für die Welt um uns herum zu übernehmen. Personal Leadership hingegen bedeutet, volle Selbstverantwortung zu übernehmen. In die volle Verantwortung zu gehen für mein eigenes Leben, für meine eigene Karriere, für mein ganzes Sein. Damit meine ich, was ich mit meinem „So-Sein“ nach außen hin bewirke. Man muss sich bewusst werden, dass man mit seiner Energie, mit seinem Vorbild und mit den Entscheidungen die man trifft, seine Umgebung immer direkt und indirekt beeinflusst.
Es bedeutet auch, sich erst einmal selbst zu erkennen. Was sind meine persönlichen Werte, wie lebe ich sie? Und gibt es da vielleicht Wertekonflikte? Damit meine ich nicht die gesellschaftlich vorgegebenen Normen und Werte, sondern solche, die mir persönlich wichtig sind. Vielleicht habe ich einen Wert für Lebendigkeit. Der steht auf unserer aktuellen Werteliste gesellschaftlich gesehen vielleicht nicht besonders weit oben, aber bei mir steht er ganz weit oben. Dann ist es wichtig, diesen auch zu ehren. Ich habe vielleicht einen Wert für finanzielle Unabhängigkeit und gleichzeitig, zum Beispiel als Mutter, auch einen Wert für Familie. Das kann natürlich zu Wertekonflikten kommen, weil ich einen Wert vernachlässigen muss. Entweder kümmere ich mich um meinen Beruf und verdiene Geld oder ich kümmere mich um meine Familie und bin für die Kinder da.
Ich muss erkennen, welche Werte ich habe, wofür ich stehe, wer ich bin, und mir sogar die weiter gefassten Fragen stellen: Warum bin ich hier? Wozu sage ich „ja“ in meinem Leben? Wozu sage ich „nein“? Und was hat das für Konsequenzen für mich? Das ist Personal Leadership: sich selbst zu erkennen, zu schauen, was einen wirklich ausmacht, worin die eigene Bestimmung liegt und wo und wann wir unserer Entwicklung selbst im Wege stehen. Personal Leadership und stete persönliche Weiterentwicklung ist damit eine wichtige Vorausetzung für Leadership.
ET: Die Coronakrise begleitet uns immer noch und es ist sehr viel Angst in der Gesellschaft. Was macht die Angst mit uns?
El-Tibi: Angst macht sehr viel mit uns, nicht nur auf psychischer, sondern auch auf körperlicher Ebene. Als Coach arbeite ich viel mit „Embodiment“. Unser Körper informiert uns permanent über unseren seelischen Zustand. Wir haben nur nie gelernt, hinzuhören. Embodiment bedeutet, dass wir zuerst einmal in den Körper hineinfühlen und erkennen, was dort Aufmerksamkeit braucht. Der nächste Schritt ist das bewusste Verkörpern dessen, was wir fühlen, um darüber Zugang zu neuen Erkenntnissen zu bekommen. Angst führt in der Regel zu Stagnation. Energie kann nicht mehr frei fließen. Angst ist wie eine innere Blockade, die uns in unserer Bewegungsfreiheit einschränkt. Unser Gehirn schaltet vom „Thrive Mode“ - also dem kreativen Modus, in dem wir uns befinden, wenn wir aktiviert und gleichzeitig entspannt sind - in den „Survival Mode“. Das ist im Prinzip eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit unseres Gehirns. Unser Blickfeld engt sich ein, wir kriegen den sogenannten Tunnelblick. Wir sind nicht mehr offen für Kooperation, für Kommunikation oder für die Wahrnehmung einer größeren Perspektive. Es ist wichtig zu erkennen, was Angst mit uns macht, und diesen Kreislauf von Angst und Stress zu unterbrechen – sowohl im Privaten als auch im Beruflichen.
Wichtig ist auch eine Kultur zu leben, in der wir offen und frei miteinander reden können, in der auch Fehler, Schwächen oder andere Meinungen kommuniziert werden können. Eine Kultur, in der ich keine negativen Konsequenzen zu befürchten habe, wenn ich offen und ehrlich äußere, was ich denke oder wenn vielleicht etwas schiefgelaufen ist. Das nennt sich „Psychologische Sicherheit“ – ein mittlerweile feststehender Begriff, der von der Harvard-Professorin Amy Edmondson definiert wurde. Diese psychologische Sicherheit führt dazu, dass Menschen sich öffnen und trauen, sie selbst zu sein: mit ihrer eigenen Perspektive, aber auch mit ihren Fehlern, Schwächen und Unzulänglichkeiten. Und in der Folge dessen, ihren Wert nicht nur von äußerem Erfolg und externer Validierung abhängig machen. Das ist ganz wichtig. Denn wir leben leider in einer Gesellschaft, in der oft unser Selbstwertgefühl von unserem Gehalt, unserem Auto, unserem Haus, unserem Status und der Anerkennung durch Andere beeinflusst wird. Ich muss erkennen, dass mein Selbstwert nicht von diesen Faktoren abhängt.
ET: Was kann man im Alltag tun, um zuerst einmal aus dem Hamsterrad herauszukommen?
El-Tibi: Es ist sicherlich wertvoll, wenn man sagt: Ab sofort richte ich mir 20 Minuten für Meditation ein, gehe regelmäßig spazieren oder nehme meine Kinder an die Hand und wir spielen einfach mal eine Stunde draußen im Garten. Das ist alles großartig, wichtig und wertvoll. Es sind Elemente, die ich unterstützen würde, um zuerst einmal aus dem Hamsterrad herauszukommen. Trotzdem ist es so, dass man sich viele zentrale und auch mutige Fragen in der Regel selbst nicht stellt. Oft hat man innerlich diese Hemmschwelle, da hingucken zu wollen, wo es weh tut oder wo man eine Antwort befürchtet, die unbequem oder unangenehm ist. Ein Coach kann dabei eine wertvolle Unterstützung sein.
ET: Wenn man jetzt selbst in sich hineinhorchen will, wo fängt man am besten an?
El-Tibi: Ein ganz wichtiger Ansatzpunkt ist tatsächlich der eigene Körper. Sich mal anzuschauen: was macht das, was ich gerade erlebe, mit mir auf körperlicher Ebene? Welche körperlichen Symptome habe ich, die mir als Alarmsignal dienen können. Das kann Schlaflosigkeit sein, das kann regelmäßige Migräne sein, das können Magen-Darm Probleme oder einfach das Gefühl sein, dass die Schultern immer schwerer werden. Wenn ich das spüre, dass ich körperlich nicht mehr in der Harmonie bin und es mir körperlich nicht gut geht, dann ist das der Ansatzpunkt, an dem ich arbeiten sollte. Was kommt körperlich zum Ausdruck, das man sich seelisch noch nicht angeschaut hat? Manchmal reicht es schon, raus in die Natur zu gehen, etwas Abstand zu dem täglichen Geschehen zu gewinnen und sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.
ET: Ein Aspekt von Leadership in Unternehmen ist, dass man erstmal sich selber gut führen muss, bevor man andere führen kann. Ist das auch auf eine familiäre Situation übertragbar?
El-Tibi: Absolut. Kann ich im Außen wirksam sein, also positiv wirksam sein, wenn ich nicht wirklich bei mir selbst bin? Wenn ich gar nicht erkenne, was mir fehlt oder nicht in Balance oder Harmonie bin? Dann werde ich diese Unausgeglichenheit, dieses Ungleichgewicht auch nach außen weitergeben. Unsere eigene Energie spiegelt sich immer im Außen wider. Wenn man die eigenen negativen Verhaltensmuster erkennt, und diese gezielt angeht, verändert sich nicht nur die Beziehung zu sich selbst, sondern auch die Beziehungen zu den Menschen, um einen herum, seien es nun Kollegen, Mitarbeiter oder Familienmitglieder. Das merke ich immer wieder. Auf einmal verändert sich die Dynamik untereinander und das ist unheimlich spannend zu beobachten. Insofern kann ich nur immer wieder sagen: wir müssen immer erst bei uns selbst anfangen, quasi den eigenen Keller aufräumen und dann können wir auch im Außen etwas positiv verändern.
Es gibt den Begriff authentische Führung. Authentische Führung ist nur dann möglich, wenn ich auch wirklich authentisch bin. Wenn ich wirklich bei mir bin, kann ich in all meiner Souveränität und Kompetenz eben auch meine Fehler und Unzulänglichkeiten annehmen. Die Menschlichkeit wieder in den Vordergrund zu stellen, darum geht es. Fehler sind Chancen und Gelegenheiten, die uns das Leben bietet, etwas Neues zu lernen, unsere Kreativität zu nutzen oder eigene Fähigkeiten zu stärken. Nicht nur für mich, sondern auch für die Anderen um uns herum.
ET: Was wünschen Sie sich für die Gesellschaft?
El-Tibi: Diese Lern-Kultur wünsche ich mir. Dass wir aus der Angst- und Stress-Kultur herauskommen und in eine Lern- und Wachstumskultur hineinkommen. Das betrifft nicht nur Unternehmen, sondern genauso Familien. Wenn Eltern mit ihren Kindern ganz offene, ehrliche und mutige Gespräche führen, in denen sie sich z.B. trauen zu sagen: „Hey, diese Homeoffice-Situation ist auch für mich richtig schwer. Auch ich bin gestresst und genervt. Aber weißt Du was? Lass uns schauen, dass wir gemeinsam einen Weg finden. Hast Du eine Idee?“ Das ist „Empowerment“ und das wiederum ist dann auch wirklich Leadership. Leadership bedeutet ja nicht, ich weiß es und sage dir, was wir tun sollen. Leadership bedeutet: ich wertschätze mein Gegenüber und dessen kreativen, eigenverantwortlichen Beitrag für den Gesamterfolg. Im Prinzip hole ich das Beste aus dem Anderen heraus und das kann ich in der Familie genauso wie im Beruf. Aber dazu muss ich erstmal bei mir selbst beginnen.
Das Interview führte Alexander Zwieschowski. Textbearbeitung von Nancy McDonnell
Zur Person: Caroline El-Tibi (46) ist seit 2019 mit ihrem Büro CHALLENGE Business & Life Coaching in der Nähe von Bensheim a.d. Bergstrasse ansässig. Sie arbeitet als Personal Coach/Executive Coach sowohl mit Menschen, die sich persönlich oder beruflich weiterentwickeln wollen als auch als Team Coach in Firmen und Unternehmen. Herausforderungen als Chancen zu Veränderung und Wachstum zu sehen ist das Credo ihrer Arbeit.
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