Die Rechtsstaatlichkeit ist ein wichtiges Prinzip der Demokratie. Während viele Corona-Maßnahmen-Kritiker unverhältnismäßige Einschränkungen der Grundrechte bemängeln, finden Hausdurchsuchungen bei Ärzten, Richtern, Gutachtern und Rechtsanwälten statt, die sich gegen das Regierungsnarrativ aussprechen. Auch wenn man beispielsweise den Innensenator von Hamburg über soziale Medien beleidigt, muss man mit einer Durchsuchung der eigenen Wohnung rechnen. Zu den Fragen, woher das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit stammt, wann es bröckelt und welche Auswirkungen für eine Gesellschaft damit verbunden sind, gab der Philosoph, Buchautor und ehemalige Lehrer Gunnar Kaiser im Epoch Times-Interview seine Einschätzung.
Epoch Times: Herr Kaiser, was bedeutet das Rechtsstaatlichkeitsprinzip aus philosophischer Sicht für eine Gesellschaft, wo liegt der geschichtliche Ursprung?
Gunnar Kaiser: Grob kann man sagen, dass der geschichtliche Ursprung in der Renaissance auf antiken Vorstellungen von Demokratie und dem Geist der Aufklärung liegt. Vor allem gab es mit der britischen Aufklärung ein Denken, das den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt gestellt hat. Das heißt, Rechtsstaatlichkeit ist nichts allgemein Vorhandenes. Es unterscheidet sich in verschiedenen Kulturen, also wie ein Gemeinwesen verfasst wird. Ob hierarchisch, ob durch eine religiöse Autorität oder eben durch ein Gemeinwesen, wo jeder prinzipiell gleich viel zählt.
Im philosophischen Ursprung liegt die Überlegung: Wenn wir einen Staat haben wollen, der für unsere äußere und innere Sicherheit sorgt, wie schaffen wir es dann, dass diese Macht nicht missbraucht wird. Die Grundvorstellung ist, als Individuum ein Abwehrrecht gegenüber der Übermacht des Staates zu haben.
Zum Beispiel war John Locke als Denker der Aufklärung einer derjenigen, die sagten, wir brauchen eine breite Spitze, die sich gegenseitig kontrolliert. Das ist das Prinzip von „Checks and Balances“. Bei Montesquieu ist das die Gewaltenteilung. Sprich, die Macht des Staates ist in drei Bereiche aufgeteilt. Die gesetzgebende Gewalt, die ausführende Gewalt (die Regierung) und die rechtsprechende Gewalt. Diese drei Säulen der Demokratie müssen voneinander unabhängig sein. Niemand soll die absolute Macht oder einen Großteil der absoluten Macht haben. Der Bürger soll einen Ansprechpartner zur Verteidigung oder zum Schutz haben, wenn eine Seite der Obrigkeit sich gegen ihn wendet. Wenn diese Spitzen zusammenarbeiten und es keine weitere Kontroll-Instanz gibt, liegt hierin die große Gefahr. Dann ist das Rechtsstaatlichkeitsprinzip gefährdet.
ET: Welche Rolle spielen die Medien im Rechtsstaat? Man nennt sie ja auch die vierte Säule der Demokratie.
Kaiser: Die Medien sollten darauf schauen, ob es eine Kollision oder eine Überschneidung des Personals gibt. Zum Beispiel haben wir in Deutschland ganz konkret die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft wird von politischen Gremien eingesetzt. Ebenso die Präsidenten und der Richter des Verfassungsgerichts, auch des Bundesverfassungsschutzes. Das sind ja eigentlich die Organe, die diese ‚Checks and Balances‘ herstellen sollen. Wenn sie aber im Grunde genommen Zweige der herrschenden Legislative sind, fällt diese Gewaltenteilung natürlich.
Man muss in Deutschland schon gewisse Zweifel haben, dass die Gewaltenteilung reibungslos funktioniert. Wenn sich zum Beispiel die Bundeskanzlerin am Vorabend einer wichtigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit den Richtern zu einem Abendessen trifft. Das ist eigentlich ein No-Go und die Medien sollten darauf aufmerksam machen. Zum anderen müssten Medien auf personelle Auffälligkeiten achten. Da sind wirklich Menschen in hohen Positionen, die dem Extremismus, vor allem dem Linksextremismus, nicht ganz abhold sind. Möchten wir diese Menschen haben als diejenigen, die uns vor dieser anderen Spitze der Obrigkeit schützen?
ET: Was bedeutet eigentlich das Vorhandensein eines funktionierenden Rechtsstaates für die Lebensqualität, für das Miteinander, für die Freiheit der Menschen in einem Land?
Kaiser: Ganz viel hat mit Vertrauen zu tun. Ich kann nicht immer alles überprüfen. Ich kann nicht jedes einzelne Gesetz lesen. Ich kann nicht jeden einzelnen Richterspruch nachvollziehen. Ich muss vertrauen, dass diese Mühlen der Justiz ordnungsgemäß mahlen und dass sie sich von der jeweiligen Politik unabhängig machen. Geschichtlich kann man an Friedrich den Großen erinnern, als er von einem Müller gerichtlich zur Rede gestellt wurde und das Gericht für den Müller entschieden hat. Auch wenn er der König ist, sind vor dem Gesetz alle gleich und Friedrich der Große hat das akzeptiert. Das ist eigentlich die Grundform des Rechtsstaates, dass es vor dem Gesetz diese Gleichheit gibt.
Und da müssen wir konkret fragen, wo die Rechtsstaatlichkeit hin ist, wenn zum Beispiel ein Ruprecht Polenz (ehemaliger CDU-Generalsekretär) sagt, dass vor dem Gesetz eben nicht alle gleich sind. Denn Geimpfte und Ungeimpfte seien ihm zufolge nicht gleich und deswegen hätten sie auch keine Gleichbehandlung vor dem Gesetz verdient. Das ist eine skandalöse Aufweichung dieses ehernen Prinzips von Rechtsstaatlichkeit, die wir in den letzten Monaten gesehen haben. Selbst wenn die Politik unisono in einer freiwilligen Gleichschaltung vorgeht und Propaganda-artige Medienfeldzüge führt, die offensichtlich das Narrativ in der Öffentlichkeit so prägen, dass nur noch eine Meinung selbstverständlich ist... , dann muss die Unabhängigkeit der Judikative zeigen, dass wirklich wieder zum Ursprungsgedanken des Grundgesetzes zurückgekehrt wird.
ET: In welchem Verhältnis stehen Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Sicherheit zueinander? Schließen sie sich aus oder sind sie komplementär?
Kaiser: Wenn man einen Wert bevorzugt, muss man immer hoffen, dass es keine ganz dichotomen Gegensätze sind. Aber erst mal sind sie es natürlich. Wenn man die absolute Sicherheit haben möchte, muss man die mit staatlichem Zwang herstellen. Das heißt, man muss Freiheiten einschränken. Nicht ganz ausschließend wären sie dann, wenn man den perfekten Punkt der Balance finden würde. Aber der ist nicht universell einfach da oder einmal gefunden und dann ist er für alle Zeiten da.
Natürlich müssen Freiheiten zum Beispiel auch in einer Krisensituation eingeschränkt werden können. Wenn das normale Leben mit einer sehr großen Freiheit der Bürger dazu führen würde, dass sich dieses Gemeinwesen auflösen würde, dann muss dies durch ein Notstandsgesetz kurzfristig eingeschränkt werden. Aber das darf eben nur kurzfristig und operationalisierbar sein. Man muss sehen können, was wird konkret gemacht. Mit welchen Kriterien wird das verbunden und wann ist das beendet?
Aber nicht, wie es jetzt passiert ist. Zu sagen, mit der alten Normalität ist es aus und vorbei. Das Narrativ schon ganz am Anfang war, „diese Krise werden wir nutzen, um ganz, ganz viel umzustellen“ – bezogen auf die Weltwirtschaft und auf politische Belange. Das sind nicht meine Worte, sondern zum Beispiel die von Rainald Becker (ARD Chefredakteur) oder Klaus Schwab. Die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit geht ja dahin, ob unsere parlamentarischen Prozesse zu langsam sind, weil sie immer wieder diese ‚Checks and Balances‘ haben. Jetzt haben wir das Narrativ der „dringenden globalen Herausforderung“, in der wir nicht zögern dürfen.
Also müssen wir diese Prozesse einschränken oder gar abschaffen? Diese Forderung kam schon vor der Corona-Krise. Teilweise wurde gefordert, wir bräuchten eine „grüne Kulturrevolution“ und wir müssten darüber nachdenken, ob das chinesische Modell besser sei. Luisa Neubauer und Robert Habeck haben sich in diesem Sinne eher affirmativ geäußert. Das hat zu keinem großen Skandal geführt, dass jemand die Rechtsstaatlichkeit einschränken und Prozesse schneller machen möchte. Da müsste man eigentlich sagen: Moment, Moment! Ist das überhaupt nötig? Und das hat bei der jetzigen Krisensituation gefehlt.
ET: In der Corona-Krise haben alle auf China geschaut, da es laut eigener Propaganda gut durch die Krise gekommen sei. Der chinesische Präsident Xi Jinping spricht im eigenen Land öffentlich davon, dass die Kommunistische Partei Chinas die Reform des globalen Regierungssystems anführen wird. Kann man in der von Ihnen beschriebenen Entwicklung eine Einflussnahme der chinesischen Propaganda auf den Westen deuten?
Kaiser: Auf jeden Fall, und man kann das auch nachweisen. Die Kritik, die wir normalerweise an autoritären Staaten üben, gilt für China kaum mehr. Früher hat man das in der Politik gemacht und ist jetzt sehr vorsichtig geworden. Auch die Medien haben dann gesagt, wir müssten mehr China wagen. Und was damit gemeint ist, geht Richtung Social-Credit-System. Wie bekommen wir also eine Verwaltung in einer Massengesellschaft hin, die mit zu viel Freiheit vielleicht nicht umgehen kann und die vor großen Herausforderungen steht? Wie akzeptieren die Menschen das, ohne dass wir sie zu sehr gängeln müssen?
Die Idee des Social-Credit-System ist, dass man für Wohlverhalten Punkte vergibt. Bei einer gewissen Punktzahl werden dann Privilegien - früher Grundrechte - wieder freigeschaltet. Und dann liest man in den Medien von der New York Times bis zur Süddeutschen, „wir müssen mehr China wagen“. Thomas Brussig schrieb: „Mehr Diktatur wagen“. China hätte gezeigt, dass uns die Technokraten erlösen würden, ist das Narrativ von Parag Khanna im Merkur. Das ist der Plan und das Narrativ für die globale Weltgemeinschaft.
ET: Nur weil man subjektiv den Eindruck hat, der Rechtsstaat würde bröckeln, ist das nicht zwangsläufig zutreffend. Gibt es objektive Maßstäbe, an denen man einen Rechtsstaat bewerten kann?
Kaiser: Es gibt auf jeden Fall Maßstäbe. Man kann in die Geschichte schauen und sich auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu den Kriterien einer Diktatur informieren. Dann muss man feststellen, wir haben noch relativ viele Kriterien einer Nicht-Diktatur. Aber wenn das so einfach wäre, dann würde wahrscheinlich niemals aus einer Demokratie eine Diktatur werden. Das Gefährliche ist eben dieses Schleichende. Das Beispiel mit dem Social-Credit-System hat gezeigt, dass die Diktatur von heute nicht mehr eine von gestern sein wird. Das ist zu plump, das macht nur Arbeit, die Blutflecken wieder wegzukriegen. Das ist immer unschön. Man müsste das auch nicht machen, weil die Menschen offensichtlich ganz zufrieden sind. Die Menschen werden ihre Ketten lieben und sie scheinen sich zurechtzufinden. Gerade das hat auch diese Krise gezeigt.
Die Menschen machen sehr viel mit, wenn man ihnen dafür eine Erleichterung gegen die Angst verspricht. Sie empfinden das jetzt als Vorteil, wieder reisen zu können, auf Konzerte gehen zu können, sich wieder frei bewegen zu können - ohne zu merken, dass es eine bedingte Freiheit ist. Also Freiheiten sind immer bedingt, aber jetzt ist es eine viel, viel bedingtere Freiheit. Eine von klaren Kriterien abhängig gemachte Freiheit, nämlich eine Abhängigkeit von der Pharmaindustrie. Das kann man natürlich ausweiten. Wenn man zu viel Energie verbraucht, zu viel konsumiert oder sich im Straßenverkehr nicht konform verhält - dann streichen wir dir Privilegien, die früher Grundrechte waren. Diese Diskussion gibt es jetzt zum Beispiel für Geimpften-Privilegien, die sich offenbar solidarischer gegenüber der Gemeinschaft zeigen. Warum sollen sie nicht auch mehr Rechte haben?
Also, es scheint gar nicht nötig zu sein, eine Diktatur vom einen auf den anderen Tag einzuführen. Nicht mal das Nazi-System ist so installiert worden, selbst das ist schleichend gegangen. Das muss einem ja immer wieder bewusst sein. Die Menschen werden lange Zeit vieles mitmachen und erst aufwachen, wenn es zu spät ist. Man kann sich immer wieder sagen: „So schlimm ist es ja noch nicht“. Wir sind noch eine Demokratie, wir haben noch ein bisschen Rechtsstaatlichkeit. Deswegen ist für mich auch die Rhetorik 'Wir leben in einer Corona-Diktatur' auf der einen Seite falsch, wenn man es mit richtigen Diktaturen vergleicht. Aber auf der anderen Seite ist es ein verständliches Warnen davor, dass wir vielleicht schon in einer sanften Diktatur leben. Damit meine ich, dass dies kaum zu spüren ist und man eigentlich gar nicht weiß, was man an Freiheit verloren hat.
ET: Was macht das mit einer Gesellschaft, wenn so ein eklatanter Unterschied in den Meinungen zum Rechtsstaat und zum Regierungssystem besteht?
Kaiser: Es gibt ja immer diese einzelnen Maßgaben, Verordnungen, Gesetze, die manche nicht einsehen. Zum Beispiel die GEZ zu bezahlen. Es ist eine Zwangsgebühr, ich bin dagegen. Da konnte ich bislang sagen, mich betrifft es ja nur peripher. Dann mach ich das halt mit. Ich habe noch ein Bild von einem Gemeinwesen, wo man sagt, da muss man auch mal Dinge mitmachen. Aber dieses „Dann mach ich das halt“ kann nur bis zu einem gewissen Punkt gehen. Wo ist die rote Linie und wo ist der Punkt zu sagen: „Jetzt seid ihr zu weit gegangen“? Oder „ich will kein Teil der Lüge sein“, wie es Solschenizyn gesagt hat. Das muss jeder für sich entscheiden. Dann bin ich vielleicht nicht mehr Teil der gleichen Gesellschaft wie diese Menschen. Da zeigen sich jetzt Bruchlinien, wo die Spaltung der Gesellschaft einfach deutlich wird.
Dann gibt es noch das Thema Ausgrenzung in der Corona-Krise. Der mediale Mainstream und auch Politiker haben zu den Kritikern gesagt, das seien Bekloppte, Schwurbler oder Verschwörungstheoretiker. Nicht irgendwelche Leute im Internet, sondern Politiker und große Prominente haben das gesagt. Und obwohl ich auch sagen würde „ich mach da nicht mit bei der Spaltung der Gesellschaft“, schlägt noch ein anderes Herz in meiner Brust. Das sagt: „Grenzt uns ruhig aus, wenn ihr das so wollt - wir wollten es nicht, aber lasst uns nach dem Positiven in dieser Spaltung sehen“. In einer Art offenen Parallelgesellschaft immer wieder ein Angebot zu machen: „Guck mal, das ist unsere Gesellschaft, wollt ihr nicht auch rüberkommen?“ Wo gesagt wird, hier sind alle willkommen und wir grenzen keinen aus; ob mit einem G oder 2G oder 3G oder 0G. Ob sich die Politik davon beeinflussen lässt, weiß ich nicht.
ET: Was ist Ihre persönliche Meinung zum deutschen Rechtsstaat?
Kaiser: Wenn man selber betroffen ist, dann merkt man es am meisten. Wenn alles gut geht und wenn man sich nicht rührt, wie Rosa Luxemburg sagte, dann merkt man seine Ketten auch nicht. Aber wenn ich sehe, dass ein Richter, der sich mit dem Regierungsnarrativ nicht konform verhält, eine Hausdurchsuchung bekommt; wenn die Gutachter, die für dieses Gericht bestellt wurden, Hausdurchsuchungen bekommen oder eine Hausdurchsuchung wegen Beleidigung eines Politikers stattfindet, dann muss man nach der Verhältnismäßigkeit fragen. Bei Medienmachern wird mit Angstmache gearbeitet. Zum Beispiel die Macher vom Demokratischen Widerstand bekommen regelmäßig Hausbesuche von Menschen, die sich als Polizisten ausgeben und Druck machen.
Gleichzeitig wird das nicht in der Bundespressekonferenz thematisiert oder medial berichtet, dass Medienmacher von offiziellen und inoffiziellen Stellen unter Druck gesetzt werden. Das ergibt eine klebrige Nähe zwischen einzelnen Nicht-Regierungsorganisationen, die Adressen leaken oder auch Todeslisten erstellen. Das baut psychischen Druck auf. Offenbar ist eine Methode dahinter. Die Politik und die Medien kümmern sich nicht darum. Daher glaube ich, sind wir auf einem sehr gefährlichen Weg.
Ein weiterer Aspekt ist natürlich die Zensur. Man hat zwar keine richtige staatliche Zensur, aber eine Vermischung von privater Zensur. Hier kann die Regierung immer sagen, das ist Google, die hier löschen, da haben wir nichts mit zu tun. Aber auf der anderen Seite haben wir schon das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, diese Hate-Speech-Gesetze. Hinzu kommen einzelne staatliche Stellen, die quasi für Diffamierung eingesetzt werden wie zum Beispiel die Amadeu Antonio Stiftung, die Faktenchecker oder die von Quarks und Co. Die sind nur darauf angesetzt, Kritiker der Regierungslinie in eine Ecke zu stellen. Das machen sie auch nicht mit besonders großem argumentativen, nachvollziehbaren inhaltlichen Aufwand. Das kann man wirklich nachweisen. Und wenn man das alles zusammennimmt, muss man sagen, die Rechtsstaatlichkeit bröckelt schon arg.
ET: Könnte die Judikative auch dazu beitragen, dass diese gesellschaftliche Spaltung abgebaut, vermindert oder gar überwunden wird?
Kaiser: Sie hat eigentlich schon die Möglichkeiten. Aber wie gesagt, sie ist weisungsgebunden und sie wartet auch auf Eingaben des Bürgers. Wie kann man konkret gegen die Spaltung arbeiten? Da geht es um das Vertrauen der Bürger. Wenn ich das Gefühl habe, in der Politik läuft etwas schief, aber die Rechtsstaatlichkeit ist nach wie vor gegeben, dann kann ich mich hieran wenden. Und wenn ich dieses Vertrauen habe, dann kann ich auch mit gewissen Regeln weiter mitgehen, die ich nicht einsehe und dann kann ich sagen, gut, ihr macht das jetzt so, aber weil ich weiß, dass das alles noch mal geprüft werden wird (wie es sich für einen Rechtsstaat gehört), mache ich das für eine gewisse Zeit lang auch mit. Die Judikative kann bei dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit ansetzen. Das ist das wichtige rechtsstaatliche und juristische Prinzip, was meines Erachtens viel zu wenig herangezogen wurde.
Eine sehr wichtige Aufgabe von Richtern ist auch, dass Gutachter herangezogen werden, die aus der Breite des Diskurses stammen. Vor dieser starken Voreingenommenheit und Einseitigkeit in den Medien können und müssen sich Richter wehren. Nicht nur diejenigen aus den Talkshows zurate ziehen, sondern auch mal renommierte Experten oder Professoren mit anderer Sichtweise. Dann vertritt ein Richter in seiner autonomen Urteilsfindung nicht bloß das Narrativ, das uns medial und politisch vorgesetzt wird. Ein Urteil aus der Breite des Diskurses zu bilden, garantiert die Rechtsstaatlichkeit.
Das Interview führte Alexander Zwieschowski. Textbearbeitung von Nancy McDonnell.
Über den Autor: Herr Kaiser ist Philosoph, Buchautor, ehemaliger Lehrer und Betreiber des Videoformats KaiserTV.
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