„Was wir in den letzten zwei Jahren gesehen haben, waren keine haltbaren Gesetze, sondern schnelllebige, undurchdachte, fehlerhaft gestrickte Gesetze“, kritisiert Rechtsanwalt Alexander Christ. Im Interview erklärt er, warum der Rechtsstaat in Deutschland dabei ist zu kollabieren und die Bürger das Vertrauen in die Institutionen bereits verloren haben. Sein eben erschienenes Buch gibt Einblicke in eine Rechtsprechung, die, wie er sagt, keine mehr ist, die die Staatsmacht kontrolliert, sondern nur noch von der kritiklosen Befolgung der Staatsräson getragen wird.
Herr Christ, Sie waren selber viele Male auf der Straße unterwegs, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Am 27. Juni erschien Ihr Buch „Corona Staat – Wo Recht zu Unrecht wird, wird Menschlichkeit zur Pflicht“. Im Hinblick auf diese Neuerscheinung, wie viel Aktivist und wie viel sachlicher Rechtsanwalt steckt denn in diesem Buch?
In dem Buch steckt beides drin. Auch in meinen Demo-Besuchen steckte natürlich beides. Ich habe selber eine Meinung zu dem Thema und ich glaube, es ist wichtig, dass die Meinung wirklich auf der Straße gezeigt wird. Ich bin überzeugt davon, dass eine Meinung sachlich geäußert und auch gedruckt werden muss, damit die Ereignisse der vergangenen zweieinhalb Jahre niemals in Vergessenheit geraten. Deshalb habe ich auch das Buch geschrieben. Da schließt sich der Kreis.
Bei all dem versuche ich natürlich als Anwalt sachlich, rechtlich fundiert und mit einem kritischen Blick auf unser Rechtswesen an die Dinge heranzugehen. Das gilt auch wieder für beides, für die Demonstrationen, wo ich als Anwalt geschaut habe, wie sich die Polizei verhält, welche Maßnahmen man nachvollziehen kann und an welcher Stelle es unverhältnismäßig wird. Genauso bin ich bei der Arbeit am Buch vorgegangen.
Wenn Sie jetzt einen Blick auf die letzten zweieinhalb Jahre werfen, insbesondere vor dem Hintergrund Ihrer Promotion zur Gewaltenteilung von Montesquieu, welche Veränderungen sehen Sie in unserer Gesellschaft und welche Empfindungen haben Sie dabei?
Was ich sehe, macht mich sehr besorgt und ich glaube, es ist wichtig, dass die Dinge klar beim Namen genannt werden. Wir befinden uns in einer Situation, in der der Rechtsstaat entweder schon in Teilen kollabiert ist oder sich insgesamt kurz davor befindet.
Die Gerichte sind dazu da, staatliches Handeln zu kontrollieren und wenn nötig in Schranken zu weisen. Richter haben unabhängig Recht zu sprechen. Sie dürfen eben nicht getragen sein von einer bestimmten Staatsräson und diese um jeden Preis im Gerichtssaal durchzusetzen versuchen. Die Aufgabe eines unabhängigen Richters ist es, ein faires Verfahren zu gewähren und, wenn nötig, die beiden anderen Gewalten, die Gesetzgebung und die ausführenden Organe in die Schranken zu weisen.
Was wir in den letzten zwei Jahren gesehen haben, waren keine haltbaren Gesetze, sondern schnelllebige, undurchdachte, fehlerhaft gestrickte Gesetze. All das muss kritisiert und deutlich angeprangert werden.
Es sind Handlungen ausgeführt worden von Beamten, der Polizei, von Lehrern, von vielen Vertretern dieser staatlichen Organe, die weit über alle Grenzen der Verhältnismäßigkeit hinausgegangen sind. Die Rechtsetzung, die Rechtsanwendung wie auch die Rechtsprechung haben die Grundsätze, die eigentlich in einem Gewalten-geteilten Staat herrschen müssten, in den letzten zweieinhalb Jahren völlig verloren. Deswegen auch mein Urteil, dass der Rechtsstaat kurz vor dem Kollaps steht.
Man kann sagen, es war eine sehr dynamische Situation und Gesetze mussten immer wieder angepasst werden. Es gab sehr verschiedene Ansichten, wie darauf zu reagieren sei. Doch wie detailliert haben sich Gerichte mit unterschiedlichsten Meinungen auseinandergesetzt?
Es wäre schön, wenn sich die Gerichte wirklich mit beiden Richtungen oder mit mehreren Ansätzen befasst hätten. Tatsächlich haben wir das nicht erlebt, sondern nur, dass eine Meinung vertreten wurde, und zwar die staatliche.
Ich muss hier den Begriff Staatsräson ins Spiel bringen, weil der Staat offensichtlich eine bestimmte Meinung verordnet hat, der gefolgt werden musste. Insbesondere die Gerichte sollten das tun und haben das dann auch getan.
Eine Ausnahme waren etwa die beiden Richter, die in Weimar mutiges und unabhängiges Recht gesprochen haben. Darauf hat der Staat sofort mit drastischen Maßnahmen reagiert. Ein Richter hat mehrere Hausdurchsuchungen bekommen. Und jetzt ganz aktuell hat die Staatsanwaltschaft sogar einen Antrag gestellt, den Richter vor Gericht zu stellen, um sein rechtsprechendes Handeln gerichtlich unter die Lupe zu nehmen. Das muss man sich mal vorstellen.
Also eine „unabhängige“ Justiz, die dann ihrerseits von der Justiz kontrolliert wird, wenn sie nicht so urteilt, wie der Staat dies möchte. Das wird sicherlich keine unabhängigen und mutigen Richter hervorbringen. Und das war genau das Ziel dieser Aktion. Das ist genau der Punkt, den ich kritisiere, so kann man in einem Rechtsstaat nicht vorgehen.
Um auf das Erscheinungsbild Ihres Buches einzugehen: Der Titel Corona Staat ist umzäunt mit Stacheldraht. Wie ist es denn zu diesem speziellen, doch sehr besonderen und aussagekräftigen Cover gekommen?
Das Cover ist natürlich inspiriert vom Inhalt des Buches. Es zeigt im Grunde, dass der Staat sich abgeschottet hat, dass er Stacheldraht ausgelegt hat gegen die Bürger und sich darin selbst verfangen hat. Das wäre meine Deutung dieses Bildes. Das ist im Prinzip ein Staat, der sich gegen die eigenen Bürger wendet.
Hier werden ja in den letzten zweieinhalb Jahren Menschen wegen Banalitäten zu Kriminellen gemacht: Keine Maske zu tragen oder keinen Abstand zueinander zu halten, sind jetzt plötzlich schwerwiegende Delikte, die Hundertschaften auf den Plan rufen. Wir denken an die Demonstrationen, die dann sofort dazu geführt haben, dass Polizeieinheiten diese Demonstrationen verhindert oder begrenzt haben.
Nach meinem Verständnis hat die Polizei bei einer Demonstration aber eine ganz andere Aufgabe, nämlich eine Demonstration, eine Meinungsvielfalt und das Äußern von Meinungen auf solchen Versammlungen zu ermöglichen, nicht zu unterbinden. Und das wird durch dieses Cover sehr gut symbolisiert. Es zeigt, dass der Staat hier mit brachialen Mitteln hantiert und sich darin selbst verfängt, sich eigentlich selbst verletzt.
Ich glaube nämlich, dass sich viele Maßnahmen in den letzten zweieinhalb Jahren ganz massiv auch gegen den Staat selbst gewendet haben. Das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Organe ist massiv gesunken. Und das ist alles Ausfluss dieser unverhältnismäßigen Politik, die nur eines im Sinn hat, nämlich die Staatsdoktrin durchzusetzen, koste es, was es wolle.
Wenn man sich das Inhaltsverzeichnis Ihres Buches ansieht, dann entdeckt man in fast jeder Überschrift das Wort Recht. Beim Lesen merkt man jedoch schnell, dass es sich nicht um ein juristisches Sachbuch handelt, sondern viele persönliche Geschichten darin vorkommen. Was genau war Ihre Absicht hinter dem Buch?
Ich wollte ganz sicher kein juristisches Lehrbuch schreiben und so auch ein bisschen dem Vorurteil gegen Juristen und Rechtsanwälte begegnen, dass da nur trockene Kost rauskommen kann. Ich wollte eine ganz lebendige Erzählung der letzten zweieinhalb Jahre bieten und habe ganz viele Anekdoten eingestreut, Einzelbeispiele gebracht, Dinge, die mir eben passiert sind – auch Ereignisse, die ich beobachtet habe, Geschehnisse auf den Straßen, in Gerichtssälen. Es ist eine lockere Sammlung von Erlebnissen. Andere haben vielleicht ähnliche Erlebnisse gehabt.
Die Beispiele, die ich gewählt habe, zeigen in sehr deutlicher Weise, an welcher Stelle das Recht, das uns eigentlich schützen soll, das uns Sicherheit verschaffen soll und das ursprünglich etwas Gutes für den Bürger ist, sich aber auch sehr schnell gegen die Bürger wenden kann.
Wenn wir es mit einem Staat zu tun haben, der rigoros, skrupellos und ohne eine wirkliche Moral seine Politik, seine Doktrin, seine Sache, seine umstrittene Deutung einer Situation gewaltsam gegen die Bürger durchzieht, dann wendet sich das Recht gegen den Einzelnen. Es ist wichtig, dass diese Ereignisse lebendig bleiben, dass sie aufgeschrieben werden, denn die dürfen nicht in Vergessenheit geraten.
Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, in der in einem Jahr oder in zwei Jahren die Leute sagen: Ach, das war doch nicht so schlimm. Ich glaube, was wir erlebt haben, ist wahrscheinlich auch noch nicht zu Ende. Im Herbst könnte alles wieder von vorne beginnen. Wir stehen insgesamt an einer Zeitenwende und erleben, wie der Staat sehr stark, immer stärker generell in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingreift.
Man argumentiert ja damit, dass die Corona-Maßnahmen zum Schutze der Bürger da seien und um Leben zu retten. Sie sagen aber, es wende sich gegen die Menschen. Wie ist das zu verstehen?
Ja, das ist die offizielle Begründung. Und tatsächlich sind mir auch immer wieder Leute begegnet, die sehr große Angst um ihre Gesundheit hatten. Es gibt auch viele, denen die Maßnahmen nicht weit genug gingen.
Mir geht es hierbei jedoch um den Aspekt der Freiheit. Ich glaube, dass wir verlernen, was Freiheit bedeutet. Freiheit bedeutet, mit Gefahren zu leben, mit Risiken zu leben und selbst entscheiden zu können, wie viel man davon in Kauf nehmen möchte. Freiheit bedeutet, sich eben nicht eine einzige Handlungsweise aufzwingen zu lassen, sondern klar sagen zu können, ich habe die Entscheidungsgewalt über mich, und ich nehme ein Risiko in Kauf. Und natürlich bedeutet das nicht Rücksichtslosigkeit, das meine ich damit nicht.
Ich spreche von einem eigenverantwortlichen, selbstbewussten Umgang mit Risiken und Gefahren. Wenn die Politik das zugelassen hätte, dann hätte sie viel mehr Akzeptanz in der Bevölkerung gehabt. Dann hätte eine solche Politik einer Bundesregierung ein Angebot, eine Hilfe bedeutet. Leider habe ich auch von keinem Politiker gehört, dass unser Gesundheitssystem in Deutschland so stark ist, das wir das alles locker überstehen werden.
Stattdessen Panikmache und Angstmache, die sich auf viele Menschen ausgebreitet hat. Natürlich nicht auf alle. Einigen waren schon sehr früh die Freiheit und Selbstbestimmung wichtiger. Und genau das ist es, wozu ich jetzt und weiterhin ermutigen und aufrufen möchte, nämlich dass jeder diesen Bürgersinn, diese Eigenverantwortung für sich selbst ergreift und sagt, das entscheide ich selbst. Ich entscheide das selbst. Ich nehme es auch ernst, aber ich entscheide am Ende selbst.
In Ihrem Buch widmen Sie sich in einem ganz wesentlichen Teil der Rechtsprechung, ob es jetzt um Verwaltungsrecht geht bis hin zum Bundesgerichtshof. Haben Sie Beispiele dafür, wie sich die Rechtsprechung in Deutschland konkret verändert hat?
Also die Rechtsprechung ist tatsächlich das schwierigste Kapitel für mich selbst, auch im gesamten Buch. Es hat schon vor Corona angefangen, dass sich die Rechtsprechung immer mehr veränderte und zu einem regelrechten „Copy and paste“ wurde. Es wird aus anderen Urteilen blind abgeschrieben. Es gibt nur noch sehr wenige Richter, die sich trauen, eine eigene Meinung zu entwickeln. Früher durfte ein Urteil auch mal von einer herrschenden Meinung abweichen, es konnte dann auch mal kritisch gesehen werden von einer zweiten Instanz, aber es gab diese kreativen Abweichungen. Inzwischen haben wir das kaum mehr.
Wir haben also eine Rechtsprechung, die sich sehr stark an dem orientiert, was andere vorher schon gemacht haben. Da wird geschaut, ob ein anderes Bundesland schon mal so einen Fall hatte und wie da entschieden wurde. Und dann kopiert man das, und zack ist das Urteil fertig. Das ist für mich keine Rechtsprechung, das ist Rechtsautomatismus.
Das finde ich eine sehr verhängnisvolle Entwicklung, denn sie lässt natürlich im Umkehrschluss auch den Anwälten wenig Raum. Ich bin selber in den letzten Jahren immer wieder im Gerichtssaal gewesen. Aber wenn ich dann als Anwalt das Gefühl habe, ich kann vortragen, was ich will, der Richter hat schon eine vorgefasste Meinung und ein Urteil meinem Mandanten gegenüber, dann habe weder ich noch der Mandant eine Chance.
Ich habe beispielsweise Mandanten gehabt, denen vorgeworfen wurde, auf Demonstrationen keine Maske getragen und keinen Abstand gehalten zu haben. Und der Richter verurteilt das sofort als Querdenker-Verhalten. Da wird eine Gesinnung abgeurteilt.
Was müsste der Richter stattdessen tun? Er müsste erst mal prüfen, ob der Abstand tatsächlich nicht eingehalten wurde. Weiter müsste er schauen, ob die Anordnungen angemessen waren und ob sich überhaupt eine konkrete Gefahr hat entwickeln können? Der Sachverhalt muss geprüft werden. Wenn das nicht gemacht wird, sondern einfach nur aufgrund einer „falschen Gesinnung“ verurteilt wird, dann hat man keine Chance mehr.
Das sind verhängnisvolle Entwicklungen, auf die man als Anwalt einfach hinweisen muss.
Behördliche Willkür, Polizeigewalt und ungerechtfertigte Diskriminierungen sind nur einige Schlagworte, mit denen Sie den Begriff Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschreiben. Was genau verbirgt sich dahinter und in welchem Ausmaß schreiben Sie darüber?
Die Worte sind recht drastisch gewählt, das gebe ich zu. Aber mir kam es sehr darauf an, deutlich zu machen, dass es eben kein Kavaliersdelikt ist, wenn Kinder dazu gezwungen werden, den ganzen Tag in der Schulklasse Masken zu tragen.
Das ist keine banale Sache, das ist ein dramatisches Ereignis. Das wird sich in die Kinderseelen einschreiben. Und die Folgen werden wir in einigen Jahren noch spüren und sehen. So zu tun, als wäre das alles nicht so schlimm, oder wie eine Mutter mal sagte: „Die Kinder machten so toll mit“ – das ist eine Verharmlosung, die ich unerträglich finde.
Man muss es beschreiben als das, was es ist. Es sind Verbrechen gegen die Menschheit. Wenn Kinder zu so etwas gezwungen werden, zu einer Handlung gezwungen werden, die sie normalerweise von selbst niemals machen würden. Zumal man ja auch weiß, dass der Sinn des Maskentragens insbesondere bei Kindern höchst umstritten ist.
Ich halte auch viele andere Vorgehensweisen für hochdramatisch und muss sie deshalb mit diesem Begriff belegen. Es haben viele Menschen ihre Existenzgrundlage verloren. Darüber können wir nicht einfach hinweggehen. Das muss benannt werden. Und es kann nicht sein, dass ein Bundesgerichtshof von persönlichem Pech spricht, wenn jemand durch die Anti-Corona-Maßnahmen seine Existenzgrundlage verloren hat. Leider müsse man mit solchen Widrigkeiten des Lebens rechnen, heißt es dort, und das finde ich wirklich sehr zynisch. Deswegen halte ich den Begriff „Verbrechen gegen die Menschheit“ in diesem Zusammenhang nicht für unangebracht, sondern für notwendig und treffend.
Das neue Kriterium “Delegitimierung des Staates” rechtfertigt eine Überwachung durch den Verfassungsschutz. Erfüllt Ihr Buch dieses Kriterium und werden Sie nun vom Verfassungsschutz überwacht?
(lacht) Das weiß ich natürlich nicht. Aber ich denke, das Buch hat einigen Sprengstoff in sich, denn hier werden die Dinge, die wir in den letzten zweieinhalb Jahren insbesondere in Deutschland beobachten konnten, sehr klar beim Namen genannt. „Insbesondere in Deutschland“ sage ich deshalb, weil ich denke, dass gerade in Deutschland eine Sensibilität hätte vorhanden sein müssen, keine roten Linien zu überschreiten.
Und gerade in Deutschland hätte man keinen Bundeskanzler gebraucht, der sagt, es gibt keine roten Linien mehr. Also diese Sensibilität, die fordere ich ein. Dieser Sprengstoff ist im Buch, und wenn das jetzt dazu führt, dass manche meinen, das wäre bereits eine Delegitimierung, dann fände ich das ein bisschen seltsam. Es ist eine Beschreibung, es ist im Prinzip das Überbringen der unangenehmen Wahrheit.
Ich bin insofern Bote. Dem Boten erging es manchmal in der Geschichte nicht so gut, das ist mir bekannt, aber es muss dennoch ausgesprochen werden. Ich glaube, es ist wichtig zu erkennen, dass der Staat sich längst selbst delegitimiert hat durch sein nicht nachvollziehbares, unverhältnismäßiges Handeln. Ich meine damit vor allem Gesetze, die nicht gut gemacht waren und die sich gegen die Bürger gewandt haben, fragwürdige Gesetzgebungsverfahren und so weiter.
Wir sehen die Auswirkung bei jeder Wahl, dass das Vertrauen in die staatlichen Organe massiv zurückgegangen ist. Wenn man heute Umfragen dazu macht, weichen diese noch mal stark nach unten ab, obwohl die Ergebnisse vor einigen Jahren schon sehr schlecht waren. Aber jetzt ist das Vertrauen der Bürger noch mal stark gesunken.
Was das Vertrauen in die Amtsträger, die Politiker betrifft, da brauchen wir gar nicht erst anfangen zu fragen. Da ist fast gar nichts mehr da. Und wenn man jetzt Kritik übt und die unangenehme Wahrheit überbringt, dann ist das sicherlich nicht die Delegitimierung, sondern die hat vorher durch den Staat selber schon stattgefunden.
Wie würden Sie es bewerten, dass genau jetzt zu diesem Zeitpunkt dieses Kriterium „Delegitimierung des Staates“ eingeführt wird – auch in Betracht auf Montesquieu und die Gewaltenteilung?
Ich habe das Gefühl, dass aufseiten der handelnden Personen des Staates schon klar geworden ist, dass man sich vielfach verheddert hat und dass diese klare Linie verloren gegangen ist. Ich glaube auch, dass wahrgenommen wird, wie stark das Vertrauen in staatliche Institutionen bei den Bürgern zurückgeht. Was passiert denn, wenn man sich in die Enge getrieben fühlt?
Dann greift man zu Maßnahmen, dann versucht man andere Schuldige zu finden, die dafür verantwortlich sein könnten. Für mich ist das ein klassisches Ausweichmanöver. Man sucht einen Schuldigen, man braucht jemand, von dem man sagen kann, der hats gemacht. Dort kommen die schlechten Nachrichten her, das sind diejenigen, die die Grundfeste des Staates irgendwie unterwandern und zerstören.
Hier muss man sich doch mal eines klar machen und ich spreche jetzt mal nur für die Anwälte. Ich bin ja Mitglied bei den Anwälten für Aufklärung und auch deren Pressesprecher. Wir sagen auf jeder Veranstaltung, dass wir uns für den Erhalt des Grundgesetzes und für die Wiederherstellung des Rechtsstaates einsetzen. Und ich weiß aus Gesprächen mit vielen Kollegen, dass es den Kollegen vor allem darum geht, dieses Grundgesetz wieder in Kraft zu setzen, dafür zu sorgen, dass die Grundrechte uneingeschränkt erhalten bleiben. Sie wollen die Einschränkung von Freiheitsrechten zurückdrängen und für eine Einhaltung von Menschenrechten in jeder Situation, gerade auch in einer Pandemie, sorgen.
Das sind die Punkte, um die es den Anwältinnen und Anwälten, mit denen ich mich unterhalte, unisono geht. Und jetzt wird man in eine Ecke gestellt. Also die Anwälte werden ja häufig noch nicht in die Ecke gestellt. Aber viele Demonstranten, die für das Grundgesetz demonstrieren, werden in eine solche Ecke gestellt. Und dann wird gesagt, die delegitimieren den Staat. Ich habe beispielsweise beobachtet, wie jemand aus dem Grundgesetz vorgelesen hat und sofort von acht Polizisten von der Straße gezogen worden und in einen Mannschaftswagen gebracht worden ist.
Das sind Leute, die sich für das Grundgesetz einsetzen, die die Grundrechte hochhalten, und die werden jetzt plötzlich vom Staat bekämpft. Das ist sehr seltsam. Das ist eine ganz seltsame Verdrehung der Realitäten, eine Reflex-Situation eines ängstlichen, in die Enge getriebenen, verunsicherten Staates, der eigentlich jede Linie und jede Relation, jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren hat.
Das ist mein Befund. Wenn ich jetzt auf Montesquieu komme, dann würde ich da noch einen letzten Schlenker drehen und dazu noch mal einen Satz sagen wollen. Montesquieu ging immer davon aus, dass Gesetze nur dann gut sind, wenn die Menschen sie verstehen, sie mittragen und sich dadurch nicht bedroht fühlen.
Also, Gesetze müssen für die Menschen gemacht sein. Gesetze, die gegen die Menschen gemacht sind, können per se keine guten Gesetze sein, denn das ist ein Staat, der sich gegen seine Bürger zu wehren versucht oder glaubt, sich wehren zu müssen, ein Staat, der also in Verteidigungshaltung ist. Der schützende Staat, das ist dagegen das, was wir wollen. Wir wollen nicht den Staat, der sich gegen die Bürger wendet, denn der Staat ist ohne die Bürger am Ende nichts.
Das ist auch eine Lehre aus den Schriften von Montesquieu. Und ich glaube, dahin müssen wir wieder zurückkommen. Wir dürfen uns also nicht gefallen lassen, dass der Staat und seine Organe die Bürger angreifen, diskriminieren, in die Ecke stellen, verteufeln, wie das vielfach geschehen ist. Das fing beim Bundespräsidenten an und zog sich weiter über diejenigen Abgeordneten, die sich dazu teilweise unerträglich geäußert haben – das ist eine ganz unheilvolle Entwicklung gegen die jeder Einzelne sagen muss, nein!
Herr Christ, vielen Dank für Ihre Zeit und vielen Dank für Ihre Einschätzung.
Das Interview führte Alexander Zwieschowski. Redaktionelle Bearbeitung von Nancy McDonnell.
Dr. Alexander Christ hat Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Germanistik und Philosophie studiert und promovierte zu der Gewaltenteilung von Montesquieu. Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht mit Kanzlei in Berlin und seit vergangenem Jahr Pressesprecher für die Anwälte für Aufklärung.
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erschienen am 27. Juni 2022, 434 Seiten, Preis: 20 Euro
ISBN: 978-3-96789-032-7[/caption]
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