Der Kapitalismus und die freie Marktwirtschaft werden zunehmend für soziale Ungleichheiten verantwortlich gemacht. Welche Rolle der Kapitalismus in unserer Gesellschaft einnimmt, darüber sprachen wir mit Herrn Julien Backhaus. Er ist Leiter des Senders Wirtschaft-TV und Publizist mehrerer Magazine und Bücher.
Herr Backhaus, inwiefern wird der Kapitalismus häufig als das Problem angesehen?
Ja, der Kapitalismus genießt einen sehr schlechten Ruf. Innerhalb der EU haben wir eine Tendenz in Richtung Sozialismus. Wir wollen alle mehr Gemeinschaft und Gleichberechtigung. Darunter verstehen die meisten Menschen, dass alle dasselbe haben sollen. Das ist der Grundgedanke des Sozialismus. Der Kapitalismus ist allerdings die einzig faire Wirtschafts- und Gesellschaftsform, weil alle dieselben Chancen haben, im Wettbewerb zueinanderstehen und so groß werden oder so klein bleiben können, wie sie wollen. Das geht im Sozialismus nicht.
Was ist die Gefahr des Kapitalismus?
Die Gefahr ist immer, dass es kurzfristig Übertreibungen gibt. Diese zerstören sich allerdings wieder selbst und sind besser hinzunehmen als die langfristigen Zerstörungen im Sozialismus oder Kommunismus. Die meisten Menschen sind auf der Welt dann gestorben, wenn ein Land versucht hat, den Sozialismus durchzusetzen.
Wie stehen Sie zu der These, dass es in der westlichen Gesellschaft Menschen gibt, die von Geburt an durch ihre Schule, den Beruf, die Eltern etc. privilegiert sind?
Wir haben in gewisser Art und Weise Privilegien, zum Beispiel, dass wir in einem relativ friedlichen Land leben. Genauso gibt es in Asien und Russland Menschen, die privilegiert aufwachsen, was meiner Meinung nach auch einer der größten Nachteile sein kann. In einer Familie erleben wir das Leben im Kleinen. Wenn Kindern der Weg immer bereitet und ihnen alle Steine aus dem Weg geräumt werden, lernen sie nie, mit Herausforderungen umzugehen. Das sehen wir gerade an vielen Stellen in der jungen Generation. Sie werden mit Problemen sehr schwer fertig, die Depressionszahlen und Selbstmordraten gehen in die Höhe. Das ist sehr traurig zu beobachten und meiner Meinung nach auch ein Ausdruck dafür, dass es Kindern nicht zu leicht gemacht werden darf.
Wie würden Sie sagen, werden sozial Schwache, Behinderte, Kranke und alte Menschen im Kapitalismus berücksichtigt, wenn der Fokus auf Wirtschaftswachstum liegt?
Grundsätzlich geht es um Wirtschaftswachstum, das ist richtig. Es geht meiner Meinung nach gar nicht darum, ob jemand behindert ist oder nicht, sondern ob jemand den Willen hat, überhaupt teilnehmen zu wollen. Stephen Hawking, der schwerstbehindert war, ist ein tolles Beispiel für eine riesige Gruppe von Menschen. Er wollte etwas bewirken, erleben und ein Mitglied sein und hat in seinem Leben mehr erlebt als die meisten Menschen in zehn Leben. Rainer Zitelmann hat ein tolles Buch darüber geschrieben, wie Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung ein riesengroßes Lebenswerk erbracht haben. Manchmal glaube ich, es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, wenn Minderheiten und die Gesellschaft glauben, dass sie weniger erreichen können.
Gibt es einen Unterschied, ob man im globalen Süden oder im globalen Norden aufwächst und die Chancen dort nutzt?
Es gibt einen internationalen Wettbewerb. Länder, die vor 20 Jahren schlecht aufgestellt waren, sind heute sehr gut aufgestellt. Wir erleben es gerade in Europa, auf was für einem absteigenden Ast wir uns befinden. Eigentlich sind wir privilegiert, haben alle Voraussetzungen und trotzdem gehen die Statistiken nach unten. Die Wertschöpfung Europas und Deutschlands wird sich auf andere Länder, beispielsweise Indien, Brasilien oder Afrika verlagern. Sie erkennen ihre Chancen und nutzen sie. Wir sind in unserer Gesellschaft viel zu gesättigt und träge. Organismen, die zu groß werden, werden behäbig. In der Vergangenheit traf es sicherlich zu, dass einige Länder des globalen Südens gegenüber dem globalen Norden benachteiligt waren. Jetzt kommen die Kleinen, Schnellen und überholen die Langsamen.
Welche Entwicklungen lassen sich in den letzten Jahren bei uns in der Schulbildung erkennen?
In ganz vielen Bereichen ist die Schulbildung heute im Lehrbuch immer noch wie vor 100 Jahren, leider. Organisatorisch und inhaltlich ist es gleich geblieben. Es ist zu wenig praxisbezogen, immer noch zu theoretisch und viel zu weitläufig. Kinder haben von allem etwas gehört, können aber letztendlich nichts wirklich. Bei uns selber im Betrieb merke ich es bei jungen Leuten, wie wenig Grundkenntnisse über Rechtschreibung und allgemeines Verständnis über Deutschland oder das globale System vorhanden sind. Auch die meisten Bundesbürger wissen heute noch nicht, wie eine Wahl oder das Parteiensystem funktioniert und wer im Bundestag sitzt. Wir sehen auch am Fachkräftemangel, dass Deutschland auf dem absteigenden Ast ist.
Wie wird die freie Marktwirtschaft gesetzlich und gesellschaftlich garantiert und was zeichnet sie aus?
Die freie Marktwirtschaft ist immer ein Markt aus zwei Seiten, also ein Anbieter und ein Nachfrager. In letzter Zeit haben wir das zunehmende Problem, dass der Staat sich in diese Gemeinschaft einmischt, den Marktplatz bestimmen will und selber möglichst viele Regulierungen einführen möchte. Das behindert den freien Markt enorm. Es sind sozialistische Bestrebungen, dass der Staat in der Wirtschaft und im Finanzwesen eine große Rolle spielen möchte. Auf lange Sicht ist das dem Einzelnen gegenüber ungerecht. Ich sagte vorhin, jeder Einzelne hat im Kapitalismus die Möglichkeit, erfolgreich zu sein. Das wird durch die Regularien und Bestimmungen des Gesetzgebers behindert.
99 Prozent der Unternehmen in der Privatwirtschaft sind kleinere und mittlere Unternehmen. Welche Rolle und Bedeutung haben sie im Kapitalismus?
Es gibt die Kleinen vs. die Großen, die Großen sind lauter als die Kleinen. Eines der Probleme ist, dass die mittleren und kleineren Unternehmen zu wenig Lobbyismus betreiben. Wenn bei den großen Unternehmen wie Volkswagen, BMW oder Deutsche Bank etwas passiert, steht das übermorgen in der ganzen Presse. Wenn die Kleinen ein Problem haben, kräht kein Hahn danach. Das ist aber die Schuld der Kleinen, nicht der Großen und auch nicht der Politik. Der Mittelstand wirbt nicht laut genug für seine Themen.
Wie bewerten Sie Corona Hilfen für Künstler und Unternehmen? Werden sie die Gesellschaft im Nachhinein beeinflussen?
Ob Corona-Hilfen für Künstler in der Gesellschaft ankommen, kann ich nicht bewerten. Im Allgemeinen ist es so, dass uns solche Wettbewerbsverzerrungen wieder heimsuchen werden. Zwei Jahre lang wurde der Markt verzerrt und Betriebe wurden künstlich am Leben gehalten, die schon vorher keine Existenzberechtigung mehr hatten und mehr oder weniger Liebhaberei gewesen sind. Ob man das fördern muss oder nicht, ist die gute Frage. Man kann natürlich sagen, dass sie so oder so Sozialhilfen bekommen hätten, die Überschüsse werden jetzt zurückgefordert. Generell kann man aber festhalten, dass es letztendlich in der Marktwirtschaft immer einen Schaden anrichtet, wenn Staaten leistungslos Geld auszahlen.
Bremen möchte im Bundesrat eine Übergewinnsteuer auf extreme Krisengewinne vorschlagen. Was halten Sie denn von der Idee?
Wirtschaftswachstum oder zumindest individuelles Wachstum von Unternehmen findet meistens in der Krise statt. In vielen Weltwirtschafts- und Finanzkrisen konnten wir sehen, dass sich zu diesen Zeiten Unternehmen geformt haben oder auf Produkte umgestiegen sind, die von der Krise profitieren. Letztendlich profitieren auch die Menschen davon. Trotzdem haben wir natürlich Marktgesetze, die ein illegales Ausnutzen einer Marktmacht verhindern.
Freiheit und Regulierung im Kapitalismus – was ist das gesunde Maß und wohin entwickelt sich die Ordnung?
Wir brauchen ein paar Leitplanken. Die Politik würde allerdings gerne die Straße mit allem regulieren. Das ist jedoch die Aufgabe des freien Marktes, der sich selbst regulieren soll. Es wird auch Übertreibungen geben, die finden sich aber in allen Wirtschaftssystemen. Im Sozialismus zeigen sich die Übertreibungen durch Korruption, im Kapitalismus durch Preise. Der Kunde ist dabei allerdings der Chef im Ring und entscheidet, welcher Hersteller oder Anbieter überlebt. Als Anbieter versuche ich meine maximalen Interessen herauszuholen, ebenso verhält es sich mit den Kunden. Wenn es auf der einen Seite eine Übertreibung gibt, muss die andere Seite dagegen steuern. Letztendlich glaube ich, dass bei diesem Spiel alle eine gute Position haben.
Das Interview führte Sarah Kaßner.
Herr Backhaus hat nach einer kaufmännischen Ausbildung den Backhaus Verlag gegründet und brachte das „Sachwert Magazin“ und das „Erfolg Magazin“ heraus. Außerdem gründete er den Online-Sender „Wirtschaft TV“ und verfasste mehrere Bücher. Die letzten sind „Ego – Gewinner sind gute Egoisten“ und „Bullshit Rules – 50 Regeln die Sie brechen müssen, um Erfolg zu haben“.
Der Artikel erschien zuerst in der Wochenzeitung Ausgabe 51 vom 2. Juli 2022.
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