Die Sorge um Deutschland treibt ihn an, mehr noch als in unserem Gespräch im Januar bewegt sich Dr. Maaßen in der Öffentlichkeit via Internet auf Twitter, in Online-Interviews, oder wie in Berlin direkt im Studio der Epoch Times. Auch seine Stellungnahmen nehmen an Deutlichkeit und Schärfe zu.
Er stellt fest, „dass es hier darum geht, dass vielen Menschen die wirtschaftliche Existenzgrundlage weggenommen wird." Deshalb müssten die Menschen zunächst erkennen, „dass es um alles geht, um ihre Zukunft, um die Zukunft ihrer Kinder und dass sie dies, was sie hier sehen, in Frage stellen müssen, dass sie es auch kritisieren müssen, dass sie auch ihre Sorgen artikulieren müssen. Und dazu gehört als zweites dann die Mobilisierung."
Maaßen sagt, die Menschen, die müssten merken, dass sie nicht immer vertrauen und hoffen können, dass diejenigen, die in Berlin sitzen, im Parlament oder in der Regierung alles richtig machen. Und er fährt fort: „Ich glaube, wir haben im letzten Jahr gemerkt, dass vieles falsch oder nicht richtig gemacht worden ist. Man kann nicht permanent darauf vertrauen, dass die Profis das schon richten oder dass andere die Probleme einem abnehmen. Ich glaube, die Menschen müssen sich selber mobilisieren und die Probleme, die sie haben, auch zum Ausdruck bringen."
Sie finden hier den gesamten Text des Video-Interviews im Wortlaut. Das Gespräch fand am 19. März statt:
Epoch Times: Herr Dr. Maaßen, Sie sagen, dass Sie sich Sorgen machen um Deutschland. Lieben Sie Deutschland?
Dr. Hans-Georg Maaßen: Ich glaube, so weit würde ich nicht gehen, ich liebe meine Frau, ich liebe Menschen, ich mag Deutschland, das ist meine Heimat. Was ich liebe, ist die deutsche Sprache, ich liebe die deutsche Kultur. Ich liebe auch, dass die Deutschen unglaublich viel an Technik und an Fortschritt geleistet haben und auch zum Fortschritt der Welt beigetragen haben.
Und was ich mag, da würde ich das Wort Liebe nicht verwenden, das ist unsere Verfassung und die freiheitliche Demokratie, die wir in Deutschland haben, darum habe ich auch Jura studiert, weil ich gerne möchte, dass diese freiheitliche Demokratie mit Leben erfüllt wird, dass sie auch funktioniert. Darum mache ich mir unter anderem auch Sorgen.
ET: Was ist augenblicklich Ihre größte Sorge?
Maaßen: Also ich sage, die größte Sorge ist zurzeit für mich das Funktionieren unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Ich sagte vorhin, als Jurist habe ich mich damit beschäftigt, das ist dann auch die Aufgabe des Verfassungsschutzpräsidenten, sich um den allgemeinen Gesundheitszustand der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu kümmern, das Funktionieren des Rechtsstaates und das Kleinhalten und Bekämpfen von allen Feinden der freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Das, was ich in Deutschland einfach wahrnehme, ist, dass die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht mehr gesund ist. Herr Professor Papier, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts und bekannte Staatsrechtler, hat es ja wiederholt gesagt, in seinem Bestseller „Die Warnung“ hat er es gesagt, dann hat er es in der „Welt am Sonntag“ vor ein paar Wochen auch gesagt, dass er sich Sorgen macht um die Erosion des Rechtsstaates. Das ist eine Sorge, die ich auch teile.
Das ist eine Sorge, die ich schon vor Corona hatte, vor der Corona-Krise, aber das ist eine Sorge, die ich jetzt erst recht habe, weil sich durch die Corona-Krise und die vielen, vielen politischen Maßnahmen, die seitdem beschlossen und umgesetzt wurden, unser Land verändert hat. Und ich möchte auch nicht, dass die Menschen dieses als neue Normalität wahrnehmen: Ich möchte, dass die alte rechtsstaatliche Normalität wieder zurückkehrt.
ET: Wo ist der schlimmste Knackpunkt für Sie im Moment auf diesem Gebiet?
Maaßen: Das ist schwierig zu sagen, es gibt viele Knackpunkte. Ein schlimmer Knackpunkt für mich als Jurist und als ehemaliger Verfassungsschutzpräsident war die Wahrnehmung, dass man durch ein einfaches Bundesgesetz eigentlich die ganzen Grundrechte aushöhlen kann. Wenn man mir das so vor zehn Jahren gesagt hätte, hätte ich gesagt, das ist undenkbar.
Ich will damit sagen, wir haben die Grundrechte aus gutem Grund als Abwehrrechte, als Schutzrechte, als Freiheitsrechte im Grundgesetz formuliert, die dazu dienen, dass der Staat sich aus dem Leben der Menschen rauszuhalten hat. Grundsätzlich ist das so, um es bildlich zu sagen, die Schranke ist immer oben, jeder kann gehen und tun und machen, was er will, es sei denn in einem Ausnahmefall, da wird die Schranke runtergelassen.
Und jetzt muss ich feststellen, dass durch ein einfaches Bundesgesetz, das Infektionsschutzgesetz und die daran hängenden Verordnungen, das alles nicht mehr gilt. Es gilt nicht die Versammlungsfreiheit, es gilt nicht mehr die Berufs- und Gewerbefreiheit, das sieht man im Lockdown, Geschäfte sind geschlossen. Manche Menschen können ihren Beruf nicht mehr ausüben. Das ist eine Aushöhlung der Grundrechte, die ich mir so nicht vorgestellt habe. Manches kann ich nachvollziehen, dass es notwendig ist, in der Krise ganz anders zu reagieren als in der Normallage, aber vieles ist für mich auch als Jurist nicht nachvollziehbar, weil ich nicht erkennen kann, dass hier verhältnismäßig agiert wird.
Verhältnismäßig ist ein juristischer Ausdruck und bedeutet, dass wenn man eine Maßnahme erlässt, muss man prüfen, ob sie erforderlich ist, ob sie geeignet ist mit Blick auf die Kollateralschäden, [ob] die Neben- und Folgewirkungen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Und da habe ich so meine Zweifel.
ET: Kollateralschäden können auch in den Gesundheitsbereich der Menschen gehen. Es ist ja nicht so, dass sie nun geschützt sind, sondern im Gegenteil, das geht bis in eine ansteigende Selbstmordrate....
Maaßen: Ich sage so, in der ersten Phase der Corona-Epidemie im Frühjahr letzten Jahres, da konnte man über manches, was die Politik gemacht hatte, noch entschuldigend hinwegsehen. Weil die Politik überfordert war, vielleicht in Teilen auch unfähig, sie war auch unvorbereitet gewesen. Vieles konnte auch nicht richtig eingeschätzt werden, weil man nicht wusste, wie gefährlich ist dieses Virus überhaupt.
Jetzt ist es ein Jahr später und in diesem Jahr hätte viel passieren müssen. Es hätten die Folgewirkungen aufgeklärt werden müssen, die Nebenwirkungen von diesen ganzen Lockdown-Maßnahmen, es hätten Hintergründe auch des Virus aufgeklärt werden müssen, auch die Punkte, die Sie angesprochen haben, Selbstmorde, Gestorbene an anderen Krankheiten, weil sie nicht rechtzeitig behandelt werden konnten. Die ganzen familiären Schicksale, Gewalt in der Familie, die Folgewirkung für die Wirtschaft, ob das ein Handwerksbetrieb ist oder ein Großunternehmen. Die Folgewirkung für unsere Währung, all das hätte man ohne weiteres berechnen und dokumentieren können. Man hätte Gutachter beauftragen können, man hätte Sachverständigen-Kommissionen einsetzen können und müssen. Mir stellt sich da die Frage, warum passiert das nicht?
ET: Das wollte ich Sie auch gerade fragen.
Maaßen: Ich hätte im vergangenen Jahr im Frühjahr gesagt, Überlastung, Überforderung, Krise, man kann es entschuldigen. Nach einem Jahr muss ich sagen, das ist nicht mehr Überlastung, das ist auch nicht mehr Unfähigkeit, sondern für mich als Jurist drängt sich da der Verdacht auf, dass es Vorsatz ist. Warum wird es nicht gemacht? Ich bin nicht derjenige, der in das Gehirn der verantwortlichen Politiker und verantwortlich Handelnden schauen kann. Ich kann für mich nur sagen, offensichtlich besteht eine Motivation dahinter, dass man das nicht aufklären will. Das müssten die uns letztendlich sagen, was deren Motivation ist. Aber für mich steht insoweit der dringende Verdacht im Raum, dass man das einfach nicht will.
Und das ist für mich besonders besorgniserregend. Es macht einen Unterschied aus, ob man aus Fahrlässigkeit, aus Unfähigkeit, aus Überlastung nichts macht, nämlich die Nebenwirkungen aufzuklären und transparent auf den Tisch zu legen, oder ob man das vorsätzlich nicht macht. Das Letztere ist für mich schon ein Skandal.
ET: Haben Sie da Vermutungen, wo das herkommen könnte?
Maaßen: Nein, ich möchte nicht spekulieren. Es gibt, so glaube ich, viele Ansätze, ob das nun der Great Reset ist, die große Transformation als möglicher Plan, ich weiß es nicht. Ich will hier gar nicht spekulieren. Diejenigen, die nichts tun, oder das getan haben, was wir hier sehen, den großen Lockdown, ohne dass das Zahlenmaterial offen auf den Tisch gelegt wird, die einfach mal so entscheiden, jetzt dürfen die Friseurläden öffnen, aber die anderen dürfen nicht öffnen. Die jedenfalls hier keine transparente Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgelegt haben, die sind verpflichtet. Die politisch Verantwortlichen sind verpflichtet offenzulegen, was deren Motivation ist.
ET: Was mich wundert, ist, dass in dem Zwischenbereich, also sowohl in den Verwaltungen als auch in der freien Wirtschaft so lange stillgehalten wird...
Maaßen: Also nach dem, was ich darüber gelesen habe, gab es entweder keine Übersterblichkeit oder nur eine geringfügige Übersterblichkeit. Aber auch wenn es eine geringfügige Übersterblichkeit gegeben haben sollte, muss man sie in ein angemessenes Verhältnis zu den Kollateralschäden stellen. Und dass man permanent mit Inzidenzwerten arbeitet, manche sogar sagen, der Inzidenzwert sollte bei 30 oder bei null liegen, muss ich sagen, zeigt für mich, dass man sich überhaupt gar keine Gedanken darüber macht: Wie verhältnismäßig sind denn die Maßnahmen?
Ich sage mal, als früherer Chef einer Sicherheitsbehörde hätte ich natürlich auch so agieren können und sagen, ich möchte, dass es einen Inzidenzwert von null gibt, was Terroranschläge angeht. Ein Inzidenzwert, der bei null liegt, was Sexualstraftaten angeht. Natürlich hätte man das auch fast erreichen können, indem man hier das Land von den Füßen auf den Kopf stellt und sagt, dass alle möglichen Gefährder zuhause bleiben müssen, weggesperrt werden und so weiter. Aber da ist ja klar, dass es völlig unverhältnismäßig ist und in keinem Verhältnis zu den Maßnahmen steht und den Folgewirkungen, deshalb tut man das auch nicht.
Aber hier, im Zusammenhang mit der Corona Bekämpfung, finde ich einfach erschreckend, dass darüber keine öffentliche Diskussion stattfindet, inwieweit diese Maßnahmen, die ja Woche für Woche beschlossen werden, in einem angemessenen Verhältnis zu den immensen Folgewirkungen stehen, ob das nun gesundheitlicher Natur ist für die vielen Menschen in dem Land, ob es wirtschaftlicher Natur ist, währungspolitischer Natur ist, und so weiter. Diese Diskussionen und Prüfungen werden einfach nicht geführt, ich verstehe es nicht. Diejenigen, die verantwortlich sind, die werden wissen, warum sie das nicht tun, aber sie sind verpflichtet, es offenzulegen.
ET: Es ergreifen einige Initiativen, werden aber an den Gerichten abgeschmettert. Uns liegen Berichte vor, dass manche Klagen gar nicht angenommen werden. Das ist eine Sache, von der Sie mehr verstehen als ich. Was kann man jetzt machen?
Maaßen: Ich glaube, ein Problem besteht darin, dass wir hier eine, ich sag mal unheilige Allianz haben zwischen den politisch Handelnden und den Medien. Die Medien, die vielleicht in den ersten Wochen und Monaten sagten ‚Wir müssen jetzt hinter den politisch Handelnden stehen, wir können ihnen nicht in den Rücken fallen und offenkundige Defizite thematisieren‘. Das tut man nicht, wenn es eine Krise ist. Das ist in gewisser Hinsicht nachvollziehbar, aber es ist nicht die Rolle der Medien, Propaganda zu betreiben, Agitation zu betreiben und diejenigen, die kritische Fragen stellen, zu diskreditieren und zu dämonisieren.
Ich bin mir sicher, dass ich mit meinen Äußerungen hier und heute Ihnen gegenüber von den Mainstreammedien mit Sicherheit wieder diffamiert und dämonisiert werde als Verschwörungstheoretiker und so weiter, oder es wird totgeschwiegen. Das ist noch eine andere Methode. Aber das zeigt aus meiner Sicht das ganze Dilemma, in dem wir hier stecken, nämlich diese Allianz zwischen Politik und Medien, die sich gegenseitig wie zwei Einbeinige stützen und versuchen dann weiterzukommen.
Sie haben gefragt, wie wir weiterkommen können als Land. Ich glaube, was notwendig ist, ist, dass die Menschen zunächst einmal die Lage als eine Krisenlage begreifen, und zwar nicht nur die Corona-Lage als Corona-Lage, sondern die Gesamtlage. Und zwar, dass es hier darum geht, dass vielen Menschen die wirtschaftliche Existenzgrundlage weggenommen wird, dass es hier in Folge jedenfalls all dieser Maßnahmen darum geht, dass auch der Mittelstand erheblich geschwächt wird. Und der Mittelstand ist nicht nur das Rückgrat unserer Wirtschaft, sondern der Mittelstand ist das Rückgrat unserer freiheitlichen Demokratie, weil nur Menschen, die im Grunde genommen selbstständig sind, die unabhängig sind, die Vermögen und Eigentum haben, können im Grunde genommen in einer freiheitlichen Demokratie auch Politik gestalten.
Nicht derjenige, der, ich sage mal, an der Brust des Staates saugt, ist derjenige, der unabhängig Politik machen kann und gestalten kann, sondern selbstständige Unternehmer, Menschen, die im Grunde genommen auf eigenen Beinen stehen können. Und deswegen ist der Mittelstand in Deutschland einfach so wichtig. Und was ich wahrnehme, ist, dass hier im Grunde genommen all diese Maßnahmen zu Lasten des Mittelstandes führen. Also erster Punkt, um Ihre Frage zu beantworten, ist: Die Menschen müssen erkennen, dass es um alles geht, um ihre Zukunft, um die Zukunft ihrer Kinder geht und dass sie dies, was sie hier sehen, in Frage stellen müssen, dass sie es auch kritisieren müssen, dass sie auch ihre Sorgen artikulieren müssen.
Und dazu gehört als zweites dann die Mobilisierung. Die Menschen, die müssen merken, dass sie nicht immer vertrauen und hoffen können, dass diejenigen, die in Berlin sitzen, im Parlament oder in der Regierung, alles richtig machen. Ich glaube, wir haben im letzten Jahr gemerkt, dass vieles falsch oder nicht richtig gemacht worden ist. Man kann nicht permanent darauf vertrauen, dass die Profis das schon richten oder dass andere die Probleme einem abnehmen.
Ich glaube, die Menschen müssen sich selber mobilisieren und die Probleme, die sie haben, auch zum Ausdruck bringen. Sie merken ja selbst, dass die Probleme der Landwirte, die Probleme der Handwerker, der Selbstständigen im Konsum öffentlich gar nicht diskutiert werden. Ich kann mich an die Demonstrationen von Landwirten erinnern, die in den Medien in Teilen totgeschwiegen wurden. Die Leute müssen sich stärker mobilisieren, um deutlich zu machen: ‚Wir haben unsere Probleme und wir wollen mit diesen Problemen wahrgenommen werden.‘
ET: Es ist offenbar so, dass – noch mal auf die Corona-Thematik zurückkommend - immer noch viele Menschen denken, es wird gut für sie gesorgt. Das wäre eine zuverlässige Situation, in der sie sich befinden und bald ist es überstanden....
Maaßen: Die Aussage, es wird alles gut werden, glauben immer weniger Menschen. Und ich glaube auch, dass viele Menschen mittlerweile Zweifel haben an dem, was sie wahrnehmen. Zweifel insoweit, dass viele jetzt spüren, das bestimmte politisch Handelnde ihnen eine bestimmte Realität vermitteln wollen. Kurzum, mein Eindruck ist: Immer mehr Menschen spüren aufgrund der Situation, dass hier einiges nicht rund läuft und einiges nicht zufriedenstellend läuft und dass sie selber tätig werden müssen.
Wir haben das bei den Wahlen am vergangenen Wochenende gesehen, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Viele Menschen haben sich von der Politik abgekehrt. Nun wird in Berlin gejubelt, bei den Grünen und teilweise bei der SPD über großartige Wahlerfolge in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Die CDU, die leckt die Wunden. Aber wenn man sich dieses Ergebnis oder die beiden Ergebnisse genauer anschaut, ist das Verheerende, dass immer weniger Leute wählen gehen oder sonstige Parteien wählen. In Rheinland-Pfalz sind die Freien Wähler oder Sonstige diese über 10 Prozent gekommen.
Das heißt, dass eine Abkehr letztendlich von den bisherigen Parteien stattfindet, eine Frustration. Die Leute sagen sich, wen soll ich denn überhaupt noch wählen? Und eine Wahlbeteiligung von 66 Prozent in Baden-Württemberg machte deutlich, dass letztendlich die größte Partei, die, die dort gewählt wurde, das waren die Nichtwähler gewesen. Es waren nicht die Grünen gewesen, es war schon lange nicht die CDU.
ET: Sie sind schon lange CDU-Mitglied und bleiben auch drin und vertreten den Standpunkt, dass sich innerhalb der Partei etwas ändern muss, damit sie ihre volle Kraft, die sie immer noch hat oder mobilisieren kann, zur Wirkung kommt. Also dann wären wir jetzt bei Frau Merkel, vielleicht auch bei Herrn Spahn. Aber das Haupt ist Frau Merkel. Ist es gut auf die nächsten Wahlen zu warten, bis sie abgewählt wird oder könnte sie nochmal wiedergewählt werden?
Maaßen: Also wir müssen bis zu den nächsten Wahlen abwarten. Vielleicht kann sich in der Zwischenzeit im Parlament noch etwas ändern. Aber wir leben in einer Demokratie und politische Entscheidungen werden vorbereitet durch demokratische Wahlen. Das haben wir jetzt am Wochenende wahrgenommen und das werden wir im Sommer in Sachsen-Anhalt und danach auch im Bundestag und anderen Ländern erleben. Das heißt also, es wird nichts ruckzuck gehen und sofort, sondern erst, denke ich, nach den Wahlen.
Sie haben angesprochen, dass ich in der CDU bin und in der CDU gerne möchte, dass es da zu Veränderungen kommt. Ich bin der Auffassung, wenn man Politik verändern will, muss man es, ich sage mal bei Parteien, in den Parteien machen. Das ist immer schlecht, wenn man rausgeht. Weil, wenn man rausgeht, gibt man die Möglichkeiten auf, zu Veränderungen beizutragen. Wenn man draußen ist, dann ist es schwierig, eine eigene Partei aufzubauen. Wenn man eine eigene Partei aufbaut, heißt das noch lange nicht, dass man damit Politik machen kann.
Ich habe jüngst mit jungen Leuten gesprochen, die eine eigene Partei gegründet haben, die Partei dieBasis. Hört sich alles sehr interessant an, was dort gemacht wird. Das sind alles engagierte Leute, die glaube ich, auch das Herz auf der richtigen Seite haben. Aber ich habe ihnen auch gesagt: Es reicht nicht aus, anzustreben, mit 5 Prozent in den Bundestag zu kommen, sondern es geht schließlich darum, dass man die Politik verändert. Und als Opposition kann man das nicht. Deswegen lade ich diese Leute ein, eher in die CDU einzutreten und in der CDU dazu beizutragen, dass es politische Veränderungen geben kann.
Das ist nicht einfach, weil ich wahrnehme, dass die politische Führung einer Partei gegen Leute wie mich eine Art Feind-Bekämpfung durchführt. Wir werden als Krebsgeschwür bezeichnet und ausgegrenzt. Derzeit ist es aus meiner Sicht die WerteUnion, die im Grunde eine Position vertritt, die noch vor fünf oder zehn Jahren die Position der CDU vorherrschte, bevor die CDU sozialistischer wurde. Und die wird ausgegrenzt. Gleichwohl versuchen wir, auf unterschiedlichen Wegen Einfluss zu nehmen, damit es zu politischen Veränderungen in der CDU kommt.
Die CDU ist derzeit die Regierungspartei und wird möglicherweise vielleicht sogar wahrscheinlicherweise nach der Bundestagswahl auch Regierungspartei sein. Das wäre dann der Weg, dann über eine Veränderung der Partei auch Einfluss zu nehmen auf eine Veränderung der Politik.
ET: So richtig offiziell hat sich die CDU nicht verändert....
Maaßen: Das ist ein schleichender Prozess der Veränderung gewesen. Das muss man einfach so sagen, ist gut gemacht worden, gut organisiert worden. Das hätte man im Grunde genommen auch auf einer Kaderschule im Osten lernen können, wie man eine stille Revolution durchzieht.
Viele haben es immer noch nicht gemerkt. Ich glaube, die meisten haben gemerkt, dass hier grundlegende Veränderungen durchgeführt worden sind. Aber es waren Veränderungen, die nicht gestern angefangen haben, sondern die haben einen Vorlauf von sicherlich dreißig Jahren oder zumindest 20 Jahren, dass man den heutigen Zustand in der Partei erreicht hat, dass man in der Partei auch dafür gesorgt hat, dass bestimmte Personen nicht nach oben kommen, dass man auch mal aus meiner Sicht eine Art negative Elitenförderung gemacht hat. Leute, die in besonderer Weise persönlich abhängig sind und loyal sind, sind gefördert worden. Und das waren meistens Leute, ich sage mal, mit einer minderen politischen oder auch mit einer minderen beruflichen Qualifikation.
ET: Sie haben sich sicher auch schon manchmal die Frage gestellt, die ich mir manchmal stelle: Das ist in meiner Lebenszeit passiert. Dieser Wandel, den wir jetzt auf allen Ebenen in Deutschland haben, die gesellschaftlichen Spaltungen, die ideologische Political Corrctness. Und ich frage mich, was hätte ich eigentlich noch mehr tun können? Beziehungsweise, habe ich das alles viel zu spät bemerkt?
Als ich als junge Frau studiert habe, bin ich aus dem Geschichtsstudium rausgegangen. Ich sollte erst zwei Semester Karl Marx – Das Kapital studieren unter Anleitung von der Studentenvertretung, bevor ich überhaupt eine Zulassung zu den ersten Seminaren bekam. Da habe ich so getan, als kennte ich das nicht. Ich habe gesagt: Habt ihr das hier? Habe mir das zeigen lassen. 10 Minuten gelesen. Natürlich kannte ich das, also es war mir nicht ganz neu. Und habe dann gesagt: Das mache ich nicht mit. Ich bin hier, um zu sehen, wo ich Denkmuster-Brillen aufhabe. Ich will nicht eine neue Brille oben drüber haben. Ich will meine alten ablegen und der Wahrheit so nahe wie möglich kommen. Dieses hier mache ich nicht mit. Das war's. Dann hab ich gedacht, dann musst du andere Wege suchen.
Und ich meine, damals war die FU [Freie Universität Berlin] sehr kommunistisch ausgerichtet. Aber leider hat sich das in vielen, gerade universitären Gebieten entwickelt...
Maaßen: Ja, da sprechen sie etwas an, was zutreffend ist. Wir haben es nicht glauben wollen. Oder, ich sage mal, die Vorfahren, die Generationen vorher haben es nicht glauben wollen. Das Bürgertum hat es nicht glauben wollen. Das Bürgertum hätte es glauben, hätte es lesen können. Schelsky hatte schon 1970 vor diesem Gang durch die Institutionen gewarnt, vor der stillen Revolution, der kommunistischen Revolution. Es gab genügend Überläufer vom KGB, vom rumänischen Geheimdienst, vom tschechischen Geheimdienst, die immer davor warnten, dass es im Grunde eine stille Revolution nach dem Kalten Krieg geben würde, wo die Kommunisten dann an die Macht kommen. Aber man hat es einfach nicht wahrnehmen wollen.
Es lag in Teilen sicherlich auch daran, dass der Westen selbst schon unterwandert war, dass es viele unpolitische Führungskräfte gab und dass natürlich diese allseits geprägte Liberalität und Toleranz dazu führte, dass man das zugelassen hat, diesen Gang durch die Institutionen. Und da muss ich sagen, (dass) aus meiner Sicht war das das größte Versäumnis der Generationen vor mir, der letzten Generation. Diese Toleranz gegenüber Extremisten. Diese Liberalität gegenüber Extremisten.
Das ist aus meiner Sicht völlig inakzeptabel gegenüber Extremisten. Darf man zum Schutze jedenfalls einer freiheitlichen Demokratie nur intolerant sein! Diese Leute haben nichts in Institutionen und im Staatsgefüge zu suchen. Und dass man das zugelassen hat, das ist für mich leider heutzutage unerträglich. Und das erklärt in Teilen auch die Zustände, die wir heute hier vorfinden.
ET: Ich war befreundet mit Professor Arnulf Baring, der ist Ihnen ja sicher noch ein Begriff, und mit seiner Frau. Er war einer, der gewarnt hat. Er hat schriftlich und mündlich immer wieder gewarnt. Er hat diese Zeit an der FU auch miterlebt, ist diffamiert worden, ist ausgegrenzt worden, hat sich nie kleinkriegen lassen, ist dafür beschimpft worden.
Er hatte ein großes Engagement für Deutschland und für seine Kinder und das, was er als Demokratie erleben wollte. Er hatte das Kriegsende in Berlin erlebt und war an diesem Aufbau beteiligt. Er war in Amerika an der Uni gewesen und hat wirklich einen sehr einsamen Kampf geführt. Es gab welche, aber die waren sehr allein. Denen hat man auch schon die Häuser beschmiert und die Gartentüren. Es waren wenige.
Maaßen: Ich will gar nicht sagen, dass es zu wenige waren. Sie waren nicht in den richtigen Funktionen. Wissen Sie, ein Professor Arnulf Baring, oder auch andere Professoren, die damals gewarnt hatten, waren nicht in der Funktion eines Spitzenpolitikers, eines Landesinnenministers, der Verbote hätte aussprechen können, der sich auch für einen Radikalenerlass hätte aussprechen müssen. Radikalenerlass war sinnvoll gewesen, um einen Marsch durch die Institutionen zum Schutze der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu unterbinden. Das ist damals vorsätzlich aufgegeben worden und man hätte im Grunde das, was passiert, hätte man damals vorhersehen können. Man hat es in Teilen wahrscheinlich gewollt, jedenfalls von linker Seite in der SPD. Aber das waren jedenfalls unverzeihliche Fehler der 70er bis 90er-Jahre, die wir, denke ich mir, heute ausbaden müssen.
ET: Vielen Dank für diesen kleinen historischen Rückblick. Sie haben in Planung ein eigenes Buch. Das kann man bei Amazon schon sehen. Es hat einen wunderschönen Titel. „Es ist kein Fehler, die Wahrheit zu sagen“ und „Wie man diesen Staat vom Kopf wieder auf die Füße stellen kann“. Das heißt, sie machen offensichtlich nicht nur eine Analyse, sondern auch eine Ideensammlung. Was könnte man machen?
Maaßen: Ja, dieses Buch, das im Sommer erscheinen wird, ist eine Analyse. Und da habe ich vieles, ich sage mal aus meiner Berufs- und Lebenserfahrung, jedenfalls eine Analysefähigkeit, mit einfließen lassen, weil ich mir selbst erklären will: Was passiert hier eigentlich? Was geht hier um mich herum vor? Ich versuche es mir selber zu erklären und ich merkte bei vielen Veranstaltungen, die ich in den letzten zwei Jahren durchgeführt habe, für die WerteUnion oder auch auf Einladung von anderen. Ich bin immer wieder von Bürgern angesprochen worden: „Herr Maaßen, sagen Sie mal, was passiert hier eigentlich?“
Und Sie haben mich ja vorhin auch gefragt im Zusammenhang mit Corona. „Was passiert hier eigentlich?“ Also ich versuche das zu erklären. Ich versuche nicht zu spekulieren, sondern ich versuche eins und eins zusammenzuzählen. Und ich bin Realist. Und bei mir ist eins und eins zwei. Und ich bin kein Ideologe, bei dem es dann 3 oder 4,75 ist. Also das wird in meinem Buch stehen. Und natürlich dann auch, dass man das, was man jetzt hier alles wahrnimmt, natürlich auch durchaus verändern kann.
Man muss eine Weichenstellung vornehmen und diese Weichenstellung wird natürlich auch zu einer deutlichen Kursänderung führen müssen. Und je weiter wir diesen Weg hier fahren, auf dem aus meiner Sicht falschen Gleis in die falsche Richtung, desto stärker muss diese Kursänderung auch stattfinden. Und darauf werde ich auch in dem Buch eingehen. In welche Richtung der Kurs eingeschlagen werden muss und dass das Bürgertum, an das richtet sich das Buch auch, und an die Menschen, die sich auch wie ich Sorgen machen um unser Land und die Zukunft der Kinder, dass das Bürgertum sich einfach darüber im Klaren sein muss.
Wir müssen einfach auch eine eigene Vision haben von der Zukunft. Und wir dürfen den Linken, den Neo-Sozialisten, so wie ich sie bezeichne, nicht die Dominanz in der Gestaltung der Zukunft überlassen, sondern wir müssen selbst wissen, wo wir hinwollen. Wir können nicht mehr zurück in die gute alte Zeit, ich sage mal unter Helmut Kohl in die 80er und 90er-Jahre. Das ist uns alles verbaut. Wir müssen uns ein Deutschland 2030, ein Europa 2030 vorstellen. Das ist meine Vision. Ein liberales Europa, ein offenes Europa, aber auch ein wehrhaftes Europa und ein technisch fortschrittliches Europa. Und darauf gehe ich dann in den letzten Kapiteln meines Buches ein. Und ansonsten seien Sie überrascht.
ET: Gestern habe ich die berühmte Ruck-Rede von Bundespräsident Roman Herzog nochmal durchgelesen. Er hat sie 1997 gehalten, im April. Er hat darin beschrieben, in welcher Lethargie und teilweise Bequemlichkeit und Kreisläufen wir damals hingen. Interessanterweise hat er das damals schon beschrieben...
Manchmal denke ich in dieser Zeit jetzt – des Internets – werden wir verführt, uns noch mehr auszutauschen. Einerseits etwas Wunderbares, auch Weltumspannendes. Gleichzeitig bekommt man den Eindruck, ich informiere mich ja, aber das ist ja nicht dasselbe wie tun....
Maaßen: Ja, das ist richtig. Wissen Sie, mein Ansatz ist, ich sage es mal in einer Analyse: Die meisten Menschen in Deutschland haben keine politische Erziehung erfahren. Ich will damit sagen, in einer Demokratie ist es notwendig, dass die Menschen auch demokratisch denken. Und nach meinem Verständnis heißt es Denken als Staatsbürger, als Bürger und nicht als Untertan oder als Kunde. Mir fiel es immer schwer, in Behörden als Kunde bezeichnet zu werden, wenn ich meinen Reisepass abholte. Ich bin nicht Kunde, habe ich immer gesagt. Ich bin Bürger, ich bin Miteigentümer. Das Ganze gehört zumindest in Teilen mir. Ich bin nicht Ihr Kunde. Ich bin Ihr Arbeitgeber.
Dieses Bewusstsein, was ich für zwingend notwendig halte in einer Gesellschaft, in einer demokratischen Gesellschaft. Dass der Bürger hier nicht irgendwie Konsument ist, der Mensch nicht irgendwie Konsument ist, sondern als Bürger mitverantwortlich ist, Miteigentümer ist. Er hat Rechte. Er hat aber auch Pflichten. Und zu den Pflichten gehört es letztendlich auch, dass er sich um das Gemeinwesen auch ein Stück weit kümmert. Und mein Eindruck ist, dass dieses bürgerliche Bewusstsein in Deutschland den meisten Menschen fehlt, weil sie es nicht gelernt haben. Zuhause ist es nicht vermittelt worden. In der Schule ist es auch nicht vermittelt worden, mir gegenüber auch nicht in der Schule, auch keine Vorbilder also, die selber was machen.
Und jetzt möchte ich auf den Punkt hinaus, das ist für eine Demokratie aber zwingend notwendig. Es ist notwendig, dass die Menschen begreifen. Demokratie heißt nicht, ich zahle meine Steuern und gehe alle vier Jahre zur Wahl. Und dann ja, ich erziehe meine Kinder gut. Und das ist es. Das ist aus meiner Sicht Biedermeier. Das bedeutet, die Menschen ziehen sich im Grunde zurück. Und Demokratie beschränkt sich dann auf diese, ich sage mal Rituale. Sondern Demokratie heißt, sich einbringen in den Staat und in die Gesellschaft und auch Verantwortung übernehmen.
Aber auch das Bewusstsein zu haben, dass die Politiker, die im Bundestag sitzen, das sind nicht unsere Oberlehrer. Das sind nicht die Schulmeister, das sind nicht die Erzieher, das sind unsere Angestellten. Und wenn die Angestellten nicht spuren, dann werden sie halt gefeuert. Und da ist zwar die Kündigungsfrist vier Jahre, aber sie werden rausgeworfen. Und dieses Bewusstsein ist aus meiner Sicht für eine freiheitliche Demokratie unerlässlich und bedeutet aber: Man muss sich verabschieden davon, dass man sich ins Private zurückzieht und nur demokratische Rituale ausübt, sondern man muss sich einbringen, in der Partei einbringen, in der Gemeinde einbringen und notfalls auch auf die Straße gehen.
ET: In den Schulen kann man sich auch einbringen, in der Ausbildung.
Maaßen: Und das bedeutet weiterhin, dass man gerade jetzt in der Corona-Krise sich immer darüber im Klaren sein muss: Man ist nicht der Untertan. Und ich lasse mir nicht immer von anderen etwas vorschreiben. Dass man natürlich sich auch ab und an mal von anderen etwas vorschreiben [lassen] muss in einer Krise, ist selbstverständlich. In einer Krise gibt es Befehl und Gehorsam. Das muss einfach so sein. Wenn ein Boot schiffbrüchig ist, dann muss jemand Befehle geben, dass man in ein Rettungsboot umsteigt und dass jedermann einen Rettungsring haben muss. Aber im Übrigen muss der Bürger sich auch darüber im Klaren sein: Er ist ja Miteigentümer vom Ganzen. Man muss sich darüber im Klaren sein: Das sind unsere Angestellten, unsere Beamte. Und wir haben ein Recht darauf, auch auf die Politik einzuwirken.
ET: Ein wunderbares Schlusswort, Herr Dr. Maaßen, herzlichen Dank für Ihren Besuch und hoffentlich geht davon viel Ermutigung aus zu unseren Mitbürgern.
Maaßen: Sehr gerne. Bitteschön.
Das Gespräch fand am 19. März statt, geführt von Renate Lilge-Stodieck
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