Schlag gegen „Stand News“: Berlin verurteilt Vorgehen der Hongkonger Behörden
Die Bundesregierung hat das erzwungene Aus für die Hongkonger Nachrichtenwebseite „Stand News“ deutlich verurteilt. „Die Geschehnisse sind ein weiterer harter Schlag gegen die Pressefreiheit in Hongkong“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts am Mittwoch in Berlin. „Die Vorgänge illustrieren aufs Neue, dass es eine stetige Erosion gibt von Pluralismus, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit in Hongkong.“ Kritischer Journalismus dürfe nicht „unter Generalverdacht gestellt werden“.
Mit Razzien sowie einer Reihe von Festnahmen haben die Behörden der chinesischen Sonderverwaltungszone die Schließung eines weiteren unabhängigen Mediums erzwungen. „Stand News“ werde sofort eingestellt, erklärte die Nachrichtenwebseite am Mittwoch auf Facebook. Chefredakteur Patrick Lam sei zurückgetreten und alle Beschäftigten seien entlassen worden.
Mehr als 200 Polizisten hatten zuvor die Redaktion von „Stand News“ sowie die Wohnungen mehrerer Redakteure durchsucht und nach eigenen Angaben sechs aktuelle und ehemalige Mitarbeiter festgenommen. Ein AFP-Reporter berichtete, wie Chefredakteur Lam in Handschellen in das Bürogebäude geführt wurde und Polizisten die Redaktion mit Kisten wieder verließen.
„Die polizeilichen Durchsuchungen zeigen aus unserer Sicht abermals, wie das nationale Sicherheitsgesetz und auch andere Bestimmungen willkürlich und selektiv angewandt werden, um gegen kritische Stimmen vorzugehen“, sagte die Sprecherin des Auswärtigen Amts.
Vier zurückgetretene Ratsmitglieder festgenommen
Medienberichten zufolge wurden auch der ehemalige Chefredakteur Chung Pui-kuen sowie vier ehemalige Mitglieder des Verwaltungsrats von „Stand News“, die bereits im Juni zurückgetreten waren, festgenommen – unter ihnen die Hongkonger Popsängerin Denise Ho und die Anwältin und ehemalige Abgeordnete Margaret Ng.
In einem auf der Facebook-Seite von „Stand News“ live gestreamten Video war zudem zu sehen, wie Polizisten am frühen Morgen vor der Tür des Redakteurs Ronson Chan standen. Sie teilten ihm mit, dass sie einen Durchsuchungsbefehl wegen „Verschwörung zur Veröffentlichung einer aufrührerischen Publikation“ hätten. Die Rechtsgrundlage dieser Vorwürfe stammt noch aus der Zeit, als Hongkong eine britische Kolonie war.
Chan, der auch Vorsitzender der Hongkonger Journalistenvereinigung ist, wurde nicht festgenommen. Nach seinen Angaben beschlagnahmten die Polizisten aber Computer und andere elektronische Ausrüstung.
„Stand News“ wurde 2014 als gemeinnütziges Online-Nachrichtenmedium gegründet. International bekannt wurde 2019 die Live-Übertragung von einem brutalen Angriff maskierter Schläger auf pro-demokratische Demonstranten in einer U-Bahn-Station. Die „Stand News“-Reporterin filmte damals auch noch den Angriff auf sie selbst.
Ein offener Angriff auf die Pressefreiheit
Die Hongkonger Behörden hatten „Stand News“ wiederholt unter Druck gesetzt. So beschuldigte der Chef der Sicherheitsbehörden, Chris Tang, das Online-Medium kürzlich, „voreingenommene, verleumderische und dämonisierende“ Berichte über die Haftbedingungen in Hongkong zu veröffentlichen.
Das Online-Medium bedankte sich am Mittwoch bei seinen Lesern für ihre Treue. „Stand News“ sei gegründet worden, um „in Hongkong Stellung zu beziehen“, hieß es in der Erklärung. Es sei stets „redaktionell unabhängig“ geblieben und habe sich „dem Schutz der Grundwerte Hongkongs wie Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit verschrieben“.
Das Komitee zum Schutz von Journalisten in Hongkong bezeichnete die Razzia als „offenen Angriff auf die ohnehin schon zerrüttete Pressefreiheit in Hongkong“. Der im Exil lebende Demokratie-Aktivist Nathan Law erklärte auf Twitter, das Vorgehen der Behörden sei ein Beispiel für die Verfolgung von Journalisten und Medien in Hongkong, die „es wagen, die Wahrheit zu sagen“.
Massenproteste gegen den wachsenden Einfluss Pekings
Seit den monatelangen Massenprotesten gegen den wachsenden Einfluss Pekings im Jahr 2019 gehen die Behörden mit zunehmender Härte gegen Kritiker in der Sonderverwaltungszone vor. Im Juli 2020 trat das sogenannte Sicherheitsgesetz in Kraft.
Es erlaubt den Behörden ein drakonisches Vorgehen gegen alle Aktivitäten, die nach ihrer Auffassung die nationale Sicherheit Chinas bedrohen. Dazu gehören alle Aktivitäten, die China als Aufrufe zur Abspaltung, Subversion, geheime Absprachen mit ausländischen Kräften und Terrorismus betrachtet.
Bereits im Juni musste die pro-demokratische Zeitung „Apple Daily“ ihren Betrieb einstellen, nachdem ihr Vermögen eingefroren und ihre leitenden Angestellten verhaftet worden waren. Der 74-jährige Eigentümer und Demokratie-Aktivist Jimmy Lai sitzt inzwischen im Gefängnis. (afp/dl)
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