Heute kann der Jangtse-Delfin, Lipodes vexillifer, nur noch auf Fotografien gesehen werden. Oder in Museen, wenn die erhalten gebliebenen Skelette dort ausgestellt werden. Der Delfin, den die Chinesen Baiji nennen, wird fortleben in den vielen Gedichten, die durch ihn inspiriert wurden. Und das charismatische, durchschnittlich 100 Kilogramm schwere und 2,5 Meter lange Wesen, das Chinas größten Fluss mit seinen unzähligen Seitenarmen auf 6.380 Kilometer beherrschte und sein einzigartiges Quieken von sich gab, wird nunmehr ins Reich der Mythen und Legenden übergehen.
Er ist nicht mit der gleichen Sehkraft ausgestattet wie sein Artverwandter im Amazonas. Über Jahrtausende in einem Fluss, der sehr viel Schlamm mitführt, verkümmerten die Augen, während sich das Sonar, die akustische Hilfseinrichtung aller Zahnwale, mehr und mehr verfeinerte und ihn sicher durch die turbulenten Wasser des Jangtse navigierte. Zudem entwickelte er ein komplexes Sozialsystem dergestalt, dass jeder Delfin eine eigene Silbe besaß, nämlich seinen eigenen Namen.
Neben der Umweltverschmutzung, der schwindenden Nahrungsversorgung und vermutlich auch den Propellerunfällen wird darüber spekuliert, ob etwa Motorgeräusche von Booten für Konfusion bei den Delfinen gesorgt und einzelne Exemplare von der Gruppe getrennt haben. Das elektrische Fischen und die Mehrfachhaken sollen ebenfalls dem Langzeit-Bewohner des Jangtse geschadet haben.
Geschichtlichen Aufzeichnungen aus der Han-Dynastie (202 v. Chr. bis 220 n. Chr.) beschreiben die Population des Jangtse-Delfins als umfangreich und vital. Jahrhunderte später, im Jahr 1979, wurde das Tier auf die Liste der bedrohten Arten gesetzt. Anfang der 1990er-Jahre war die Population bereits auf 200 geschrumpft. Der Bau des Drei-Schluchten-Staudamms 1994 und die damit einhergehende verstärkte Belastung des Wassers dezimierten den Bestand rasch weiter.
1998 wurde die Gesamtzahl auf sieben Exemplare geschätzt. Als 2003 das Füllen des Stausees begann, schien es den weißen Delfin nicht mehr zu geben. Es wurden nur wenige Sichtungen aus unsicheren Quellen gemeldet.
Nach einer Forschungssuche nach dem Jangtse-Delfin im November, Dezember 2006 stand man vor erschütternden Resultaten. Sechs Wochen hatte man den Jangtse mit modernstem Equipment abgesucht, einschließlich Kameras und Unterwassermikrophonen, aber die einst so fröhlichen Klänge waren verstummt. Der Baiji hatte die Welt verlassen.
Die traurige Geschichte des Baiji erteilt dem modernen Menschen eine wichtige Lektion. Aktuell wird der Jangtse Zeuge vom Aussterben des chinesischen Alligators (Alligator sinensis), sowie des chinesischen Löffelstörs (Polyodon spytula), der wie der Jangtse-Delfin seit mehreren Millionen Jahren in chinesischen Gewässern lebt. Und genauso glauben Umweltschützer, dass wiederum zu wenig unternommen wird, diese bedrohten Arten zu erhalten. Viele befürchten, dass dem China-Alligator, gemeinsam mit anderen Spezies, die in dem verseuchten Wasser des Jangtse leben, vielleicht bald das gleiche Schicksal ereilen wird wie dem chinesischen Delfin.