Fall Rebecca – Jurist kritisiert Vorverurteilung von Florian R.: „Unschuldsvermutung und Grundrechte verletzt“

Die Ermittlungsarbeit der Behörden im Fall der verschwundenen Rebecca (15) aus Berlin ist bislang ausnehmend transparent und offen. Was die Medien freut, ängstigt Juristen wie Professor Volker Boehme-Neßler: Er meint, der tatverdächtige Florian R. werde an den Pranger gestellt.
Von 8. März 2019

Der Rechts- und Politikwissenschaftler an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg Volker Boehme-Neßler hat scharfe Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Polizei im Fall Rebecca geübt. In der „Welt“ kritisiert er, dass die bisherige Herangehensweise den tatverdächtigen Schwager Florian R. in seinem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht der Unschuldsvermutung und weiteren Grundrechten verletzt habe.

Er nimmt insbesondere Anstoß, dass die Polizei mittlerweile offiziell zwei Fotos des Tatverdächtigen veröffentlicht habe. Zudem hätten Insider die Medien während der laufenden Ermittlung wiederholt „inoffiziell“ mit Informationen versorgt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen wären.

Auch, dass ein so aktueller Fall wie der des 15-jährigen Mädchens aus Berlin in der Sendung „Aktenzeichen XY“ dargestellt werde, die sich üblicherweise mit sogenannten Cold Cases befasst, sei ungewöhnlich.

Für die Öffentlichkeit, die ein solcher Fall beunruhigt, in dem mutmaßlich mitten aus dem Alltag heraus ein schweres Verbrechen begangen wird, ist die zeitnahe Versorgung mit Ermittlungsergebnissenvon hohem Interesse. Im Fall Rebecca, der in vielen bizarren Details an ein Drehbuch zu einer Ermittlersoap erinnert, ist die Informationspolitik der Ermittlungsbehörden bislang offen, transparent und schnell.

Veröffentlichung von Fotos hat Florian R. dauerhaft gebrandmarkt

Boehme-Neßler meint jedoch, dass die Polizei das Interesse eines noch nicht verurteilten und auch noch nicht angeklagten Tatverdächtigen, nicht einer sensationsgierigen Öffentlichkeit als wahrscheinlicher Täter präsentiert zu werden, vernachlässigt:

Im Rechtsstaat muss jeder so lange als unschuldig angesehen werden, bis er von einem Gericht rechtskräftig verurteilt worden ist. Tut die Berliner Polizei das denn nicht? Zwar spricht sie offiziell vom tatverdächtigen Schwager. Im Gesamtbild geben die Informationen, die die Polizei verbreitet, aber ein ganz anderes Bild. Es wird sehr klar, dass die Polizei den Schwager des verschwundenen Mädchens für den Mörder hält, den sie in Kürze überführt.“

Insbesondere die Veröffentlichung der beiden Fotos habe dieses Grundrecht des Tatverdächtigen in eklatanter Weise verletzt. Gemäß der Erfahrung, die sich mit dem Satz „Das Internet vergisst nichts“ umschreiben lässt, ist Florian R. dauerhaft gebrandmarkt. Er könne nun immer wiedererkannt werden als der Schwager, der unter Mordverdacht stand. Selbst wenn sich seine Unschuld herausstellen sollte – und der Vater des Mädchens machte auf RTL jüngst kryptische Andeutungen über mögliche anderweitige Zusammenhänge –, bleibe „immer etwas hängen“.

„Die Unschuldsvermutung schützt alle Bürger. Jeder, auch ein Unschuldiger, kann schnell in Verdacht geraten“, erklärt Boehme-Neßler. „Ob an einem Verdacht wirklich etwas dran ist, wird in einem akribischen und rechtsstaatlichen Verfahren geklärt. Die Richter drehen buchstäblich jeden Stein um und suchen nach der Wahrheit. Erst wenn das Gericht in letzter Instanz keinen Zweifel mehr an der Schuld hat, endet die Unschuldsvermutung. Mit ihrer aktuellen Pressearbeit im Fall Rebecca tritt die Polizei die Unschuldsvermutung mit den Füßen. Sie stellt den Schwager des verschwundenen Mädchens an den Pranger.“

Offensive Informationspolitik in Zeiten politischer Spannungen gefährlich

Im Zusammenhang mit einem schweren Verbrechen, das der allgemeinen Kriminalität zuzuordnen ist, dürfte eine Mehrheit der Bürger klar auf dem Standpunkt stehen, dass das Informationsbedürfnis einer um ihre Sicherheit besorgten Öffentlichkeit gegenüber Interessen des Tatverdächtigen überwiegen könnte. In Zeiten ausgeprägter politischer Spannungen – Stichwort „hybrider Bürgerkrieg“ – steigt jedoch zwangsläufig auch die Gefahr, dass ein Zusammenspiel zwischen Behörden und Medien auch zum Instrument gegen politisch missliebige Personen werden kann. In der DDR beinhaltete beispielsweise die Zersetzungsrichtlinie des MfS auch die öffentliche Beschuldigung unbescholtener Bürger mit Straftaten in ihrem Maßnahmenkatalog zur Einschüchterung Oppositioneller.

Im vorliegenden Fall hatten Widersprüche in seinen Angaben dahingehend, wann er das Mädchen am Tag seines Verschwindens geweckt haben will, und eine aufgefundene Fleecedecke, die zum selben Zeitpunkt verschwunden wäre wie Rebecca, einen ersten Verdacht auf Florian R. gelenkt. Er wurde jedoch Ende letzter Woche (1.3.) wieder auf freien Fuß gesetzt, weil diese Indizien noch nicht für einen dringenden Tatverdacht ausreichten.

Wenige Tage später wurde R. neuerlich inhaftiert und diesmal verhängte das zuständige Gericht über ihn die Untersuchungshaft, weil weitere Indizien mittlerweile ausreichten, um von einem dringenden Tatverdacht auszugehen.

Kesy-Daten bleiben stärkstes Verdachtsmoment

So wurden laut „Bild“ im Kofferraum des Autos, das Florian R. nutzte, Haare des Mädchens ebenso wie Fasern der Fleecedecke gefunden. Zwar wendet der Vater ein, dass die Spuren auch von einem Spiel Rebeccas mit ihrer Nichte im Auto am Tag vor ihrem Verschwinden stammen könnten.

Dazu kam allerdings, dass am 18. Februar, dem Tag des Verschwindens der 15-Jährigen, und am darauffolgenden Tag das Kesy-Erfassungssystem der brandenburgischen Polizei das Nummernschild des himbeerroten Pkws der Marke Renault Twingo auf der Autobahn Berlin-Frankfurt/Oder erfasst haben soll.

Auf der A12 zwischen Berlin und Frankfurt/Oder ist das Kennzeichen laut „Tagesspiegel“ am Montag um 10.47 Uhr vom automatischen Kennzeichenerfassungssystem registriert worden. Am Dienstag dann wurde der Wagen um 22.39 Uhr erneut erfasst. „Nach bisherigem Ermittlungsstand hatte zu diesen Zeiten ausschließlich Rebeccas Schwager Zugriff auf diesen Pkw“, erklärte die Staatsanwaltschaft. Eine Erklärung dazu konnte er bis dato noch nicht liefern.

Eine siebenstündige Suchaktion der Polizei am Donnerstag (7.3.) in einem Wald nahe dem an der Strecke gelegenen Storkow blieb ergebnislos.



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