Preisbremsen bewirken keinen Impuls für den Konsum – Paritätischer: Für Arme zu spät

Der Bundestag hat die Preisbremsen für Gas und Strom auf den Weg gebracht. Kritiker sehen darin nur Oberflächenkosmetik. Deutschland werde trotzdem ärmer.
Der Bundestag debattiert heute über die Preisbremsen für Erdgas, Wärme und Strom.
Der Bundestag beschloss am Donnerstag die Preisbremsen für Erdgas, Wärme und Strom.Foto: Philipp von Ditfurth/dpa
Von 15. Dezember 2022

Am Donnerstag, 15. Dezember, machte der Bundestag den Weg frei für die seit Längerem angekündigten Preisbremsen für Strom und Gas. Mit dem Paket, das auch unter Bezeichnungen wie „Abwehrschirm“ oder „Doppelwumms“ bekannt ist, will die Ampelkoalition Verbraucher angesichts der explodierenden Energiepreise entlasten. Um die Maßnahmen zu finanzieren, hat die Koalition einen Krisenfonds von 200 Milliarden Euro eingerichtet.

Beruhigung an den Märkten nur vorübergehend?

Die Ankündigung staatlicher Hilfsprogramme und Nachrichten über ausreichend befüllte Gasspeicher für den aktuellen Winter haben vorübergehend die Ruhe an die Märkte zurückgebracht. Auch den Protesten gegen Preisexplosion und Russlandsanktionen in deutschen Städten haben die Preisbremsen den Wind aus den Segeln genommen.

Dennoch bleiben kritische Stimmen, die befürchten, dass die Kosten der Maßnahmen in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen könnten. Stattdessen könnten sie sich als Oberflächenkosmetik erweisen und die Bürger in falscher Sicherheit wiegen. Viele grundsätzliche Fragen zur sicheren und bezahlbaren Energieversorgung in Deutschland bleiben unbeantwortet.

Die Preisbremsen sollen einen gewissen Grundverbrauch von Gas und Strom subventionieren. Ab März sollen die Maßnahmen gelten, allerdings sollen sie dann zum Jahresbeginn 2023 zurückwirken.

Gerade ärmere Menschen haben energieintensive Altgeräte

Dies kritisiert beispielsweise der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. „Die Hilfen greifen erst ab März, wenn der Schnee schon fast geschmolzen ist“, gibt er zu bedenken. Zudem seien die Deckelungen von 70 beziehungsweise 80 Prozent „fernab jeder Realität“.

Während sich bei Beziehern mittlerer und höherer Einkommen ein spürbarer Effekt einstellen würde, sei dieser gerade bei ärmeren Menschen und Rentnern nicht zu erwarten. Dies liege auch an den Wohn- und Lebensbedingungen, so Schneider:

Wer etwa einen alten stromintensiven Kühlschrank hat oder in einem schlecht isolierten Haus wohnen muss, wird trotzdem eine dicke Rechnung haben und schlimmstenfalls mitten im Winter eine Strom- oder Gassperre fürchten müssen.“

Namens des Paritätischen erneuerte Schneider deshalb die auch von anderen Verbänden erhobene Forderung nach einem Verbot von Heiz- und Stromsperren im Winter.

Versorgungsfrage wird schon bald wieder virulent

Auch wenn das Gas für diesen Winter – vorbehaltlich weiterer extremer Kältewellen wie der derzeitigen – ausreichen dürfte, stellt sich bereits die Frage der Versorgung im Winter 2023/24. In diesem Jahr war immerhin über ein halbes Jahr seit Beginn des Ukraine-Krieges Gas aus Russland geflossen. Im nächsten Jahr muss Deutschland diese Menge aus teureren Quellen ersetzen.

Dazu gibt es auch keinen Spielraum mehr für eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke. Derzeit steuern diese und reaktivierte Kohlekraftwerke sowie Stromimporte den Löwenanteil zur deutschen Stromversorgung bei. Trotzdem stehen jetzt schon sogenannte Brownouts zur Debatte – also kontrollierte temporäre Stromabschaltungen in bestimmten Gebieten. Die aus erneuerbaren Energieträgern gewonnenen Strommengen reichen nach wie vor nicht aus, um den Bedarf zu decken.

Die daraus abgeleitete Aussicht, dass schon im nächsten Jahr eine Neuauflage der Preissteigerungen im Bereich der Energie drohen könnte, lässt Verbraucher ihre Ausgaben zurückhalten. Dies bestätigt auch der Konsummonitor des Einzelhandelsverbandes HDE.

Aus für Spontan- und Impulskäufe fördert Konsumflaute

Trotz der Preisbremsen fährt ein Drittel der im Zuge der Studienerstellung befragten Konsumenten mit der Beschränkung vom Ausgaben. Diese Entscheidung betrifft alle Bereiche außerhalb des Kaufs von Lebensmitteln und Energieprodukten – die sich als primäre Inflationstreiber zeigen. Diese liegt jetzt schon bei etwa zehn Prozent. Die Folge ist jedoch eine anhaltende Konsumflaute.

Vier von zehn Verbraucherinnen und Verbrauchern greifen seltener zu Markenartikeln, knapp die Hälfte (49 Prozent) reduziert generell die Ausgaben für Nicht-Lebensmittel. Zudem wird mehr auf Angebote geachtet und die Mengen werden reduziert. HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth sieht einen gefestigten Trend:

Es wird überlegter eingekauft, Spontan- und Impulskäufe verlieren an Bedeutung.“

Einer INSA-Umfrage für „Bild“ zufolge wollen 23 Prozent der Befragten in diesem Jahr auf den Kauf von Weihnachtsgeschenken verzichten. Weniger als die Hälfte der repräsentativ befragten Bürger erklären, den Kauf von Geschenken aus dem laufenden Einkommen bestreiten zu können. Auf Ersparnisse zurückgreifen müssen dafür 22 Prozent, Schulden machen drei Prozent.

Trotz der Preisbremsen geben um sechs Prozentpunkte mehr an Befragten als im Mai an, Angst zu haben, mit dem eigenen Geld nicht auszukommen. Insgesamt sind das ein Drittel der 1.000 im Oktober befragten Verbraucher. Vor allem unter den Alleinerziehenden befürchten 57 Prozent, ihr Geld könnte nicht reichen.

Preisbremsen erzeugen keine Aufbruchsstimmung

In Deutschland rechnen zudem 96 Prozent der von INSA Befragten damit, dass die Spitze der Preisanstiege noch nicht erreicht sei – vor allem nicht bei Energie, Kraftstoffen und Lebensmitteln. Auch das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Preisbremsen keine grundsätzliche Aufhellung der Stimmung in Haushalten und Unternehmen bewirken.

Als möglicher Strohhalm, um die Stromversorgung sicher und bezahlbar zu halten, galt bis zuletzt die Kernkraft. Nach einem Koalitionsstreit zwischen FDP und Grünen machte Bundeskanzler Olaf Scholz von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Er verfügte eine dreimonatige Laufzeitverlängerung der drei noch am Netz befindlichen KKW in Deutschland, aber ohne Brennstäbe zu erneuern. Genau diese Brennelemente hätte es jedoch gebraucht, um etwaige weitere Verlängerungen zumindest theoretisch möglich zu erhalten.

Nun macht EnBW deutlich, dass die Möglichkeit einer weiteren Laufzeitverlängerung jetzt nicht mehr zur Verfügung steht. Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte EnBW-Vorstand Georg Stamatelopoulos:

Für eine weitere Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ist es zu spät.“

EnBW: Tür für Wiedereinstieg in Kernkraft ist zu

Außerdem gebe es nicht mehr ausreichend Fachpersonal, nachdem man die Technologie mehr als zehn Jahre lang zurückgebaut habe. Stamatelopoulos macht deutlich:

Ein Atomkraftwerk ist keine Märklin-Eisenbahn, die man an- und ausschaltet und die dann immer funktioniert. Die Kernenergie ist für Deutschland einfach keine Option mehr.“

Die in der Vergangenheit getroffene grundsätzliche Ausstiegsentscheidung könne nicht kurzfristig revidiert werden. Darüber hinaus habe EnBW nicht einmal mehr einen Gewinn aus einer Verlängerung.

Dass das Kraftwerk jetzt bis April weiterlaufe, koste EnBW einen zweistelligen Millionenbetrag, die Verschiebung des Rückbaus möglicherweise einen bis zu dreistelligen. Immerhin sei die Lage beim Gas Anlass zur Erleichterung. Den Modellrechnungen zufolge reichte dieses in den eigenen Speichern noch bis März.

Trotzdem müsse man weiter diszipliniert beim Gasverbrauch sein – und es dürfe „nichts dazwischenkommen“. Da in Frankreich derzeit nach wie vor 15 KKW nicht in Betrieb seien, bleibe die Situation beim Strom „brisant“.

Verbände für erneuerbare Energien sehen sich als Opfer der Preisbremsen

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verteidigte die Preisbremsen unterdessen gegen Kritik aus den Verbänden für erneuerbare Energien. Diese gehören zu den Verlierern des Projekts, weil bei ihnen besonders viele sogenannte „Zufallsgewinne“ zur Finanzierung der Strompreisbremse abgeschöpft werden.

Das Vorgehen sei erforderlich, so Kühnert im ZDF-„Morgenmagazin“. Selbst mit den Preisbremsen bewegten sich die Preise für Strom und Gas auf das Doppelte im Vergleich zur Zeit vor der Krise zu. Für viele werde das schwer.

„Deswegen müssen auch die Branchen einen Beitrag leisten“, fügte er hinzu. Die erneuerbaren Energien würden an anderer Stelle gefördert. Für das kommende Jahr kündigte er ein Entlastungspaket an, um Genehmigungen für erneuerbare Energien weniger bürokratisch werden zu lassen.

Die Regierung habe in den vergangenen Wochen Hinweise aus der Branche bekommen, wo mögliche Ungerechtigkeiten schlummern könnten und habe nachgesteuert. Kühnert beteuert:

Wir haben nicht blind reagiert.“

(Mit Material von AFP und dts)



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