Deutschland zu unattraktiv für Hochqualifizierte aus dem Ausland

Deutschland ist für ausländische Akademiker und Unternehmer wenig attraktiv. Hohe Steuern, schleppende Digitalisierung und Bürokratie lassen unser Land im Kampf um Fachkräfte aus dem Ausland zurückfallen. Einzig bei Studenten kann die Bundesrepublik punkten.
Bundeskanzler Scholz besichtigt das Unternehmen Sun Mobility im indischen Silicon Valley Bengaluru.
Bundeskanzler Scholz besichtigte auf seiner Indienreise das Unternehmen Sun Mobility im indischen Silicon Valley Bengaluru. Die Standortbedingungen in anderen Ländern sind oft besser als in Deutschland.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 14. März 2023

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Auf Twitter ging Anfang Februar ein Video viral, das viel über die Attraktivität Deutschlands für Fachkräfte aus dem Ausland aussagt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hält in Ghanas Hauptstadt Accra in einem Hörsaal einer Hochschule vor Studenten eine Rede. Der Saal ist nicht besonders gut besetzt. Lindner möchte für den Wirtschaftsstandort Deutschland werben.

Auf Englisch zählt der FDP-Politiker die Bereiche auf, in denen händeringend Fachkräfte gesucht werden. Man könne in der Industrie arbeiten, in der IT oder im öffentlichen Dienst. Dann fragt der Finanzminister: „Bitte heben Sie Ihre Hand: Für wen wäre das eine Option?“ Kurze Stille, keine Hand geht hoch. Nach einem verlegenen „Okay“ von Lindner gehen zögerlich ein paar Hände hoch. Christian Lindner rettet sich mit dem Witz, dass er die Telefonnummern und E-Mail-Adressen der skeptischen Freiwilligen höchstpersönlich einsammeln werde. Alle lachen. Lindner schaut sich etwas verdutzt um, dass das Interesse an Deutschland für Fachkräfte nicht sehr hoch zu sein scheint. „Nur so wenige?“, fragt er überrascht.

Für Akademiker, Unternehmer und Gründer aus dem Ausland wenig Anziehungskraft

Deutschland braucht dringend Fachkräfte aus dem Ausland. Das Land scheint aber bei Weitem nicht so beliebt bei jungen Menschen zu sein, wie die Bundesregierung sich das offensichtlich gedacht hat.

Die gerade erst veröffentlichte Neuauflage der internationalen Vergleichsstudie „OECD Indicators of Talent Attractiveness“, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung für alle 38 Industrieländer erstellt hat, unterstreicht, dass das mangelnde Interesse an Deutschland in Accra kein Einzelfall ist. Deutschland hat im internationalen Wettbewerb um Toptalente für den Arbeitsmarkt an Attraktivität eingebüßt. Für Akademiker, Unternehmer und Gründer aus dem Ausland sind andere Industrieländer weitaus interessanter. Als Kriterien für die Standortattraktivität wurden in der Studie neben Zuwanderungsbestimmungen auch Faktoren wie berufliche Chancen, Einkommen und Steuern oder die Perspektive für Familienmitglieder der Zugewanderten betrachtet.

Lag Deutschland bei der Beliebtheit von hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland im Jahr 2019 noch auf Platz 12, reichte es bei der Neuauflage der Studie nur noch für Platz 15. Die OECD-Staaten Neuseeland, Schweden, Schweiz, Australien und Norwegen sind am attraktivsten. Die Bedingungen in Deutschland haben sich zwar gegenüber 2019 nicht verschlechtert, aber andere Länder haben stark aufgeholt. Vor allem die Länder Großbritannien und Luxemburg konnten sich stark verbessern.

„Deutschland braucht zur Sicherung seines Wohlstands Fachkräfte, auch aus dem Ausland. Der internationale Vergleich zeigt deutlich, was Deutschland tun muss, um die für unser Land so wichtige Fachkräftemigration noch besser zu gestalten“, kommentiert der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Ralph Heck, die Studie.

Schleppende Digitalisierung und zu hohe Steuern

Vor allem die Versäumnisse bei der Digitalisierung werden als Hinderungsgrund bei der Entscheidung für Deutschland von den qualifizierten Fachkräften angegeben. Hinzu kommen die hohen Steuern und Abgaben, die weitere Negativpunkte bei qualifizierten Zuwanderern erhalten. Nicht wenige Akademiker aus dem Ausland werden in Deutschland unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt. Das sorgt laut der Studie ebenfalls für Skepsis bei den Menschen, die sich für einen Job in Deutschland entscheiden sollen.

Wer als Unternehmer darüber nachdenkt, im Ausland zu investieren, tut das vor allem in Schweden, der Schweiz, Kanada oder Neuseeland. Hier geht es für Deutschland im internationalen Wettbewerb noch einmal stärker in den Keller. Erreichte unser Land 2019 noch den sechsten Platz, reichte es dieses Mal nur für den 13. Platz. Auch hier ist die schleppende Digitalisierung ein ausschlaggebender Punkt und außerdem fordert Deutschland – anders als besser platzierte Länder – weiter ein Mindestkapital. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Migranten sei in Deutschland geringer ausgeprägt als in den Ländern auf den vorderen Plätzen der Studie.

Andere Länder seien hier weiter, was die Einbürgerung von Zuwanderern angeht. Die von der Bundesregierung geplante doppelte Staatsbürgerschaft könnte nach Ansicht der Studienersteller Deutschland im Ranking wieder nach vorne bringen.

Als weiterer Hemmschuh für Unternehmer aus dem Ausland erweist sich laut OECD ein vergleichsweise strenger Kündigungsschutz, regulatorische Hindernisse oder der schleppende Ausbau des Glasfasernetzes.

Bei Start-ups kann Deutschland nicht mithalten

Erstmals wurde in der OECD-Studie ein Blick auf die Rahmenbedingungen für Start-ups in den Industrieländern geworfen. Deutschland kann auch hier nicht mithalten. Kanada, die USA, Frankreich, Großbritannien und Irland haben hier die Nase vorn.

Das größte Problem, das die Befragten sehen, ist, dass Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern kein eigenes Start-up-Visum anbietet. Auch hier erweist sich die Praxis von Gründern eine Mindestsumme zu verlangen, die investiert werden muss, als hinderlich. Das wirkt sich ebenso negativ auf die Standortqualität aus wie das vergleichsweise geringe Angebot von Coworking-Spaces oder hohe Hürden der Regulierung.

Attraktiv für ausländische Studierende

In einem Bereich schneidet Deutschland allerdings gut ab: Bei der Attraktivität für ausländische Studenten ist Deutschland ganz vorne mit dabei. Das liegt vor allem an den vergleichsweise niedrigen Studiengebühren. Deutschland schafft es hier auf den 2. Platz – gleich hinter den USA. Im Jahr 2019 lag unser Land noch auf Platz drei. Vor allem die wachsenden Angebote an englischsprachigen Studiengängen wirken sich ebenso positiv auf das Ranking aus wie die Möglichkeiten, neben dem Studium zu arbeiten oder die guten Bleibeperspektiven nach dem Hochschulabschluss.

„Deutschland ist mittlerweile ein offenes und attraktives Land für qualifizierte Einwanderung“, so der Migrationsexperte der Bertelsmann Stiftung, Ulrich Kober. „Aber bei Visaerteilung, Digitalisierung, Einbürgerung oder im Umgang mit Vielfalt besteht Handlungsbedarf, wie der vergleichsweise geringe Zuzug von Fachkräften aus Drittstaaten und die Zurückhaltung der Unternehmen bei der Anwerbung im Ausland zeigen.“

Deutschland läuft die Zeit davon

Was die Bertelsmann-Stiftung der Politik mit der OECD-Studie ins Stammbuch schreibt, sollte diese alarmieren. Schon jetzt kommen viel zu wenig qualifizierte Zuwanderer nach Deutschland. Im Juni letzten Jahres schrieb die Tageszeitung „Welt“, dass man nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit jährlich 400.000 bis 500.000 Zuzüge bräuchte, um den Bedarf zu decken. 2021 seien es aber nur 40.000 Menschen gewesen.

Deutschland läuft die Zeit weg. So sieht es zumindest die Direktorin des Deutschen Zentrums für Integration- und Migrationsforschung, Professorin Naika Foroutan. Gegenüber der „Deutschen Welle (DW)“ macht sie deutlich, dass Deutschland Gefahr laufe, deutlich zu spät zu kommen. Nicht mehr nur Großbritannien, USA, Kanada und Australien konkurrieren weltweit um Fach- und Arbeitskräfte. „Uns entgeht vollkommen, dass Saudi-Arabien, Katar, die Emirate eine massive Anwerbekampagne machen, dass die Philippinen ihre Leute nicht mehr weggeben und dass Afrika als Kontinent jetzt im Moment ganz stark versucht, seine Leute zu halten“, warnt Foroutan.

Integration ist keine Einbahnstraße

Die deutsche Gesellschaft tue sich noch immer schwer mit Veränderungen. Die Bürger müssten erkennen, dass Integration keine Einbahnstraße sei, sagt Migrationsforscherin Foroutan weiter. „Nicht wir tun etwas für die Leute, sondern die tun eigentlich etwas für uns, wenn die hier hinkommen. Das ist das, was wir jetzt in die Köpfe kriegen müssen.“

Noch deutlicher wird im gleichen Beitrag der Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft an der Universität Osnabrück, Aladin El-Mafaalani. „Bei qualifizierter Einwanderung ist der Zug nicht komplett, aber weitgehend abgefahren“, konstatiert Aladin El-Mafaalani. „Wir sind ein sehr einsprachiges Land und das Wetter ist nicht gut und wir haben wenig Strand – also wir haben krasse Nachteile und wir tun zu wenig, um diese Nachteile auszugleichen.“



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