Experten kritisieren Spahns Pflegereform – statt besser wird es schlechter

Gesundheitsminister Jens Spahn wollte mit einer Pflegereform für mehr Gerechtigkeit sorgen: Ein Flächentarifvertrag sollte deutschlandweit eine faire Entlohnung für Pflegefachkräfte sicherstellen. Davon ist jedoch kaum etwas zu spüren, sagen Experten.
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.Foto: Maja Hitij/Getty Images
Von 14. August 2021

Pflege ist ein Knochenjob. Oft arbeiten Fachkräfte im Schichtdienst, an Wochenenden und Feiertagen – die Belastung dabei ist körperlich wie psychisch enorm. Die harte Arbeit wird jedoch in der Summe lediglich mit einem mittleren bis unterdurchschnittlichen Gehalt vergütet. Ein wirklicher Anreiz, um diesen Beruf zu erlernen, scheint zu schwinden – der Fachkräftemangel wird immer größer.

Seit seinem Amtsantritt 2018 betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Probleme in der Pflege von Grund auf angehen zu wollen. So wollte er mit einer Pflegereform für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Pflegerinnen und Pfleger sorgen, aber auch Pflegebedürftige sollten finanziell etwas entlastet werden.

„Ich freue mich, vor allem in der Altenpflege zu einer besseren Bezahlung zu kommen“, sagte Spahn Anfang Juni. Er sprach von einem „beachtlichen Reformpaket“, für das es auch eine „saubere Gegenfinanzierung“ gebe.

Vorgesehen waren ein Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro jährlich für die Pflegekassen sowie eine Anhebung des Pflegebeitrags für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkte, was etwa 400 Millionen Euro ausmachen sollte.

Tatsächlich kam es zu einem deutlichen Anstieg des Mindestlohns für Pflegekräfte. Von Spahns Pflegereform und seinem Versprechen sei kaum etwas zu spüren, sagen Experten. Sie warnen sogar, dass die Belastungen für Pflegebedürftige in Altersheimen steigen würden.

Große Gehaltsunterschiede 

Gehaltsunterschiede in der Pflege sind seit langem bekannt. Die Entlohnung für Altenpfleger in Sachsen-Anhalt gilt mit 2.532 Euro brutto als am niedrigsten. Im Vergleich dazu verdient eine Fachkraft im Rheinland-Pfalz und Bayern mehr als 3.000 Euro, in Baden-Württemberg sogar 3.326 Euro. Dies sind verglichen zu Sachsen-Anhalt etwa 800 Euro mehr.

Das Problem liege hauptsächlich darin, dass die Hälfte der 1,2 Millionen Pfleger und Pflegerinnen in Deutschland nicht nach Tarif bezahlt werde, wird in einer Sendung von „plusminus“ berichtet.

Das neue Pflegegesetz, das jetzt kurz vor der Wahl verabschiedet wurde, sollte genau dieses Problem in Angriff nehmen. Mit einem verbindlichen Flächentarifvertrag sollte beginnend im September 2022 für faire Löhne in ganz Deutschland gesorgt werden. Im neuen Pflegegesetz sei davon jedoch keine Rede mehr.

Das zuständige Bundesgesundheitsministerium kündigt auf seiner Seite an: „Die Altenpflege wird besser bezahlt und der Beruf attraktiver. Denn ab September 2022 werden nur noch solche Pflegeeinrichtungen zugelassen, die ihr Personal nach Tarif bezahlen.“

Experte: „Das Gesetz ist eine Mogelpackung“

Markus Schlimbach, Vorsitzender vom Deutschen Gewerkschaftsbund Sachsen, zufolge sei das Gesetz eine Mogelpackung, die die Hoffnung auf eine flächendeckende Lohnerhöhung enttäusche.

„Es ist nur vorgeschrieben, dass man einen Tarifvertrag anwendet, aber nicht einen allgemein verbindlichen, nicht einen Flächentarifvertrag. Jeder Betreiber kann sich nun selbst raussuchen, mit wem er verhandeln will und was er als Tarifvertrag anerkennt. Damit wird kein Standard geschaffen. Im Gegenteil, Dumpingtarifverträge können das Niveau sogar nach unten ziehen“, äußert der Gewerkschafter.

Dem Gesundheitswissenschaftler Prof. Stefan Sell zufolge würde das Gesetz die Lohnunterschiede nicht ausgleichen, sondern sogar noch festigen:

„Weil wir in vielen Regionen unseres Landes bisher tariflose Zonen haben, wo Arbeitgeber dominieren, die bisher außerhalb jeder Tarifbindung gearbeitet haben und sie jetzt eben gerade nicht gezwungen werden, einen ordentlichen Tarifvertrag verbindlich anwenden zu müssen. Sondern sie können sich flüchten in scheinbare Tarife. Aber die Tarife sind so schlecht, dass es keine deutliche Verbesserung geben wird.“

Versprechen Nummer zwei: Entlastungszuschläge für Pflegebedürftige

Ein weiteres dringendes Problem in der Altenpflege stellen die stetig steigenden Zuzahlungen dar, die die Pflegebedürftigen betrifft. Heimbewohner müssen monatlich durchschnittlich 2.125 Euro für ihren Platz im Heim bezahlen (mit regionalen Unterschieden) – und das oftmals nur mit einer minimalen Rente.

Mit der Reform wollte Spahn auch dieses Problem in Angriff nehmen. „Mein Vorschlag ist, für maximal 36 Monate 700 Euro pro Monat für die Pflege in der stationären Einrichtung aufwenden zu müssen. Das ist immer noch viel“, formulierte Spahn sein Ziel zur Entlastung der Pflegeheimbewohner im Oktober 2020.

Auch davon ist im neuen Gesetz nicht mehr die Rede. Statt einer angekündigten Deckelung von 700 Euro kommt jetzt nur ein prozentualer Zuschlag zum pflegebedingten Eigenanteil: Im ersten Jahr sind es fünf Prozent, im zweiten Jahr 25, im dritten Jahr 45 Prozent. 70 Prozent sind es ab vier Jahren, allerdings erleben viele Heimbewohner das oft nicht mehr.



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