Countdown zum Paukenschlag? AfD-Kandidat könnte Stichwahl in Sonneberg gewinnen

Die Spannung in Sonneberg steigt: Am kommenden Sonntag könnten die Wahlberechtigten in dem südthüringischen Landkreis zum ersten Mal überhaupt einem AfD-Parteimitglied offiziell die politische Verantwortung eines Landrats in Deutschland anvertrauen.

Robert Sesselmann (50), der Kandidat der Alternative für Deutschland, hatte den ersten Wahldurchgang am Sonntag vor acht Tagen mit 46,7 Prozent klar gewonnen. Rund 800 Stimmen mehr – und er wäre bereits Wahlsieger. Mit elf Prozentpunkten Abstand dahinter qualifizierte sich der bisherige Amtsinhaber Jürgen Köpper (57) als Kandidat der CDU für das entscheidende Duell.

„Nächsten Sonntag geht es um alles“

Seit elf Tagen also läuft der Wahlkampf vor Ort. Und der wird offensichtlich mit viel Engagement geführt. „Nächsten Sonntag geht es um alles“, sagte etwa Beate Meißner (41, CDU), die Sonneberg als direkt gewählte Abgeordnete im Erfurter Landtag vertritt. „Wir haben das Gefühl, dass wir so ein bisschen den Kampf der Nation führen.“ Nach einem Artikel der Zeitung „Welt“ betreut die Juristin zurzeit 25 Christdemokraten, die ihren Parteikollegen Köpper im Wahlkampf unterstützen.

Ob es einer von Meißners Schützlingen war, der am vergangenen Montag mit Sesselmann persönlich aneinander geraten sein soll, ist derzeit nicht bekannt.

„Wortgefecht“ wegen „Plakatverdrehung“

Nach einem Bericht des „Spiegel“ soll es am Montag, 19. Juni, auf einer Straße in Sonneberg ein „Wortgefecht“ zwischen Sesselmann und einem CDU-Plakatkleber gegeben haben. Angeblich habe Sesselmann den Konkurrenzwahlkämpfer „verbal bedroht“, weil dieser sich an einem AfD-Plakat zu schaffen gemacht haben könnte. Sesselmann soll gesagt haben, er wisse, wo sein Gegenüber wohne und werde ihm jemanden „auf den Hals hetzen“.

Der AfD-Gebietsverband Sonneberg stellte den Sachverhalt gegenüber dem „Spiegel“ anders dar: Sesselmann habe „aus seinem Fahrzeug heraus“ einen Plakatierer beobachtet, der Plakate der AfD „verdreht und unleserlich gemacht“ habe. Daraufhin habe Sesselmann den Mann auf „zivilrechtliche Konsequenzen “ aufmerksam gemacht und ihn aufgefordert, die „Plakatverdrehung“ künftig zu unterlassen. Nach Angaben der Landespolizeiinspektion Saalfeld ermittele nun der „polizeiliche Staatsschutz“, der Kreiswahlleiter sei informiert.

CDU: „Verlässlichkeit statt Experimente“

Im Wahlkampf greift der CDU Kreisverband (Facebook) auf einen alten Adenauer-Slogan zurück, verspricht „Verlässlichkeit statt Experimente“. Denn immerhin führt Kandidat Köpper das Landratsamt bereits seit 2021 – als Ersatzmann für den aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig ausgeschiedenen und im März 2023 offiziell in den Ruhestand versetzten Landrat Hans-Peter Schmitz (parteilos). Wegen Schmitz‘ Ausfall muss nun schon dieses Jahr ein Nachfolger gewählt werden – und nicht erst 2024, wie ursprünglich geplant.

 

Jürgen Köpper will Landrat bleiben: Der CDU-Kandidat und Amtsinhaber im südthüringischen Kreis Sonneberg holte beim ersten Wahldurchgang 35,7 Prozent der Stimmen. Foto: Bildschirmfoto/Facebook/CDUKreisverbandSonneberg

 

Die größte Angst der CDU vor Ort besteht offensichtlich darin, dass die Wähler wegen der aktuellen Ampelpolitik oder wegen der Ära Merkel einer neuen Kraft ihr Vertrauen im Regionalen schenken könnten: „Es geht nicht um Berlin. Es geht um unseren Wahlkreis. Es geht um unsere Heimat!“, lautet folgerichtig die Klarstellung des Kreisverbands.

Köpper persönlich ist nach einem Bericht des „Mitteldeutschen Rundfunks“ (MDR) täglich von Haus zu Haus unterwegs. Bewusst wolle er keine „Politprominenz“ der CDU an seiner Seite haben: „Das wäre eher kontraproduktiv“, zitiert der MDR Köpper.

AfD: „Gestalten statt Verwalten!“

Anders der AfD-Gebietsverband Sonneberg: Für den Wahlkampf setzt der Verband auf Facebook auch auf die Strahlkraft von Alice Weidel. „Schreiben Sie Geschichte und wählen Robert Sesselmann, den ersten AfD-Landrat!“, empfiehlt die prominente Co-Bundessprecherin. Für Sesselmanns Plakatkampagne wählte der Gebietsverband laut MDR den schlichten Slogan „Gestalten statt Verwalten!“.

Die Pro-Sesselmann-Botschaften auf den Werbeflyern drehen sich nach Recherchen des MDR hauptsächlich um Friedensverhandlungen mit Russland oder um die Abschaffung des Euro, von EU-Gesetzen und Rundfunkgebühren. Also weniger um kommunalpolitische Themen. Nach Informationen der „Tagesschau“ aber ist auch der Schuldenabbau ein wichtiges Anliegen Sesselmanns.

„Verdachtsfall“ AfD

Würde tatsächlich der favorisierte AfD-Kandidat Sesselmann gewinnen, käme das einem politischen Paukenschlag gleich, der auch bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen dürfte: Seit der Gründung der „Alternative für Deutschland“ im Jahr 2013 wurden und werden die Oppositionspartei, ihre Mitglieder und Anhänger von den Konkurrenzparteien und dem weitaus größten Teil der Medien wahlweise als „rechtspopulistisch“, „rechtsextrem“ oder „rechtsradikal“ dargestellt.

Für das Bundesamt für Verfassungsschutz gilt die Partei seit Mai 2021 als „Verdachtsfall“, der Landesverband Thüringen als „gesichert rechtsextrem“.

Bei AfD-Sieg „strategische Diskussionen“ zu erwarten

Falls nun dennoch ein AfD-Mann in Deutschland in politische Verantwortung komme, würde dies nach Auffassung des Politologen André Brodocz ein Signal bedeuten: Eine Stimme für die „Alternative“ wäre dann „keine vergebene Stimme mehr“, sagte Brodocz im Interview mit dem „Tagesspiegel“. Dies würde die „strategischen Diskussionen“ innerhalb der AfD wohl befeuern:

Sind sie überhaupt auf Koalitionen mit der Union angewiesen und müssen sich hier annähern und mäßigen? Oder profitieren sie mehr von einer noch schärferen Abgrenzung, um langfristig alleine Mehrheiten zu gewinnen?“

Brodocz geht davon aus, dass ein AfD-Mann als gewählter Landrat auch Folgen für den „Brandmauer“-Beschluss der CDU haben könnte: „Mit einem AfD-Sieg in Sonneberg wird die Partei die Debatte, wie der künftige Umgang mit der AfD aussieht, sicher intensiver führen.“ Immerhin habe sich mit Michael Brychcy, dem Präsidenten des Thüringer Gemeinde- und Städtebunds, ein Christdemokrat bereits für Gespräche mit der AfD auf kommunaler Ebene ausgesprochen.

„Verunsicherung der Bevölkerung“

Der Politologe führte den bereits erreichten Achtungserfolg Sesselmanns ebenso wie den aktuellen Umfrage-Aufschwung der Gesamtpartei AfD auf die „Verunsicherung der Bevölkerung“ zurück, insbesondere auf die Klimapolitik und das Engagement der Bundesregierung im Ukraine-Krieg: „Die AfD ist in diesen beiden Punkten ein scharfer Kritiker und hat damit Erfolg. Das hat auch in Sonneberg verfangen.“

Brodocz schätze den Anteil „solider“ Stammwähler, also jener „Menschen, die sich von der Partei wirklich vertreten fühlen“, auf mittlerweile 15 Prozent. Die Differenz zu den bundesweiten Umfragewerten von derzeit etwa 20 Prozent führe er auf „Protestwählerinnen und -wähler“ zurück.

Daten zur Wahl

Die Stichwahl um das Amt des Landrats im Kreis Sonneberg findet am Sonntag, 25. Juni, statt. Der Gewinner wird für sechs Jahre gewählt.

Zur Wahl stehen der Rechtsanwalt, Landtagsabgeordnete und ehrenamtliche Kommunalpolitiker Robert Sesselmann (AfD) aus Steinach und der Landmaschinenschlosser, Fahrlehrer, Ex-Bürgermeister und hauptamtliche Kommunalpolitiker Jürgen Köpper (CDU) aus Mengersgereuth-Hämmern.

Die Wahllokale sind zwischen 8 und 18 Uhr geöffnet. Wahlberechtigt sind nach Angaben des Thüringer Landesamts für Statistik (PDF) 48.299 Personen ab einem Alter von 16 Jahren.

Hoffen auf höhere Wahlbeteiligung

Beim ersten Wahldurchgang am 11. Juni hatten mit 23.732 Menschen nur 49,1 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

Nicht nur die CDU, sondern auch Vertreter der FDP, der SPD, der Grünen und der Linken bemühen sich seither, mehr Menschen für die Wahl des CDU-Kandidaten Köpper zu bewegen – ein parteiübergreifendes Bündnis gegen die AfD.

Der thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende der AfD, Björn Höcke, hatte Sesselmann bereits am Tag nach dem ersten Wahldurchgang siegesgewiss auf Twitter gefeiert:

Mit knapp 47% hat mein Fraktionskollege Robert Sesselmann das beste AfD-Ergebnis in der ersten Runde einer Landratswahl erreichen können. Etwa 3% fehlen nun noch zum ersten AfD-Landrat. Das wollen und werden wir für #Thüringen schaffen!“

Weniger optimistisch gab sich Stefan Möller, der Co-Vorsitzende der AfD in Thüringen. Er warf Ministerpräsident Ramelow wegen dessen Stichwahl-Empfehlung pro Köpper eine „verfassungswidrige Missachtung seiner amtlichen Neutralitätspflicht“ vor. Diese gehe zulasten des AfD-Kandidaten.

AfD bundesweit im Aufwind

Erst Mitte Mai 2023 war es im brandenburgischen Oder-Spree-Kreis ebenfalls zu einer kommunalen Stichwahl um ein Landratsamt zwischen einem „Alternativen“ und einem SPD-Kandidaten gekommen. Damals aber einigten sich nur Vertreter der Grünen und Linken, ihren Anhängern eine Wahlempfehlung für den Sozialdemokraten mit auf den Weg zu geben. CDU und die Freien Wähler zogen es vor, nichts Offizielles dazu zu sagen. Dennoch trug Frank Steffen (SPD) mit 52,4 Prozent knapp den Sieg vor AfD-Bewerber Rainer Galla davon.

In den vergangenen Monaten war es für die Alternative für Deutschland (AfD) bundesweit deutlich bergauf gegangen. Nachdem die Partei lange bei ungefähr zehn bis zwölf Prozent Zustimmung gedümpelt hatte, gaben zur „Sonntagsfrage“ laut „Dawum.de“ mit Stand 20. Juni 2023 rund 19,2 Prozent der Befragten an, ihr Kreuzchen augenblicklich bei der Alternative setzen zu wollen. Ebenso viele wie bei der Kanzlerpartei SPD. Die Grünen kämen demnach nur noch auf 14,6 Prozent. Die Union wäre mit 27,2 Prozent noch immer stärkste Kraft in Deutschland.

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