Keine Revolution bei Wahlen in Argentinien: Massa als Favorit in Stichwahl gegen Milei

In Argentinien hat sich der Peronismus bei den Wahlen am Sonntag als zäh erwiesen. Minister Sergio Massa geht trotz schlechter Wirtschaftsdaten als Favorit in die Stichwahl. Ein radikaler Wandel mit Javier Milei schreckte viele Wähler ab.
Javier Milei, selbst ernannter «Anarchokapitalist» und Präsidentschaftskandidat, schwenkt eine Kettensäge mit seinem Namen auf einer Wahlkampfveranstaltung.
Javier Milei, selbst ernannter „Anarchokapitalist“ und Präsidentschaftskandidat, schwenkt eine Kettensäge mit seinem Namen auf einer Wahlkampfveranstaltung.Foto: Natacha Pisarenko/AP
Von 24. Oktober 2023

Die angekündigte Revolution bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am Sonntag, 22. Oktober, in Argentinien hat nicht stattgefunden. Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen geht der Kandidat der regierenden Peronisten, Wirtschaftsminister Sergio Massa, mit einem deutlichen Vorsprung in die Stichwahl.

Entgegen allen Umfragen kommt Massa auf 36,7 Prozent und liegt damit mehr als sechs Punkte vor dem selbst ernannten Anarchokapitalisten Javier Milei. Dieser konnte 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Auf Platz drei landete die Mitte-Rechts-Kandidatin Patricia Bullrich mit 23,8 Prozent. Bei den Vorwahlen im August hatte Milei noch deutlich voran gelegen – Massa landete demgegenüber nur auf Platz drei.

Inflation und Armut in Argentinien hoch – dennoch Angst vor Wandel

Das Ergebnis überrascht sowohl Anhänger als auch Gegner der regierenden Peronisten. Immerhin werden diese in weiten Teilen der Bevölkerung als hochgradig korrupt wahrgenommen. Die langjährige Präsidentin und heutige Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner ist dafür in erster Instanz zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Zudem hat sie das Gericht mit einer lebenslangen Ämtersperre bedacht.

Der scheidende Präsident Alberto Fernández, der als Statthalter des Kirchner-Clans galt, hatte auf eine Wiederkandidatur verzichtet. Dazu kommt die miserable Wirtschaftslage. Die Inflation hatte zuletzt fast 140 Prozent erreicht, die Armutsquote ist auf knapp 40 Prozent gestiegen. Dennoch konnte der Sieger der Vorwahlen, Javier Milei, seinen Erfolg gegen den Wirtschaftsminister nicht wiederholen.

Auch im Senat und in der Abgeordnetenkammer konnten die Peronisten deutliche relative Mehrheiten behaupten. Die von Milei gegründete Partei „La Libertad Avanza“ kann lediglich elf beziehungsweise knapp 15 Prozent der Sitze auf sich vereinen.

Vor der Wahl räumten viele Bürger ihre Bankkonten leer

Die Wahlbeteiligung war trotz Wahlpflicht mit 77,65 Prozent auf einem historisch niedrigen Niveau. Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu den größten Aktienverkäufen seit mehr als zwei Jahren. Nicht weniger als 6,6 Millionen US-Dollar zogen Anleger an einem einzigen Tag aus dem Global X MSCI Argentina ETF ab.

Lokalen Berichten zufolge räumten viele Einwohner ihre Bankkonten leer. Gleichzeitig versuchten sie, sich auf den Devisen-Schwarzmärkten mit US-Dollar einzudecken. Dennoch scheint die Aussicht auf radikale Wirtschaftsreformen, wie sie Milei in Aussicht stellte, viele Bürger in Argentinien abgeschreckt zu haben.

Milei wollte die Zentralbank abschaffen, den US-Dollar zum offiziellen Zahlungsmittel im Land machen – und er galt dem Bitcoin gegenüber als aufgeschlossen. Demgegenüber ist Minister Massa Befürworter einer digitalen Zentralbankwährung (CBDC).

Massa präsentiert sich Argentinien als „sanfter Reformer“

Am Ende scheinen viele Argentinier Massa als Kandidaten eines moderaten Wandels wahrgenommen zu haben. Er gilt innerhalb der peronistischen Partei als verhältnismäßig eigenständig. Vor allem traut man ihm mehr Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Begehrlichkeiten der Kirchner-Lobby zu als dem Amtsinhaber.

Den Versprechen radikaler Steuersenkungen, die Milei im Wahlkampf artikulierte, hatte Massa eine kleine Steuerreform zugunsten aller Beschäftigten entgegengesetzt. Die weitreichende Privatisierung staatlicher Unternehmen und die drastische Kürzung der Staatsausgaben scheinen auch keine Gewinnerthemen gewesen zu sein. Benjamin Gedan vom Argentinien-Projekt des Wilson Centers erklärt:

Viele Argentinier haben bei einem Rückbau des Sozialstaates viel zu verlieren.“

Dazu kommen wenig populäre Ansichten Mileis zu Themen wie der Freigabe des Organhandels oder der Leihmutterschaft – und apologetische Positionen bezüglich der Militärdiktatur der Jahre 1976 bis 1983.

Chancen für Milei in der Stichwahl gering

Außenpolitisch dürfte Argentinien mit einem Präsidenten Massa auf BRICS-Kurs bleiben. Milei hingegen hatte eine enge Anbindung an die USA befürwortet. Bezüglich des Verhältnisses zu China erklärte er:

Mit Kommunisten verhandele ich nicht.“

Vollständig ausgeschlossen ist eine Aufholjagd Mileis in der Stichwahl nicht. Ein gewisser Anteil der Wähler Bullrichs aus dem ersten Wahlgang dürfte mobilisierbar sein, um fünf weitere Jahre der peronistischen Dominanz aller Institutionen zu verhindern.

Allerdings beträgt der Vorsprung von Massa fast zwei Millionen Stimmen. Zudem kann er voraussichtlich auch auf die Mehrheit jener knapp zehn Prozent zählen, die auf kleinere Linkskandidaten entfallen waren.



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