Frankreich: „Die extreme Rechte ist an der Macht“ – Anti-Migrationsgesetz als Vorbild für EU?

Die Partei-Revolte blieb aus – und Frankreichs Präsident Macron brachte das „regressivste Gesetz gegen Migration seit 40 Jahren“ auf den Weg, wie NGOs es nennen. Bei Rechtsaußen feiert man dies als Sieg. Im Vorfeld der EU-Wahl könnte dies einen Trend setzen.
Mehrere Abgeordnete aus dem linken Flügel des Lagers von Präsident Emmanuel Macron hatten bereits vor dem Votum angekündigt, gegen den Text zu stimmen.
Will nach radikalem Anti-Migrationsgesetz in Frankreich wieder zur Tagesordnung übergehen: Präsident Emmanuel Macron.Foto: Peter Kneffel/dpa
Von 20. Dezember 2023

NGOs sprechen vom „restriktivsten Gesetz gegen Migration seit 40 Jahren“, einen „historischen Schwenk“ sieht KP-Chef Fabien Roussel. Gesundheitsminister Aurélien Rousseau hat seinen Rücktritt erklärt: Er könne „diesen Text nicht verteidigen“, so äußerte er sich gegenüber „Le Monde“. Trotzdem steht Präsident Emmanuel Macron nach der Verabschiedung von Frankreichs neuem Migrationsgesetz am Dienstag, 19. Dezember, als Sieger da – neben den Vertretern rechts außen vom Rassemblement National (RN).

Ob Premierministerin Élisabeth Borne den Rücktritt annimmt, steht bisher nicht fest. Bis dato war es jedoch der einzige – während vertrauliche Quellen gegenüber AFP im Vorfeld bis zu drei mögliche in Aussicht gestellt hatten. Auch die Zahl der Fraktionsrebellen in Macrons Allianz blieb am Ende überschaubar.

Borne will Gesetz Frankreichs Verfassungsrat vorlegen

Mit 349 zu 186 Stimmen hatte das Gesetz, das in der Vorwoche noch ohne Debatte niedergestimmt worden war, eine komfortable Mehrheit in der Nationalversammlung. Zuvor hatte der Senat eine leicht modifizierte Fassung angenommen.

Macron, der ohne eigene Mehrheit im Parlament regiert, und Borne hatten im Vorfeld einige Sicherheitsmaßnahmen veranlasst, um das Gesetz durchzubringen. So hatte der Präsident erklärt, dieses noch einmal in die Überarbeitung zu schicken, sollte es ausschließlich dank der Stimmen des RN eine Mehrheit erhalten.

Premierministerin Borne stellte zudem in Aussicht, dass die Regierung von sich aus das Gesetz an den Verfassungsrat herantragen würde. Dieser könnte es noch entschärfen, sollte es tatsächlich in Details zu weit gegangen sein. Ob dieser sich noch vor den EU-Wahlen im Juni dazu äußern würde, ist ungewiss.

Darmanin warnte vor möglichem Le-Pen-Sieg 2027

Die Fraktionsvorsitzende des RN, Marine Le Pen, hatte anfänglich angekündigt, dass ihre Abgeordneten sich enthalten oder dagegen stimmen könnten. Am Ende stimmten sie geschlossen dafür. Dennoch war die Mehrheit im Parlament komfortabel genug, dass es auf ihre Stimmen nicht mehr ankam. Macrons Lager hatte sich im Vorfeld vor allem mit den Konservativen verständigt.

Le Pen sprach dennoch von einem „großen ideologischen Sieg“ ihrer Partei. Im Vorfeld hatte Innenminister Gérald Darmanin gewarnt, die bislang dreimal gescheiterte Rechtsaußen-Kandidatin könnte 2027 die Präsidentschaftswahlen gewinnen, sollte das Gesetz scheitern.

Borne weist nun Darstellungen zurück, die nahelegen, die Abweichler in ihrer Fraktion könnten im weiteren Verlaufe von Macrons Amtszeit für diesen noch zum Problem werden. Stattdessen erklärte sie laut „France24“:

„Wir haben unsere Arbeit getan, wir wollten einen Text mit sinnvollen Maßnahmen, nach denen unsere Bürger verlangt haben. Jetzt lasst uns wieder zur Tagesordnung übergehen.“

Was ändert sich in Frankreich?

Das Gesetz sieht eine Reihe von Maßnahmen vor, die Frankreich für viele Migranten unattraktiver machen sollen. Unter anderem werden Abschiebungen dadurch deutlich erleichtert. Sogar Kinder unter 12 Jahre oder Eltern von Kindern mit französischer Staatsangehörigkeit sollen außer Landes geschafft werden können. Es soll außerdem mehr Schnellverfahren im Asylrecht mit eingeschränkten Rechtsmitteln geben.

Familienzusammenführungen sollen erschwert werden, auch der Zugang zu medizinischen Leistungen wird eingeschränkt. Jährliche Migrationsquoten könnten es erschweren, die französische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Der Schutz für bereits im Land befindliche Einwanderer und für illegal eingewanderte, aber schon im Arbeitsprozess stehende Personen, wird auch geringer. Sozialleistungen für Drittstaatler gibt es künftig erst nach fünf Jahren des Aufenthalts, für solche im Arbeitsprozess verringert sich die Wartezeit auf 30 Monate.

Zudem kann der Staat den Aufenthaltstitel entziehen, wenn Eingewanderte den „Prinzipien der Republik“ nicht entsprechen. Bei bestimmten Straftaten soll der Entzug der Staatsbürgerschaft für Doppelstaatler möglich werden.

„Macronismus als Lepenismus entpuppt“

Zeitungen wie „Mediapart“ schreiben von einem „rassistischen“ Gesetz und dass „die extreme Rechte nun an der Macht“ sei. Der Macronismus habe sich, so heißt es weiter, als Lepenismus entpuppt. Der Fraktionschef der Sozialisten in der Nationalversammlung, Boris Vallaud, sprach von einer „Stunde der Schande für das Parlament“.

Jean-Charles Larsonneur hat seinen Austritt aus dem Macron-Bündnis mit der Begründung erklärt, das Gesetz verletze „republikanische Werte“. Demgegenüber erklärte zwar die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, sie wäre „äußert irritiert“ über Teile des Gesetzes. Vor allem an der temporären Verweigerung von Sozialleistungen an Kinder von Migranten nahm sie Anstoß. Dennoch stimmte sie am Ende für das Gesetz.

Nach Angaben des Amtes für Statistik (INSEE) ist der Anteil der Einwanderer an der französischen Bevölkerung von fünf Prozent im Jahr 1945 auf knapp über zehn Prozent im Vorjahr gestiegen. Etwa ein Drittel der Eingewanderten habe die französische Staatsbürgerschaft angenommen.

Deutschland mit Schutzbegehren für asylsuchende Familien gescheitert

Mittlerweile scheinen sich europäische Politiker auch außerhalb der extremen Rechten in restriktiver Migrationspolitik überbieten zu wollen. Ein Zusammenhang mit den EU-Wahlen 2024 liegt nahe. Erst am Mittwoch hatte die EU einen Asylkompromiss beschlossen, der unter anderem schärfere Asylregeln und Asylverfahren an den Außengrenzen beinhaltet.

Zudem beschloss die EU einen obligatorischen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten, um Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland zu entlasten. Deutschland scheiterte mit seiner Forderung, Familien mit Kindern von den Grenzverfahren auszunehmen. Dennoch lobte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock das „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS). Man habe immerhin erreichen können, dass „zum Beispiel auch im Ausnahmefall der Krise humanitäre Standards erhalten bleiben“. Bundesinnenministerin Nancy Faeser zufolge ist das GEAS ein „Schlüssel, um Migration insgesamt zu steuern und zu ordnen, humanitäre Standards für Geflüchtete zu schützen und die irreguläre Migration zu begrenzen“.

Die Zahl der in der EU ankommenden Migranten liegt weit unter dem Höchststand von über einer Million im Jahr 2015. Seit dem Tiefstand im Jahr 2020 ist sie bis November allerdings stetig auf 255.000 angestiegen. Von den Schutzsuchenden haben mehr als die Hälfte das Mittelmeer von Afrika nach Italien oder Malta überquert.

(Mit Material von Agenturen)



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