Erneute Anhebung Leitzins: EZB kämpft gegen Inflation und „Gierflation“

EZB erhöht zum achten Mal die Leitzinsen. Inflationsprognosen steigen, Preise bleiben hoch. Lagarde fordert Maßnahmen gegen überhöhte Preise.
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EZB-Präsidentin Christine Lagarde möchte die Inflation bekämpfen. Gleichzeitig wird die Preistreiberei von Unternehmen ein Problem.Foto: JOHN THYS/AFP via Getty Images
Von 16. Juni 2023

Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihren geldpolitischen Kurs der Inflationsbekämpfung fort. Gestern hat sie seit Sommer 2022 nun schon zum achten Mal die Leitzinsen im Euro-Raum erhöht.

Weitere Zinserhöhungen absehbar

Während der Pressekonferenz betonte EZB-Präsidentin, Christine Lagarde, mehrfach, dass die gestrige Erhöhung noch nicht das Ende des eingeschlagenen Weges ist. Nach wie vor hält die Zentralbank an ihrer Geldpolitik fest, die hohe Inflation in Europa auf ein Niveau von zwei Prozent zu bringen und dort zu stabilisieren. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir die Zinsen im Juli weiter anheben werden“, sagte die Notenbankchefin dann auch auf der Pressekonferenz nach der Zinsentscheidung. „Wir denken nicht an eine Pause.“

Die EZB hebt damit die Sätze um einen Viertelprozentpunkt an. Der Leitzins steigt nun auf 4,0 Prozent. Der für die Finanzmärkte wichtige Zins, den Banken für ihre Einlagen bei der EZB erhalten, steigt von 3,25 auf 3,5 Prozent.

Die Entscheidung zur weiteren Zinsanhebung scheint aber nicht einstimmig getroffen worden zu sein. Auf die Frage, ob der Beschluss ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen getroffen wurde, sprach Lagarde lediglich von einem „sehr breiten Einvernehmen“.

Der Beschluss war von Beobachtern genau so erwartet worden. Schon im Vorfeld der Ratssitzung hatte Notenbankchefin Lagarde davon gesprochen, dass sie noch „keine eindeutigen Anzeichen“ sehe, dass die Kerninflation ihren Höhepunkt erreicht habe. Das kam gestern dann auch in den Inflationsprognosen zum Ausdruck, die die EZB vorlegte.

EZB gibt sich leicht pessimistischer als im Mai

Diese liegt höher als vorher erwartet, vor allem bei der Kerninflation. Die EZB erwartet hier einen Wert von 5,1 statt 4,6, wie bei der letzten Zinsentscheidung im Mai prognostiziert. Bei der Kerninflation werden die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet. Für 2024 gehen die Notenbanker von einem Zuwachs um 3,0 Prozent aus statt den im März vorhergesagten 2,5 Prozent. Für 2025 erwarten sie eine Kerninflation von 2,3 Prozent, nachdem sie im März 2,2 Prozent prognostiziert hatten.

Für die Gesamtinflation prognostiziert die EZB ebenfalls leicht höhere Werte. So erwartet die Notenbank in diesem Jahr 5,4 Prozent (zuvor 5,3). Im kommenden Jahr rechnen die Ökonomen mit 3,0 Prozent (zuvor 2,9 Prozent). 2025 möchte sich die EZB dann ihrer Zielmarke von zwei Prozent genährt haben. Sie erwartet dann 2,2 Prozent (zuvor 2,1 Prozent). Ihre Wachstumsprognose für dieses und das nächste Jahr korrigierten die Notenbanker hingegen nach unten. Was bedeutet das alles für die Verbraucher?

Wettbewerbsdruck könnte Preise sinken lassen

Im Mai lag die geschätzte Inflationsrate bei 6,1 Prozent im Vergleich zum April. Das ist eine kleinere Teuerungsrate als in den vergangenen Monaten. Verbraucher können sich also Hoffnung machen, dass die Preise in den kommenden Monaten langsamer steigen werden.

Diese Entwicklung wird nicht sofort spürbar sein. Gegenüber der „tagesschau“ erklärt Professor Volker Wieland, Wirtschaftswissenschaftler an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, Anfang Juni, dass wir aus seiner Sicht den Höchststand der Inflationsrate nun hinter uns haben. Auch wenn er hier eine andere Meinung vertritt als Christine Lagarde am vergangenen Donnerstag, hat der Preisanstieg bei den Erzeugerpreisen spürbar nachgelassen. „Kostensenkungen will natürlich erst mal keiner weitergeben“, sagt Wieland. „Aber der Wettbewerbsdruck wird für sinkende Preise sorgen.“

Unternehmen sind auch Preistreiber

Dass die Prognose des Wirtschaftsprofessors zutrifft, werden viele Menschen in Europa hoffen. Jeder Verbraucher hat in den vergangenen Monaten erlebt, wie die Preise in allen Lebensbereichen nach oben geschnellt sind. Teilweise sind Lebensmittel heute schon doppelt so teuer, wie noch vor einem Jahr. Als Auslöser wurden immer wieder die Corona-Krise, der Krieg gegen die Ukraine und die hohen Energiepreise herangeführt – durchaus zu Recht. Allerdings waren es auch die Unternehmen selbst, die die Preise künstlich antrieben.

Man spricht in so einem Fall von „Gierflation“ und meint damit, dass Unternehmen deutlich mehr auf den Endpreis schlagen, als es die gestiegenen Kosten für Strom, Gas oder Vorprodukte rechtfertigen lassen.

Diese Gier der Unternehmen hat sich inzwischen zu einem Preistreiber in sich selbst entwickelt, zumindest aus Sicht der EZB. Präsidentin Christine Lagarde fand daher vor einigen Tagen vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments deutliche Worte. Die meisten Unternehmen hätten „den Vorteil genutzt, die höheren Kosten völlig auf die Kunden abzuwälzen“, so Lagarde. „Und einige von ihnen haben die Preise über den bloßen Kostendruck hinaus erhöht.“

Für den Lebensmittelbereich untersuchte gerader erst auch der Kreditversicherer „Allianz Trade“ den Markt. Studienleiter Andreas Jobst kommt zu dem Schluss: „Es scheint zunehmend Anzeichen für Gewinnmitnahmen zu geben sowie unzureichenden Wettbewerb.“ Dies gelte vor allem für die Hersteller von Milchprodukten, Eiern und nicht-saisonalem Obst und Gemüse.

Auch die Verbraucherzentrale NRW machte in ihrem „Marktcheck“  Stichproben bei den Lebensmittelpreisen. Dabei kam heraus, dass die Teuerung bei manchen Produkten „weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar“ sei.

Im Dezember hatte auch das ifo-Institut auf diesen Umstand hingewiesen. Die Untersuchung fand heraus, dass nicht nur der Handel, sondern auch Gastgewerbe, der Verkehrssektor und das Baugewerbe es genau verstünden, wie man Preise stärker erhöht als notwendig.

EZB gegen Gier machtlos

Gegen Gier ist die EZB allerdings machtlos. Ungerechtfertigte Teuerung lässt sich weder mit einer Zinsanhebung noch mit einer straffen Geldpolitik zügeln. Im Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments forderte Lagarde deshalb, dass sich nationale Wettbewerbsbehörden mit Gierflation beschäftigen sollten. „Ich würde das auf jeden Fall für absolut angebracht halten“, sagte sie den Parlamentariern. Viel Hoffnung muss sich Lagarde da aber nicht machen: Schon im vergangenen August hatte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, hierzulande zuständig für einen ordentlichen Wettbewerb, von einem heftigen Anstieg der Beschwerden über unlautere Preissteigerungen bei Lebensmitteln berichtet. In Einzelfällen werde geprüft. Passiert ist bislang nichts.



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