Long COVID: Millionen Erkrankte – aber wenige Erwerbsminderungsrenten mit Corona-Bezug

Viele Aspekte von Long COVID sind noch kaum erforscht. Die WHO geht von Millionen Erkrankten aus. Die Anzahl der Erwerbsminderungsrenten mit Corona-Bezug liegt in Deutschland knapp über 1.000.
Ein Long-Covid-Patient beim Atemtraining in  einer Reha-Klinik für Post-Covid Erkrankte.
Ein Long-Covid-Patient beim Atemtraining in einer Reha-Klinik für Post-Covid Erkrankte.Foto: Friso Gentsch/dpa
Von 13. Juli 2023

Die Anzahl der bewilligten Erwerbsminderungsrenten in Deutschland ist im Jahr 2022 deutlich angestiegen. Insgesamt hat die Deutsche Rentenversicherung im Vorjahr 1.088 Renten dieser Art mit Corona-Bezug erstmals bewilligt, im Jahr 2021 waren es erst 89 gewesen.

Das Post-COVID-Syndrom, das ein Teil des als „Long COVID“ benannten Phänomens darstellt, war dabei in 1.000 Fällen die relevante Diagnose. Zuvor waren es 13 der 89 Fälle gewesen.

Die durchschnittliche Höhe der genehmigten Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lag im Vorjahr bei 950 Euro – gegenüber 917 Euro im Jahr 2021. Dies teilte eine Sprecherin der Deutschen Rentenversicherung auf Anfrage der „Rheinischen Post“ (Ausgabe vom 13. Juli) mit.

Nur 41 statt 100 Millionen stehen für Erforschung von Long COVID zur Verfügung

„Long COVID“ umfasst gemäß der Begriffsdefinition der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung solche Beschwerden, die mehr als vier Wochen nach einer Ansteckung mit COVID-19 fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten. Voraussetzung dafür ist, dass es für die Beschwerden keine andere Erklärung gibt.

Das Post-COVID-Syndrom bezeichnet Beschwerden, die noch nach drei Monaten bestehen und mindestens zwei Monate lang anhalten oder wiederkehren. Das Post-COVID-Syndrom ist demnach ein Bestandteil von Long COVID – aber nicht alle Erscheinungsformen von Long COVID sind deckungsgleich mit dem Post-COVID-Syndrom.

Am Mittwoch, 12. Juli, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt, 21 Millionen Euro in die Förderung von Projekten zur Erforschung neuer Behandlungsmethoden zu investieren. Wie die „Süddeutsche“ berichtet, soll der Gemeinsame Bundesausschuss weitere 20 Millionen Euro dazu beisteuern. Diesem gehören Vertreter von Ärzten, Kliniken und gesetzlichen Krankenkassen an. Eigentlich wollte der Minister 100 Millionen Euro in die Forschung zu Long COVID stecken. Allerdings habe die derzeitige Haushaltslage dies nicht erlaubt.

Forscherin beklagt vermeidbare falsche Behandlungsansätze

Charité-Forscherin Carmen Scheibenbogen und der Direktor des Universitätsklinikums Marburg, Bernhard Schieffer, gaben zusammen mit Lauterbach eine Pressekonferenz. Der Minister erklärte dabei, dass für Menschen mit Long COVID „die Pandemie noch lange nicht beendet“ sei. Er gehe davon aus, dass „noch viele“ daran erkranken würden.

Scheibenbogen betonte, dass bisherige Initiativen für eine Erforschung und Behandlung von Long COVID nicht ausreichen würden. Ein Anfang sei jedoch gesetzt. Die Forscherin betreut die vom Ministerium ins Leben gerufene Website mit, die sich des Themas annimmt.

Vor allem Ärzte sollen dort relevante Erkenntnisse auf dem neuesten Stand vorfinden, die eine zielgerichtete Behandlung ermöglichten. Es handele sich bei Long COVID um ein komplexes Krankheitsbild, zu dem man vieles noch nicht wisse. Allerdings sei auch das bereits vorhandene Wissen noch nicht zu allen Praktikern durchgedrungen. So würden Betroffenen häufig immer noch falsche Schmerz- oder Schlafmittel verschrieben.

WHO spricht von Millionen Erkrankten – AOK gibt geringere Zahlen an

Eine jüngst präsentierte Studie spricht von Kosten in Milliardenhöhe, die Long COVID bereits jetzt verursache. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass eine von 30 Personen in Europa davon betroffen ist. Auf Deutschland heruntergebrochen wären das deutlich mehr als zwei Millionen.

Bislang lassen sich Scheibenbogen zufolge nur Symptome behandeln. An Spezialkliniken wie der Berliner Charité müssten die Patienten jedoch mit Wartezeiten bis zu sechs Monaten rechnen. Das Leiden mache sich in unterschiedlicher Weise bemerkbar. Zu den Symptomen gehörten Atembeschwerden, chronische Erschöpfungszustände oder auch Beschwerden an Herz und Nervensystem.

Eine Analyse der AOK zum Post-COVID-Syndrom hatte hingegen im März von einem geringen Anteil von Long-COVID-Fällen unter mit Corona infizierten Versicherten gesprochen. Zwischen Januar und August 2021 habe die Rate von Post-COVID-Fällen bei den akut Erkrankten etwa 2,2 Prozent betragen. Mit der Omikron-Variante sei der Anteil auf 1,1 Prozent gesunken. Allerdings sei die Zahl der Krankheitstage bei Betroffenen hoch gewesen.

Schwierige Abgrenzung von Long COVID zu anderen Erkrankungen

Nicht immer ist eine einfache Abgrenzung von Long COVID von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen möglich. Zu den Erkrankungen, die ähnliche Merkmale wie Long COVID aufweisen, gehört beispielsweise das „Chronische Erschöpfungssyndrom“ (CFS). Auch dort können anhaltende Erschöpfung, kognitive Beeinträchtigungen, Schlafstörungen, Muskelschmerzen und andere unspezifische Beschwerden auftreten.

Nach viralen Infektionen kann zudem generell ein Erschöpfungssyndrom auftreten, das als „Post-Viral Fatigue Syndrome“ (PVFS) bekannt ist. Da Long COVID ebenfalls auf eine virale Infektion zurückzuführen ist, kann es eine Überschneidung der Symptome geben.

Ähnliches gilt für die Fibromyalgie, eine chronische Schmerzerkrankung, die aus einer gestörten Schmerzverarbeitung im Gehirn resultiert. Dazu gibt es auch noch post-akute Folgen einer Corona-Infektion, die als PASC charakterisiert werden. Sie umfassen langanhaltende Symptome nach einer COVID-19-Infektion, die über den akuten Krankheitsverlauf hinausgehen. Diese ähneln ebenfalls häufig Long-COVID-Symptomen.

Ungewiss ist auch, welche Rolle einschlägige Vorerkrankungen für die Entstehung der Erscheinungsformen von Long COVID spielen können.

(Mit Material der dpa)



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