Venezuela: Die Menschen fliehen aus dem ehemals reichen Land

Was kann man von 1,3 Millionen Bolivar kaufen? Zwei Eier am Tag. 1,3 Millionen Bolivar entsprechen dem Mindestlohn in Venezuela. Venezuela, das einst eines der reichsten Länder Lateinamerikas war, steht vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch.
Von 6. März 2018

Venezuela befindet sich im freien Fall der Hyperinflation. Den Februar beendete Venezuela mit einer jährlichen Inflationsrate von fast 5.000 Prozent, der höchsten der Welt, so der Professor für angewandte Wirtschaftswissenschaften Steve Hanke von der Johns Hopkins University, ein führender Experte für Hyperinflation.

In Venezuela verschlechtert sich die Kaufkraft rapide, die Zahl der Hungertoten steigt. Grundlegende Güter sind schwer bezahlbar geworden. Innerhalb von nicht mal zwei Monaten verdoppelte die venezolanische Regierung den Mindestlohn auf 1,3 Millionen „Bolivar“ – knapp über 6 Dollar.

Darin sind auch Lebensmittelstempel enthalten. Was kann man für 1,3 Millionen Bolivar kaufen? Zwei Eier am Tag. Und monatlich steigen die Preise weiter.

„Für den Stapel Geldscheine, den man heute für einen Capuccino hinlegen muss, hätte man vor 15 Jahren noch eine Einzimmerwohnung am Stadtrand von Caracas bekommen“, schreibt „Der Blick“.

Insgesamt wird für das Jahr 2018 in Venezuela eine Inflationsrate von an die 13.000 Prozent erwartet. Anders gesagt, ein Pott Kaffee, der im Januar 1 Euro kostete, kostet am Ende des Jahres voraussichtlich 130 Euro.

Auf der Welt gibt es nur 58 gemeldete Fälle von Hyperinflation, die mit 50 Prozent Inflation pro Monat für mindestens 30 aufeinander folgende Tage definiert ist (gemäß dem Hanke-Krus World Hyperinflation Table).

Der Venezuelaner Wilmer Rojas verwendet die Stapel von wertlosen „Bolivar“ dazu, Handtaschen daraus zu flechten. 30. Januar 2018. Foto: FEDERICO PARRA/AFP/Getty Images

Die Zahl der Hungertoten steigt

Die Menschen nehmen an Körpergewicht ab – eine Studie sprach von durchschnittlich 12 Kilo, die die Venezuelaner 2017 verloren. Es ist normal, im Müll zu stöbern oder an eigentlich behandelbaren Krankheiten zu sterben.

Mehr als 87 Prozent der Haushalte leben in Armut. Im Gespräch mit der „PanAm Post“ sagte Steve Hanke, der Ökonom, für das Jahr 2017:

Venezuela hat den mit Abstand größten Elendsindex der Welt“

Auch 2015 und 2016 lag Venezuela an der Spitze des Elendsindex.

Ein gestürmter Supermarkt in Capacho, in der Region Tachira, Venezuela, 17. Mai 2017. Foto: GEORGE CASTELLANOS/AFP/Getty Images

Das Geld-Drucken im Sozialismus führt zum Exodus der Bevölkerung

Der Ökonom Steve Hanke verweist darauf, dass der Niedergang von Venezuela mehr mit dem der postkommunistischen Nationen zu tun habe. Es sei kein lateinamerikanisches Land, das „einen Regimewechsel nach dem anderen durchgemacht hat, es ist kein lateinamerikanischer Fall“. Sondern:

Es ist ein postkommunistischer Fall, in dem man wirklich eine radikale Reform durchführen muss, um das Land wieder in Form zu bringen und zu stabilisieren.“

Der einzige Ausweg aus dem Elend sei eine Umstellung auf den Dollar. „Alle anderen Systeme sind zum Scheitern verurteilt“, sagte Hanke.

Soldaten bewachen das Lager eines Supermarktes in San Antonio de Tachira. Foto: George CASTELLANOS/AFP/Getty Images

In Venezuela begann die verheerende Inflation mit dem Zusammenbruch des „Bolivar“, der einheimischen Währung. Dieser ist praktisch wertlos und kaum das Papier wert, auf dem er gedruckt wird. Zwischen den Staatsausgaben und den Einnahmen herrscht eine breite Kluft. Und dann

gehen die Finanzbehörden zum Gouverneur der Zentralbank und halten ihm eine Waffe an den Kopf… und er schaltet die Druckmaschinen an“.

In Venezuela hat der Sozialismus des 21. Jahrhunderts den „Bolivar“ in den Tod getrieben. Die Revolution von Hugi Chávez etablierte eine Politik von ungezügelten Staatsausgaben, „gepaart mit dem klassischen sozialistischen Rezept der Industrieverstaatlichungen und der Beschlagnahmung von Privateigentum, dessen Folgen jahrelang von hohen Öleinnahmen überdeckt wurden“, wie Steve Hanke analysiert.

Nun ist die Regierung pleite und steht einer Verschuldung von über 140 Milliarden Dollar gegenüber. Das gesamte Bruttoinlandsprodukt des Landes lag 2017 bei 215,3 Milliarden US-Dollar. Der Staat ist bankrott und sieht als einzige Lösung das Drucken von Geld an.

Auch vor den Tieren im Zoo macht der Hunger nicht Halt, hier ein Puma im Metropolitan Zoo in Maracaibo, Zulia State, Venezuela, am 14. Februar 2018. Foto: MIGUEL ROMERO/AFP/Getty Images

Jeder, der in der Wirtschaft Venezuelas überlebt, kann dies nur mit Dollars tun

So wie zu DDR-Zeiten bestimmte Produkte nur gegen „Westmark“ und Devisen zu erhalten waren, geht es nun den Venezuelanern. Der Dollar ist König. Das Land hat sich „spontan dollarisiert“, erklärt der Ökonom. Nun wäre der nächste logische Schritt, dass die Regierung dies offiziell machen solle, so wie Ecuador 2001.

Der einzige Weg, wie man in der Hyperinflation mit Sicherheit Stabilität erreichen kann, ist die Dollarisierung“.

Die Einführung des Dollars bringe die Finanzbehörden dazu, sich zu benehmen. Es würden dann harte Budgetbeschränkungen auftreten, die Finanzbehörden könnten nicht mehr zur Zentralbank laufen, um die Druckerpresse anzuschalten.

Jedoch: „Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass die gegenwärtige Regierung solche Bedingungen akzeptiert“.

1995 wurde Steve Hanke vom damaligen Präsidenten Rafael Caldera nach Venezuela eingeladen, um diesen über Veränderungen im Währungsbereich zu beraten. Einige Ökonomen bevorzugten ein „Currency Board“, bei dem der „Bolivar“ mehr oder weniger ein Klon des US-Dollar mit einem festen Wechselkurs wäre, der vollständig durch eine Dollarreserve abgesichert ist. Leider konnte Caldera nicht genug politische Unterstützung sammeln, um im Kongress seinen Gesetzentwurf vorzustellen.

Die Einführung des eigenen Kryptogeldes „Petro“

Venezuela führte nun seine eigene Kryptowährung, den „Petro“, ein. Mit diesem möchte sich der Staat wieder Zugang zu den internationalen Finanzmärkten und Devisen verschaffen. Die Währung wird mit den riesigen Erdölvorräten des Landes gestützt – die bereits auf Jahre verpfändet sind.

Dabei soll jeder „Petro“ mit einem Barrel Erdöl aus den Öl-Reserven Venezuelas hinterlegt werden, schreibt „btc-echo.de“. Und: „Die Opposition schäumte öffentlich wegen des Ausverkaufs der fossilen Brennstoffe des Landes.“

Staatschef Maduro schlug den zehn Staaten des Handelspaktes ALBA-TCP vor, den „Petro“ zu akzeptieren. Das venezuelanische Parlament hingegen nennt die Währung „nicht verfassungskonform“ und will sie verbieten.

Eine interdisziplinäre Studie zeigt, dass der Bitcoin und Kryptowährungen als Zahlungsmittel ungeeignet ist. Marc Behlaus Untersuchung „Chancen und Risiken von Bitcoin als Tausch- und Zahlungsmittel“ legt eine systematische Bewertung der Bitcoin-Transaktionen vor. Alle acht Experten sind sich einig: Die Kryptowährung ist als Zahlungsmittel ungeeignet.

Doch mit dem neuen Digitalgeld, so sagen Experten, verschaffte sich Staatschef Nicolás Maduro gleichzeitig die autoritäre Kontrolle über die 15 Millionen Landesbürger. Wer nicht pariert, politisch anders denkt oder wer sich gar ins Ausland absetzt, kann mit einem Tastaturdruck enteignet werden.

Eigentlich ist Venezuela reich an Erdöl

Eigentlich ist Venezuela mit geschätzten 65.000 Millionen Tonnen Öl- und Gasreserven ein reiches Land. Doch seit die „Vereinigte Sozialistische Partei“ die Kontrolle über die Ölindustrie übernommen hat, verkommen die Anlagen und die Pumpen verrosten.

Hugo Chávez regierte 14 Jahre, doch der Wohlstand des Sozialismus für alle blieb aus. Statt dessen verarmte das Land. „Der Blick“ erklärt:

Erst unter seinem Nachfolger Nicolás Maduro ist aus dem sozialistischen Traum endgültig ein nationaler Albtraum geworden“.

Stromausfälle, keine Waren in den Supermärkten – und volle Waisenhäuser. Überfüllte Waisenhäuser, da, so ein anonymer Mitarbeiter der katholischen Diözese Caracas: „Immer mehr Eltern geben ihre Kinder bei uns ab, damit sie nicht verhungern.“

Doch es ist gefährlich darüber zu reden, es gibt zu viele Spitzel.

Flüchtlingsströme wie in Europa

Immer mehr Menschen versuchen, das Land zu verlassen. An den Grenzübergängen zu den Nachbarstaaten Brasilien, Kolumbien und Guyana drängen sich die Menschen. Es entstanden improvisierte Camps, um die Flüchtenden aufzunehmen.

Nach Angaben der lokalen Behörden überqueren täglich rund tausend Flüchtlinge (Zahl vom 27. Februar 2018) aus Venezuela die brasilianische Grenze. Die meisten legalisieren ihren Status, um in Brasilien bleiben zu können.

Mit dem ständigen Zustrom venezolanischer Einwanderer leben die meisten in Unterkünften und auf den Straßen der Städte Boa Vista und Pacaraima, auf der Suche nach Arbeit, medizinischer Versorgung und Nahrung.

An der internationale Simon Bolivar-Brücke von San Antonio del Tachira in Venezuela nach Norte de Santander in Kolumbien, 10. Februar 2018. Foto: GEORGE CASTELLANOS/AFP/Getty Images

Venezuelanische Flüchtlinge bereiten am 27. Februar 2018 am Straßenrand von Pacaraima, Roraima, Brasilien, Lebensmittel zu. Foto: MAURO PIMENTEL/AFP/Getty Images

Ein venezolanischer Flüchtling mit seinem neugeborenen Sohn am 25. Februar 2018 im improvisierten Flüchtlingslager auf dem Simon Bolivar Platz, Boa Vista, Roraima, Brasilien. Foto: MAURO PIMENTEL/AFP/Getty Images



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